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Risikoforscher über Hundeangriffe„Chico muss eingeschläfert werden“

Risikoforscher Ortwin Renn erklärt, wieso wir mit gefährlichen Hunden leben. Für ihn kommt es nicht auf die Rasse, sondern auf die Haltung an.

Ein Hund mit reichlich Auslauf beißt nicht, sagt der Risikoexperte Ortwin Renn Foto: dpa
Interview von Malte Kanefendt

taz: Herr Renn, wieso halten wir uns Hunde, die gefährlich sind?

Ortwin Renn: Einige Menschen haben das Bedürfnis, jemanden um sich zu haben, dem sie Befehle erteilen können. Solche einseitigen Beziehungen, die auf Befehl und Gehorsam gründen, widersprechen eigentlich unseren gesellschaftlichen Normen. Dem Hund gegenüber kann man sich allerdings so verhalten ohne Kritik fürchten zu müssen. Ein körperlich besonders starker Hund kann zum Symbol der eigenen Stärke werden. Die HalterInnen glauben damit, eine Kraft unter ihrer Kontrolle zu haben, die bei anderen Eindruck machen und für Respekt sorgen soll.

Beweisen nicht die jüngsten Vorfälle in Hessen und Hannover, dass das ein Irrglaube ist?

Das sind dramatische Ereignisse, aber auch statistisch gesehen Ausnahmen. In der Regel haben die HalterInnen nicht nur Kontrolle über ihren Hund, sondern eine artgerechte Hundehaltung führt auch meist zu einer friedlichen Beziehung zwischen Mensch und Hund. Dennoch kann es jederzeit zu einer Reizüberflutung oder einer Reizkollision des Hundes kommen. Dann kann ein Hund auch gewaltvoll reagieren. Wenn eine Halterin vom eigenen Hund angegriffen wird, kann man natürlich argumentieren, dass sie es sich selbst zuzuschreiben hat. Ist ein Halter jedoch mit seinem Hund auf der Straße unterwegs, trägt er auch die Verantwortung für das Verhalten des Tiers. Je stärker der Hund ist, desto aufmerksamer muss auch der Halter auf mögliche Gefährdungen anderer achten.

Brauchen wir neue Gesetze, die das Risiko einer solchen Ausschreitung minimieren?

Wir haben schon einige Gesetze, die Leinen- und Maulkorbpflicht vorschreiben. Die Entscheidung, ob das umgesetzt wird, liegt bei den Kommunen. Es sollte eine Empfehlung der Bundesregierung geben, die das vereinheitlicht. Bestimmte Hunderassen haben weniger Beißhemmung als andere. Für diese sollte die Leinen- und Maulkorbpflicht, insbesondere in Innenstädten, eingeführt beziehungsweise verschärft werden. Es bleibt jedoch immer eine Frage der Gesetzesmäßigkeit. Auch kleine Hunde können Menschen unerwartet angreifen. Gesetze sollten auf keinen Fall bestimmte Hunderassen aus der Stadt verbannen.

Kritiker werfen Tierschützern, die das Leben von gewalttätigen Hunden retten wollen, eine Vermenschlichung des Hundes vor. Stimmt das ?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Häufig sind es die Tierschützer, die in der Vermenschlichung des Hundes eine große Gefahr sehen. Diese führe häufig zur Missachtung einer hundgerechten Haltung. Davon wird auch die Erziehung des Tiers beeinflusst und der Hund kann zum Instrument der eigenen Aggressivität werden. Dass Hunde teilweise in kleinen Wohnungen gehalten werden und fast nie Auslauf bekommen, ist der eigentliche Skandal.

Im Interview: Ortwin Renn

Ortwin Renn ist Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS) in Potsdam. 2014 erschien sein Buch „Das Risikoparadox. Wieso wir uns vor dem Falschen fürchten“

Was soll mit dem Hund Chico passieren, der in Hannover seine Besitzer tötete?

Hunde können nicht frei entscheiden und sind kein moralisches Subjekt. Auch über das Schicksal von Chico darf nicht moralisch diskutiert werden. Es geht hier nicht um eine Rassendebatte, sondern darum, die Umstände eines verhaltensauffälligen Hundes in den Blick zu nehmen. Chico hat keine Schuld auf sich geladen, sondern stellt eine objektive Gefährdung für Menschenleben dar. Sofern feststeht, dass er jederzeit wieder Menschen angreifen könnte, muss er eingeschläfert werden.

