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Coming Out per Instagram-PostGegen das Stigma

Conchita Wurst ist HIV-positiv. Ihr Coming Out hält der Gesellschaft den Spiegel vor: Betroffene haben oft mehr Angst vor Stigmatisierung als vor dem Virus.

Conchita Wurst im Mai 2015 Foto: ap

Conchita Wurst wurde 2014 in Kopenhagen zur Legende, als sie, Dragqueen aus Österreich, mit dem durchaus programmatischen Titel „Rise Like a Phoenix“ den Eurovision Song Contest gewann. Der bürgerlich als Tom Neuwirth 1988 in Gmunden, Oberösterreich, zur Welt gekommene Mann war in seiner aufgefummelten Rolle künstlerisch in jeder Hinsicht auf der Höhe der Zeit – und, was Homophoben in allen Ländern Europas ein besonderer Anlass des Hasses war, offen schwul. So eine wie die Wurst hatte es beim ESC noch nicht gegeben: Homosexuelle jede Menge, aber nur wenige, die daraus keinen Hehl machten.

Neuwirth, also Conchita Wurst, erntete für seine couragierte Performance jede Menge Lob, national, aber vor allem auch international. Sei es durch Einladung ins EU-Parlament, bei Shows mit Jean-Paul Gaultier, bei Besuchen am UN-Hauptquartier in New York: Conchita Wurst war, wie es in ihrer ESC-Siegeshymne hieß, „unstoppable“.

Wie mutig aber Tom Neuwirth in Wahrheit sein kann, bewies der österreichische Künstler nun per Instagram-Post, in dem es wörtlich heißt: „heute ist der tag gekommen, mich für den rest meines lebens von einem damoklesschwert zu befreien: ich bin seit vielen jahren hiv-positiv.“

Weiter schreibt der 29-Jährige: „das ist für die öffentlichkeit eigentlich irrelevant, aber ein ex-freund droht mir, mit dieser privaten information an die öffentlichkeit zu gehen, und ich gebe auch in zukunft niemandem das recht, mir angst zu machen und mein leben derart zu beeinflussen.“

Stärker, motivierter und befreiter denn je

Das ist keine Bagatelle: Auch wenn genaue Zahlen hier nicht zu erheben sind, befürchten sehr viele Menschen mit HIV-positivem Status, schwere Nachteile, sowohl beruflich als auch privat, sollte bekannt werden, dass sie sich mit dem Virus infiziert haben. Der kann sich zum Immunschwächesyndrom Aids auswachsen, sofern keine medikamentöse Behandlung den Krankheitsausbruch verhindert.

Conchita Wurst hat sich dem Erpressungsversuch nicht hingegeben, sie hat sich jetzt als HIV-positive Person bekannt. Mutmaßlich die Voraussetzung für dieses Outing wird die mächtige Unterstützung ihrer Person selbst durch ihre Familie sein – „ich wollte aus mehreren gründen bisher nicht damit an die öffentlichkeit gehen, nur zwei davon will ich hier nennen: der wichtigste war mir meine familie, die seit dem ersten tag bescheid weiss und mich bedingungslos unterstützt hat.“

Und an seine Fans schreibt Tom Neuwirth: „die information über meinen hiv-status mag neu für euch sein – mein status ist es nicht! es geht mir gesundheitlich gut, und ich bin stärker, motivierter und befreiter denn je. danke für eure unterstützung!“

Aids-Hilfen in aller Welt feiern jetzt die Initiative Wursts, und zwar mächtig: Als Zeichen, dass die stärkste Gefahr für die Gesundheit HIV-Positiver nicht in der Angst vor dem Virus selbst liegt – sondern in der Furcht, etwa als „Aidsvirenschleuder“ geächtet zu werden.

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6 Kommentare

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  • Genau dafür liebe ich die taz-Redaktion. Von Anfang an ein Kampf gegen das Stigma von HIV/Aids...auch wenn wir bei 99% aller anderen Themen diametral entfernt liegen.

     

    Weiter so!

  • "Betroffene haben oft mehr Angst vor Stigmatisierung als vor dem Virus."

     

    Diese Aussage ist falsch oder zumindest nicht zu interpretieren. Frau Wurst hat zu einer möglichen Angst vor dem Virus überhaupt keine Auskunft gegeben. Die Tatsache der Veröffentlichung ändert an dieser möglichen Angst auch rein garnichts.

    • @DiMa:

      Natürlich stimmt die Aussage, dass die meisten HIV-Positiven mehr Angst vor Stigmatisierung als vor der Krankheit haben. Bei den allermeisten Positiven ist durch eine erfolgreiche medikamentöse Behandlung das Virus wie auch bei Conchita dauerhaft unter der Nachweisgrenze. Da gibt es keinen Grund mehr noch Angst vor der Krankheit AIDS zu haben. Die Angst vor Stigmatisierung ist jedoch begründet.

      • @vulkansturm:

        Nur lässt sich diese Aussage nicht in die aktuelle Stellungnahme von Frau Wurst hineininterpretieren.

         

        Also hat der Autor entweder eigene Quellen und/oder Erkenntnisse oder er will einfach nur eine irgendeine Meinung abgeben.

         

        Ob Frau Wurst Angst vor dem Virus hat oder nicht ist schlichtweg nicht öffentlich bekannt (und mir auch vollkommen egal). Mir ist egal, ob jemand davor Angst haben müsste, nur schlechte Berichterstattung ist mir nicht egal.

        • @DiMa:

          Soo einfach ist das nun auch nicht mit dem Recht haben.

           

          "Betroffene haben oft mehr Angst vor Stigmatisierung als vor dem Virus."

           

          Die Aussage bezieht sich nicht auf Wurst sondern ist eine allgemeine Aussage über ein häufiges Empfinden anderer HIV infizierter.

           

          Vor dem Absenden eines Kommentars einen Kaffee trinken, vermeidet "oft" unnötigen Widerspruch :-)

          • @Sonntagssegler:

            Soso, die Aussage soll sich nicht auf Frau Wust beziehen? Wenn Sie Ihrem eigenen Rat folgen dann lesen Sie wohl vor der Kernaussage in der Überschrift folgendes:

             

            "Coming Out per Instagram-Post

            Gegen das Stigma. Conchita Wurst ist HIV-positiv. Ihr Coming Out hält der Gesellschaft den Spiegel vor: ..."

             

            Na wenn da kein Bezug zum Coming-Out (im Text 2x) von Frau Wurst (1x) geben soll, dann weiß ich auch nicht weiter.

             

            Das Ganze ist noch nicht mal als Kommentar gekennzeichnet. Sorry, das Urteil schlechter Journalismus wird nicht revidiert.