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Kommentar RegierungserklärungMerkel bleibt Merkel bleibt Merkel

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Selbstkritisch startet die Kanzlerin ihre Amtszeit – spricht über ein gespaltenes Land, kritisiert sogar die CSU-Jungs. Dann wird's wieder merkelig vage.

Die Kanzlerin präsentiert sich so wie seit 13 Jahren: Sie kennen mich Foto: dpa

Langweilig“, „fast einschläfernd“, „mittelmäßig ambitioniert“ – die Kommentatoren gingen nicht freundlich mit Angela Merkel um, als diese 2014 in die dritte Amtszeit startete. Mal wieder eine Große Koalition, was war da schon groß zu erwarten?

Dann kamen die Flüchtlinge. Über eine Million Menschen sind seit 2015 aus Syrien und anderen Ländern nach Deutschland geflohen. Die Briten stimmten 2016 für den Austritt aus der EU. Und bei den Bundestagswahlen 2017 wurde die AfD drittstärkste Partei. Drei Punkte, die die Kanzlerin 2014 nicht im Manuskript hatte; drei Zäsuren, die Deutschland veränderten und weiter verändern.

Zum Auftakt ihrer vierten Amtszeit verhehlte Angela Merkel nicht, dass sie diese Dinge nicht hatte kommen sehen. Sie sprach ungeschönt über ein gespaltenes, polarisiertes Land. Ungewohnt selbstkritisch also startete sie in ihre vierte Amtszeit – und ebenso offensiv. Sie verurteilte das Vorgehen der Türkei in Afrin, drohte dem amerikanischen Präsidenten im Zollstreit mit Gegenmaßnahmen und – Höhepunkt ihrer Antrittsrede – widersprach den Jungs von der CSU, Innenminister Horst Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, auf offener Bühne: Der Islam sei inzwischen ein Teil Deutschlands. Das saß.

Aber es genügte nicht. Merkel versuchte sich an der großen Vision, entwarf fast so etwas wie einen Nachruf, der am Ende ihrer Regierungszeit stehen könnte: In vier Jahren soll die Gesellschaft menschlicher sein, der Sprung ins digitale Zeitalter geglückt und ein neuer Aufbruch für Europa erreicht sein. Was fehlte, war ein strategischer Ansatz, ein Fahrplan in diese schöne, menschliche, globalisierte und digitalisierte Welt. Kein Wort von Umverteilung im eigenen Land oder über den Umgang mit wachsender EU-Skepsis in den Nachbarländern. Stattdessen tat Merkel, was sie gern tut: Sie zählte Vorhaben auf, erwähnte einige noch zu gründende Kommissionen und versprach, selbst fleißig zu arbeiten.

Gerade für viele Europäer dürften Merkels wolkige Sätze zur EU eine Enttäuschung gewesen sein. Sie zählen auf Deutschland – gut möglich, dass diese Groko die letzte Regierungskoalition ist, die der EU noch aufgeschlossen gegenübersteht.

Die Enttäuschung bei den Deutschen dürfte sich in Grenzen halten. Die Kanzlerin präsentierte sich so wie seit 13 Jahren: Sie kennen mich. Doch zur guten Tradition gehört auch, dass jede ihrer Amtszeiten von unerwarteten Ereignissen geprägt war, auf die Merkel situativ reagierte. Auf Fukushima folgte die Energiewende, auf die Flüchtlingskrise die kurzzeitige Offenhaltung der Grenzen. Man darf also gespannt sein.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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6 Kommentare

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  • Immer mehr Menschen denken darüber nach, was passiert, und lesen Bücher. Einige Studentengruppen verteilen Grundgesetz in der Bevölkerung.

     

    Was macht die CSU?

     

    Innenminister Horst Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt treiben Wähler in die Hände der AfD. Es wird viel zu viel am Grundgesetz und wirklichen Problemen im Land vorbei gesprochen. Rechte Parolen werden laut geschrienen. Aber Menschen im Land sind nicht dumm. Obergrenze hin oder her. Die Lage für 13 Millionen Menschen im Land wird deswegen überhaupt nicht besser.

     

    Seehofer und Co. Sollten nicht ausschließlich im Bayern Trikot spielen und lediglich regionale Interessen im Focus haben. Das Team heißt Deutschland und nicht Bayern München!

  • "Gerade für viele Europäer dürften Merkels wolkige Sätze zur EU eine Enttäuschung gewesen sein"

     

    Merkel ist Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und nicht irgendein EU-Heini in Brüssel.

     

    Wenn die "Europäer" heulen ist das ein gutes Zeichen für alle Bundesbürger.

  • „Doch zur guten Tradition gehört auch, dass jede ihrer Amtszeiten von unerwarteten Ereignissen geprägt war, auf die Merkel situativ reagierte. Auf Fukushima folgte die Energiewende, auf die Flüchtlingskrise die kurzzeitige Offenhaltung der Grenzen.“

     

    Zum Glück reagierte Frau Merkel „situativ“, d. h., der Situation angemessen!

    Rechte und linke Populisten hätten vermutlich ihre jeweilige Patentlösung aus der Tasche gezogen, die entsprechend der jeweiligen Ideologie für und gegen alles helfen soll, aber in Wirklichkeit nichts bringt und alles eher noch schlimmer macht!

  • Na wunderbar, dann haben wir weitere vier spannende Jahre die weitsichtige Politik der eingeschlafenen Hand...

  • Frau Merkel hat mit Bayern-Horstl den größten Feind im eigenen Bett.

  • Charisma

     

    „Glauben Sie mir, um (auf dem Instagram-Konto von Bundeskanzlerin Angela Merkel) Charisma zu finden, muss man wirklich früh aufstehen.“ (Der Parteichef der französischen Konservativen, Laurent Wauquiez, vor Studenten einer Management-Schule bei Lyon, FAZ v. 17.02.2018)