Im chinesischen Restaurant in Hellersdorf: Chop Suey und ein Hauch von Luxus
Rundherum ist wenig los in der Hellersdorfer Promenade, das Hui Feng aber hält durch. Zhang Hua ist Chef des Chinarestaurants in prekären Lage. Sein Rezept: Zuhören.
Zhang Hua kommt aus der Küche, er trägt eine blütenweiße Schürze. Eine ältere Dame zieht sich an der Garderobe einen Trenchcoat an. Zhang Hua eilt zu ihr, fragt sie, wie das Essen war und ob auf ihrem Balkon schon die Narzissen blühen. Der Ehemann der Dame kommt dazu, Zhang Hua klopft ihm jovial auf die Schulter.
Es ist ein sonniger Montagnachmittag in Hellersdorf, und obwohl man in Deutschland eher selten um diese Zeit speist, sind noch immer vier Tische belegt im Chinarestaurant Hui Feng. Ein dicker, goldener Buddha, eine Lampe mit roten Troddeln, große Aquarien und Vasen, holzgetäfelte Wände, Teppiche: Auf den ersten Blick ist das Hui Feng ist ein ganz normales deutsches Chinarestaurant, wie es an die 10.000 in Deutschland gibt.
Und doch ist das Hui Feng anders als viele andere. Seit einem Vierteljahrhundert hält es sich in Hellersdorf, einem der ärmsten Bezirke der Stadt – in der Hellersdorfer Promenade, einem der ärmsten Quartiere in diesem Bezirk. Während in Marzahn-Hellersdorf insgesamt jeder Vierte Hartz IV empfängt, ist es in dieser Gegend fast jeder Zweite. Auch machten bei der letzten Bundestagswahl hier im Kiez 34,2 Prozent ihr Kreuz bei der AfD.
Zhang Hua spricht noch immer mit seinen Gästen, über den kalten Winter und den schnell gekommenen Frühling. Also richtet man den Blick auf die Promenade. Einst war sie konzipiert als Fußgängerzone, als Ladenstraße mit Marktplatz. 1987 wurde sie fertiggestellt, 1997 eröffnete 500 Meter weiter südlich die Helle Mitte, das neue Shoppingcenter inklusive Agentur für Arbeit, Multiplex und Kletterhalle. Seitdem herrscht tote Hose in der Hellersdorfer Promenade, viele Läden stehen leer.
Ausgerechnet in so einem Umfeld?
Erst vor Kurzem hat die Deutsche Wohnen, der die meisten Wohnungen hier gehören, aufgeräumt. Vor allem die Grünanlagen wurden neu gestaltet, sodass sich endlich das Problem mit dem Müll und den Ratten erledigt hat. Auch versuchen Stadt und Bezirk vieles, damit wieder Leben in die Promenade kommt. Da, wo einmal Läden waren, gibt es heute ein Quartiersmanagement, ein Familienzentrum, ein Freizeitcafé, einen Treff für Arbeitslose, einen sozialen Beratungsservice.
Neben der Hellersdorfer Promenade gibt es zwei weitere Flaniermeilen in Marzahn-Hellersdorf, die seit dem Bau eines Shoppingcenters nach der Wende vor sich hin siechen. Der Boulevard Kastanienallee südlich der Hellersdorfer Promenade und wie diese in den 80ern gebaut, wird im Sozialatlas als besonders schwierig eingestuft. Während an der Hellersdorfer Promenade mit 1.300 etwa die Hälfte der Wohnungen der Deutsche Wohnen gehört, sind es am Boulevard Kastanienallee etwa ein Viertel. In der Hellersdorfer Promenade steckte die Deutsche Wohnen 2014 bis 2017 im Rahmen des Städtebauförderungsprogramms „Soziale Stadt“ 35 Millionen Euro in die Sanierung der Gebäude und Außenanlagen. Am Boulevard plant die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gemeinsam mit Deutsche Wohnen die Umgestaltung der verwahrlosten Außenanlagen. (sm)
Wie kann es sein, dass sich in so einem Umfeld ausgerechnet ein Chinarestaurant behaupten kann?
Zhang Hua, der eine der beiden Chefs, bringt grünen Tee und setzt sich an einen runden Tisch mit gelbem Wachstischtuch. Er hat gute Laune, freut sich über das Medieninteresse, aber auch einfach über das schöne Wetter draußen. Angst vor Nazis? Der große muskulöse Mann Ende vierzig mit den lustigen Augen und dem akzentfreien Deutsch winkt ab. „Ich habe doch auch eine Glatze“, lacht er. Er hat das Restaurant erst vor drei Jahren übernommen, aber auch sein Vorgänger, sagt er, habe nie etwas Schlimmes erlebt.
