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Schuldlos wohnungslosRäumung wegen Jobcenter

Das Jobcenter Bremen stellte widerrechtlich die Mietzahlungen für die Hartz IV-Empfängerin Jolanda D. ein. Nun soll ihre Wohnung geräumt werden

Wo der Gerichtsvollzieher öfter klingelt: die „Grohner Düne“ in Bremen Foto: Florean Fortescu Wikimedia

BREMEN taz | Für den heutigen Mittwochmorgen hat sich der Gerichtsvollzieher angekündigt, um die Wohnung von Jolanda D.* räumen. Obwohl nicht sie, sondern das Jobcenter Bremen die Mietzahlungen an ihren Vermieter, den Immobilienkonzern Grand City Property (GCP) eingestellt hat, soll sie ihre Wohnung verlassen. Dabei hatte das Sozialgericht bereits im Februar entschieden, dass D.’s Miete vom Jobcenter übernommen werden muss.

D. wohnt seit dem Jahr 2013 in der „Grohner Düne“, einer Hochhaussiedlung im Bremer Norden. Die polnische Staatsbürgerin lebt seit sechs Jahren in Deutschland und ist aufgrund prekärer Beschäftigungen auf Hilfe vom Jobcenter angewiesen.

Mit dem hatte sie bereits vor drei Jahren Ärger: Damals hatte es schon einmal für mehrere Monate die Übernahme der Miete verweigert: „Das Jobcenter hat damals argumentiert, dass aufgrund baulicher Mängel die Wohnung nicht erhaltenswert sei“, sagt Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosenverband, der seither Kontakt zu D. hat.

Aufgrund der so entstandenen Mietschulden besteht seit damals ein Räumungstitel gegen D. Weil das Jobcenter nach langem Drängen die Mietzahlungen 2016 aber wieder übernahm und D. überdies seither monatlich von ihrem Hartz-IV-Regelsatz Raten in Höhe von 50 Euro zur Abtragung dieser Schulden zahlt, durfte sie in ihrer Wohnung bleiben.

„Im Januar 2018 allerdings kündigte das Jobcenter an, die Zahlungen zum ersten Februar einzustellen“, sagt Thomsen. Der Grund: D. habe kein Aufenthaltsrecht mehr in Deutschland. „Dabei wusste das Jobcenter aus den eigenen Akten, dass D. dort regelmäßig Lohnabrechnungen vorgelegt hat und dass sie seit dem Jahr 2012 hier in Deutschland gemeldet ist“, so Thomsen. Das bedeutet: D. lebt nachweislich seit mehr als fünf Jahren in Deutschland – und hat nach EU-Recht somit bereits seit 2017 ein unbefristetes Aufenthaltsrecht.

Grand City darf die Mieten nur um 15 Prozent innerhalb von drei Jahren erhöhen – eine Neuvermietung bringt denen also viel mehr Geld ein

Herbert Thomsen, Bremer Erwerbslosenverband (BEV)

Erwartungsgemäß war eine Eilklage vor dem Sozialgericht dann auch erfolgreich: Am 22. Februar dieses Jahres entschied das Gericht, dass das Jobcenter verpflichtet sei, D. weiterhin Leistungen zu gewähren.

„Aber auch einen Monat später war immer noch nichts passiert“, sagt Thomsen. Am 19. März sei D. gemeinsam mit einer Dolmetscherin zum Jobcenter gegangen, weil ihr Vermieter Grand City Property bei ihr die noch immer fehlenden Mietzahlungen angemahnt hatte. „Da hat man ihr gesagt: Wir kümmern uns“, sagt Thomsen. Aber stattdessen bekam D. das Schreiben des Gerichtsvollziehers mit dem Räumungstermin am 18. April.

„Das Jobcenter ist hier seiner Verantwortung ganz klar nicht nachgekommen“, sagt Thomsen. Hinzu komme, dass es mit seinem Verhalten dem Interesse des börsennotierten Immobilienunternehmen GCP in die Karten spiele: „Als die vor vier Jahren die Grohner Düne gekauft haben, haben die Leute dort Dumping-Mieten gezahlt“, sagt Thomsen. Damit hätten die vorherige Eigentümer allzu großen Leerstand in den heruntergekommenen Wohnblöcken verhindern wollen.