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8 Kommentare

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  • Im einführenden Absatz heißt es: 'Für ihn kommt es nicht auf die Rasse, sondern auf die Haltung an.' Weiter unten steht: dann:'Bestimmte Hunderassen haben weniger Beißhemmung als andere.' Letzteres ist korrekt - also kommt es auch auf die Rasse an! Trotz dieser Erkenntnis widerspricht sich der Autor wenige Sätze später: 'Gesetze sollten auf keinen Fall bestimmte Hunderassen aus der Stadt verbannen.' Ja. bei manchen Rassen ist eben die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs viel größer !

     

    Auch sind manche kleinen Hunde sehr aggressiv sein können. Aber diese können auch viel weniger Schaden anrichten.

    Für die meisten Angriffe sind Hunde mittlerer Größe verantwortlich. Große Hunde scheinen durchschnittlich eher 'über der Sache' zu stehen, sie scheinen ihren Frieden haben zu wollen. Allerdings gilt: Wehe wenn sie losgelassen - also angreifen! Hunde sind im Vergleich zur Körpergröße eben recht stark.

     

    Es gibt viele Rassen, die wenig Bewegungsdrang haben. Sie können ein Segen als Mitbewohner von älteren Menschen sein. Klar auch diesen täte Bewegung besser, was aber die Besitzer nicht (mehr?) verwirklichen können.

  • Die Rettet-Chico-Kampagne hat rassistische Untertöne. Wären der (Berichten zufolge) kleinwüchsige und krebskranke Besitzer und seine Mutter im Rollstuhl Blutsdeutsche und keine Albaner aus Kosova, gäbe es eine Welle des Mitleids mit den Opfern und keinen Heldenkult um den Köter.

  • Das ist ein Großstadtproblem.

     

    Hier in Niedersachsen, irgendwo in einem Dorf in meiner Nähe, fuhr diese Woche eine Sechzehnjährige mit ihrem Fahrrad an einem Bauernhof vorbei. Der Hofhund rannte ihr nach und biss sie in Arme und Beine.

     

    Das Mädchen kam in ein Krankenhaus. (Ja, es lebt noch.)

    Der Hund wurde eingeschläfert.

     

    (Es war übrigens ein Berner Sennenhund, kein Staff - aber das nur nebenbei.)

  • 8G
    83663 (Profil gelöscht)

    Das ist echt schon bald das Niveau der Zeitung mit den vier großen Buchstaben!!!

    „Chico muss eingeschläfert werden“, ist eine reißerische Verkürzung der Aussagen des Interviewpartners.

    Diese Tendenz der TAZ geht mir echt bald auf die Nerven!

    • @83663 (Profil gelöscht):

      So sind Taz-Überschriften häufiger mal.

       

      Manchmal spiegeln sie nicht mal richtig den Artikel wieder.

       

      Die Taz scheint auch zu meinen, sie braucht das.

       

      Die Artikel sind dann oft trotzdem moderat und differenziert.

    • @83663 (Profil gelöscht):

      Ist mir auch negativ aufgefallen, muss ich sagen. Eine Wenn-Bedingung weglassen und den Rest zur Überschrift machen ist nicht dramatisch, aber sicher nicht richtig.

    • @83663 (Profil gelöscht):

      Die Überschrift ist mit Anführungszeichen als Zitat gekennzeichnet, somit nicht als Aussage der TAZ.

      Ausserdem liegt es in der Natur von Überschriften, Inhalte verkürzt wiederzugeben - in diesem Fall das Fazit. Was auch sonst häufig vorkommt.

      Und natürlich soll eine Überschrift auch Aufmerksamkeit erregen und nicht auf einen inhaltslosen, langweiligen Artikel schliessen lassen.

      Aufgrund der Umstände ist das Fazit dann leider auch nüchtern bis deutlich, etwas überspitzt könnte man es auch reisserisch nennen.

       

      Im Übrigen ist ein Hund, der die Grenze zum Menschen deutlich überschritten hat, auch aus Züchtersicht nicht gesellschaftsfähig. Durch ausbleibende Vermehrung bzw. notfalls Tötung wurden schon immer bestimmte Charaktermerkmale bei Tieren betont oder beendet, so sind alle Hundecharakter entstanden.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @83663 (Profil gelöscht):

      Und das macht mit ihnen was? Können Sie deswegen nicht mehr schlafen?

       

      Kann man nicht einfach einen Text oder wie hier ein Interview lesen und seine eigenen Schlüsse ziehen?

       

      Und was denken Sie warum die taz die Aussagen "reißerisch verkürzt"?

       

      Um die Auflage zu erhöhen? Um für das Töten von Hunden zu werben?

       

      Ich versteh's nicht.....