Das Hui Feng hat 1992 aufgemacht, in jenem Jahr der rechtsradikalen Gewalt, als auch in Marzahn ein vietnamesischer Straßenhändler auf offener Straße und unter Beobachtung zahlreicher Passanten von einem Neonazi erstochen wurde. „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt Zhang Hua. „Auch wenn es schlimm ist, dass sie jetzt wieder gegen die Flüchtlingsheime protestiert haben.“
Mit vielen Stammgästen angefreundet
Zhang Hua ist in den Siebzigern in Schanghai aufgewachsen. Drei Jahre nach seiner Geburt wurde in China die Einkindpolitik eingeführt, sodass er keine Geschwister hat. Er war ein guter Schüler, ein guter Sohn, seine Eltern investierten in ihn. So ging er im Jahr 2000 nach Deutschland, um hier Mathematik und Wirtschaft zu studieren. „Ich fand das Studium zu trocken“, erzählt er mit einem breiten Grinsen. Also brach er ab und wurde Wirt, obwohl er nie kochen gelernt hat – so wie viele Betreiber von Chinarestaurants in Deutschland.
Aber die Küche ist auch nicht das einzig Wichtige in einem Chinarestaurant wie dem Hui Feng, möchte man meinen, wenn man Zhang Hua beim Reden zuhört. Er erzählt, dass er sich wohl auch wegen seines Heimwehs mit vielen Stammgästen anfreundet, die gern ein wenig älter sein dürfen. Sie erinnern ihn an seine Eltern oder Großeltern. Zhang Hua findet: Auch in Zeiten von Turbokapitalismus, Leistungsdenken und Konsumwahn gehört es noch immer zum guten Ton in seinem Land, sich um die Alten zu kümmern. „In China funktionieren die Familien besser als in Deutschland“, sagt er.
Auch die Marzahner Promenade ringt seit Jahren um Wiederbelebung. Seit 2005 das Eastgate eröffnet wurde, geht es mit der Promenade bergab. 2008 wurde sie in das Bund-Länder-Programm „Aktive Zentren“ aufgenommen. Vor Kurzem zog eines der kulturellen Leuchtturmprojekte der Gegend, die Galerie M, ins Schloss Biesdorf. Dies deuten Kiezkenner als großen Rückschlag für die Marzahner Promenade. (sm)
Als kürzlich eine Dame aus Lichtenberg sein Restaurant betrat, völlig durchnässt vom Regen, schenkte er ihr seinen Pulli.
Wenn er Gäste aus der Nachbarschaft beliefert, wird er oft in die Wohnungen gebeten und lässt einen einsamen Kunden so lange reden, bis das Essen für den nächsten schon fast kalt ist. Zhang Hua weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nicht Schritt halten kann. Als er geboren wurde, gehörte die heutige Weltmacht China noch zu den ärmsten Ländern der Welt.
Teurer als Pommes und Döner
Anders als Restaurants in der Innenstadt, die auch von Laufkundschaft oder Touristen leben, sind es beim Hui Feng ausschließlich Stammgäste, die das Restaurant besuchen. Sie kommen aus den Einfamilienhaussiedlungen Kaulsdorf, Mahlsdorf und Biesdorf, die sich an Hellersdorf anschließen. Aber auch Nachbarn aus der Hellersdorfer Promenade finden sich im Hui Feng ein: die Erstbezieher, die Ende der 1980er kamen und heute oft niedrige Renten beziehen. Spätaussiedler aus Russland, die Anfang der 1990er kamen. Arme Familien, denen das Amt nicht mehr die hohen Innenstadtmieten zahlt.
Die Mittagsgerichte – einfacher Eierreis oder gebratene Nudeln – kosten im Hui Feng 5,80 Euro. Das ist teurer als Pommes und Döner. Zhang Hua aber berichtet, dass er zumindest am Monatsanfang trotzdem Leute trifft, die sich einen Besuch seines Restaurants wenigstens hin und wieder leisten. Zhang Hua behandelt alle gleichermaßen nett, wie kleine Könige. Er hört ihnen zu.
Und er weiß, dass sein Restaurant für die Menschen auch einen Hauch von Luxus verkörpert. Einen Hauch von gemäßigter, irgendwie verlässlicher Exotik, die in Hellersdorf so gut ankommt wie auf der ganzen Welt.
Zhang Hua ist ein Mann, der seine Klientel vielleicht besser kennt als mancher Bezirkspolitiker. Der sie auch mag. Dazu gehört auch, dass das Essen, das er für sie kocht, nicht immer das Essen ist, das er selbst unter chinesischer Küche versteht. Chop Suey zum Beispiel, das wohl in Amerika erfundene Gericht, das man in China eher nicht kennt, hat Zhang Hua erst in Deutschland kennengelernt. Dennoch hat er nie an den bewährten Rezepten seines Vorgängers gerüttelt. Die funktionieren hier draußen – anders als im Zentrum mit seinen vermeintlich authentischen Lokalen aus aller Welt – noch immer.
Neuerdings Dim Sum
Nur eine Änderung, die hat er dann doch vorgenommen. Er traut sich neuerdings, Dim Sum anzubieten, die kleinen Vorspeisen aus der chinesischen Provinz Kanton, die in der Innenstadt längst gängig sind. Die heißen so, weil sie „das Herz berühren“, sagt er. Seinen Stammkunden zuliebe nennt er sie trotzdem nicht Dim Sum. Wer weiß, ob sie sich den Namen merken könnten, denkt er. Er nennt sie lieber „chinesische Teezeit“. Er findet, das klingt gediegen. „So, dass es jeder in Hellersdorf verstehen kann“, sagt er.
Dann muss Zhang Hua aber wieder nach vorn. Es gilt, mit großem Hallo einen neuen Gast zu begrüßen.
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