„Grand City darf die Mieten nur um 15 Prozent innerhalb von drei Jahren erhöhen – eine Neuvermietung bringt denen also viel mehr Geld ein“, glaubt Thomsen.

Zulässige Räumung

Deswegen glaubt Thomsen nicht daran, dass Grand City Property sich im Falle von Jolanda D. noch umstimmen lässt. „Rechtlich ist die Räumung zulässig, schließlich gibt es ja den Räumungstitel aus dem Jahr 2015 und auch die Frist des Gerichtsvollziehers war korrekt“, sagt er. Selbst wenn das Jobcenter in letzter Minute seiner Pflicht zur Zahlung der Miete noch nachkomme, liege alles weitere nun im Ermessen des Vermieters.

Der übernahm zwischen März und Juli 2014 alle 570 Wohneinheiten der Grohner Düne, die zuvor zum Teil der „Deutsche Wohnen AG“ und zum Teil einem niederländischen Immobilienunternehmen gehörten. Die Bremer Bürgerschaftsfraktion der Linken nannte das Unternehmen mit Sitz in Zypern damals eine „Heuschrecke“ und kritisierte, dass die Stadt Bremen den Wohnkomplex nicht selbst gekauft hatte. In Bremen war der Konzern damals bereits berüchtigt, weil er dort auch andere Wohnungen gekauft und nur sehr schleppend saniert hatte.

Ähnlich sah es anfangs auch in der Grohner Düne aus. Im August 2016 allerdings unterzeichneten die Stadt Bremen und Grand City Property eine Kooperationsvereinbarung: Bremen erklärte sich bereit, für die Infrastruktur rund um das „Problemviertel“ bis zu 3,5 Millionen Euro zu investieren, GCP sollte im Gegenzug bis 2017 alle Fahrstühle und Treppenhäuser sanieren, rund 100 leer stehende Wohnungen renovieren und die Außenflächen „aufwerten“. Einiges davon wurde auch bereits umgesetzt.

Hausflur blockiert

Von vielen Zwangsräumungen dort bekomme der Erwerbslosenverband nichts mit, sagt Thomsen, „aber Anwohner berichten uns, dass in die Grohner Düne ungefähr zweimal in der Woche der Gerichtsvollzieher zum Räumen kommt“. Erst im vergangenen November hatten dort 30 Menschen einen Hausflur blockiert und so die Räumung einer Familie verhindert. Auch in diesem Falle soll das Jobcenter die Mietzahlungen an Grand City Property unrechtmäßig eingestellt haben.

„Wir tun alles, was wir können, um beim Vermieter zu intervenieren und den Wohnraum unserer Klientin zu erhalten“, sagt auf Nachfrage der taz Christian Ludwig, Sprecher des Bremer Jobcenters. Aufgrund personenbezogener Daten könne er darüber hinaus aber leider nichts zum Fall von Jolanda D. sagen.

Sollte das Jobcenter tatsächlich noch intervenieren, beeindruckt das Grand City Property wenig. Auf Nachfrage der taz heißt es schriftlich: „GCP hat diese Situation nicht verursacht. GCP handelt immer gemäß interner standardisierter Prozedere. GCP ist immer an langfristigen Mieterverhältnissen mit seinen Mietern interessiert.“ Und darüber hinaus könne GCP aufgrund der rechtlichen und gesetzlichen Datenschutzbestimmungen keinerlei Informationen zur Verfügung stellen.

*Name geändert

Aktualisierung (18. April, 15.10 Uhr): Die angekündigte Zwangsräumung wurde kurzfristig abgesagt. Offenbar haben sich das Jobcenter und Grand City Property (GCP) geeinigt: Man wolle die Angelegenheit nicht auf dem Rücken der Mieter austragen, hieß es dazu bei GCP. Das Jobcenter Bremen räumte ein, „grundsätzlich können natürlich auch bei uns, wie in jeder Behörde, Fehler passieren und falsch, zu spät oder gar nicht entschieden werden.“

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7 Kommentare

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  • Wieso bittesehr kann ein Amt entscheiden, ob eine Wohnung "baulich nicht erhaltenswert" ist oder nicht ?

  • Immer wieder dieses "15% in drei Jahren" Gequatsche. Auch wenn es von Vermietern und anderen, die es besser wissen müsssten ständig erwähnt wird, ist es falsch. Die Miete darf immer nur bis zur "ortsüblichen Vergleichsmiete max. um 20% (mit Mietpreisbremse 15%) innerhalb von 3 Jahren erhöht werden" und das auch nur alle 15 Monate.

    § 558 BBG - https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__558.html

     

    Wenn man schon auf dem Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete ist, kann nicht erhöht werden. Der Vermieter muss den Nachweis über die Vergleichsmiete erbringen.

     

    Richtig ist, dass bei einer Neuvermietung die Miete erstmal wieder frei verhandelbar ist.

  • Wenn ich mich richtig erinnere, in welch kurzer Zeit damals die ARGEn, später Jobcenter, aus dem Boden gestampft werden mussten, kann ich mir gut, nein sehr gut vorstellen, dass es da viele "Amtsstelleninhaber*innen" gibt, die mehr als zweifelhaft in Bezug auf Mitmenschlichkeit, Korruption, Machtmissbrauch, Gerechtigkeit, Gesetzestreue, Kenntnis der neuen Gesetze, etc. zu beurteilen sind.

     

    Dieser Fall zeigt mir mal wieder ganz deutlich, was für ein menschenunwürdiges System dieses AlG2 ist. Weg damit. BGE her.

     

    Und wann tut die Politik endlich etwas gegen diese Spekulationspraxis auf dem Wohnungsmarkt?! Das ist doch Daseinsvorsorge, keine Spielbank für die Besitzenden!

     

    Bau-Genossenschaften, kommunale Baugesellschaften, Baugemeinschaften von der Kommune gefördert z. B. mit Erbpachtgrundstücken, etc., etc.

     

    Wann kapieren die Städte und Kommunen endlich, dass es NUR mit der Bevölkerung geht, nicht gegen diese?!

    Das Geld, das da abgezogen wird fliesst doch der heimischen Wirtschaft überhaupt nicht zu.

  • Diesen Artikel sollte man Scholz, Heil und Nahles zu senden. Der Wahnsinn Hartz-IV und worum geht es hier eigentlich? Soll die Frau aus Deutschland mit zweifelhaften Methoden rausgeworfen werden? Ich finde es interessant, dass beim Jobcenter das Thema illegal immer wieder auftaucht. Mit Recht und Gesetz scheint das nicht zu funktionieren.

    • @Andreas_2020:

      Das was Sie sagen, kann man in vielen Mieter- und Arbeitsloseninitiativen hören. Dort spricht man vor allem über die Deutschen Bürger. Das Problem trifft also alle Menschen. SPD verliert seit Jahren viele Anhänger, obgleich das eine sehr gute Partei ist. HARTZ IV ist allerdings eine Sünde auch nach Meinung von vielen Christen!

      • @Stefan Mustermann:

        "SPD verliert seit Jahren viele Anhänger, obgleich das eine sehr gute Partei ist."

         

        Sie meinen wohl eher, "... eine sehr gute Partei war", denn seit Gerhard Schröder ist diese Partei von der CDU und der FDP nicht mehr zu unterscheiden. Wenn die SPD nicht zu ihren sozialen Wurzeln zurückfindet, dann wird es die SPD nach dieser GroKo nicht mehr geben.

      • @Stefan Mustermann:

        Dann müsste die CDU aber auch kräftig einbüßen, weil Merkel das ja vehement verteidigt und sogar verschärft hat. Aber Nein, darüber berichten die Medien nicht, immer nur, wenns was negatives gibt, über die SPD.

        In Punkto schwarze Kassen und illegalen Spenden der CDU oder FDÜP erfährt der "mündige Bürger" nichts .- Zufall??