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Ausstellung zum LautarchivWem gehört der Klang?

Die Ausstellung „[laut] Die Welt hören“ in der Humboldt-Box gibt einen Vorgeschmack auf die Präsentation von Lautarchiven im neuen Schloss.

Recht am eigenen Ton? Lars-Christian Koch, Direktor für die Sammlungen der Staatlichen Museen im Humboldt Forum, steht in der Ausstellung „Laut – Die Welt hören“ Foto: dpa

So richtig spannend wird es in einem Raum, wo sich alles um 1.280 Wachswalzen dreht. Sie wurden in den Jahren 1927 und 1932 von dem Musikethnologen George Herzog aufgenommen und gelangten nach Berlin, um dort galvanisiert zu werden – Wachs­walzen waren damals eine bereits veraltete Aufnahmetechnik, denn man kann sie nur zehnmal abspielen – dann werden sie unbrauchbar, während die galvanisierten Kupfernegative ewig halten.

Die Walzen enthalten freiwillige Aufnahmen von Zeremonialliedern des Navajo-Ritualsängers Hosteen Klah (1867–1937). Sie wurden 1999 von der Unesco zum Weltdokumentenerbe erklärt. Und doch dürfen sie, so der Beschluss offizieller Vertreter der Navajo in den USA heute, nicht einfach gehört werden. In diesem Raum herrscht anders als in allen anderen absolute Stille.

Es ist dieser Raum, in dem all die Fragestellungen kulminieren, um die sich beim Aufbau des Humboldt Forums im Berliner Schloss, das Ende 2019 eröffnen soll, alles gedreht hat. Der Raum ist einer der Bausteine der Ausstellung „[laut] Die Welt hören“, die gerade eröffnet hat und bis Mitte September zu sehen sein wird. Gezeigt wird ein Vorgeschmack darauf, wie sich das Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums und das Lautarchiv der Humboldt-Uni im Humboldt Forum präsentieren werden.

Letzteres enthält auch die recht bekannten Sprach- und Musikaufnahmen, die die 1915 gegründete Phonographische Kommission in deutschen Kriegsgefangenenlagern während des Ersten Weltkrieges erstellen ließ. Die zentrale Frage der Ausstellung lautet also nicht nur, wie Klänge aufgenommen werden und wie sie die Welt verändern, sondern auch: Wem gehören diese Klänge?

"[laut] Die Welt hören"

Die Ausstellung in der Humboldt-Box am Schlossplatz 5 geht bis zum 16. September, sie ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.

Viele Veranstaltungen gibt es dazu in der ganzen Stadt, zum Beispiel spielt am 13. April um 19 Uhr in der St. Elisabeth-Kirche in der Invalidenstraße 13 das Asil Ensemble für arabische zeitgenössisch-klassische Musik.

Auch zahlreiche öffentliche ­Angebote zur Ausstellung kann man wahrnehmen, zum Beispiel Kuratorenführungen, Workshops für Familien mit Kindern oder für Schulklassen oder Smalltalks zwischen Sprachwissenschaftlern und Poetry-Slammern. Alles weitere unter ­www.­humboldtforum.com. (sm)

Dialog mit Herkunftsländern

Gezeigt wird hier, dass der Versuch der Ethnologie, in den postkolonialen Diskurs einzutreten, sich der Welt zu öffnen und mit den Experten aus den jeweiligen Herkunftsländern ihrer Sammlungen partnerschaftlich und auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen, ziemlich unterschiedlich verlaufen kann.

So stellt die Ausstellung einerseits geglückte Kooperationen vor, etwa die mit der AMAR Foundation in Beirut, die ihre herausragende Sammlung traditioneller arabischer Musik und deren Bedeutung in Zeiten großer Flucht- und Migrationsbewegungen in der arabischen Welt zum Thema machen kann. Andererseits gibt es jenen Ausstellungsraum für die Zeremoniallieder der Navajo, die nach wie vor nicht gehört werden dürfen.

Der Quader mit der Schrift, die immer wieder verschwindet, soll an die zeremoniellen Sandgemälde der Navajo erinnern

Rainer Hatoum hat diesen Raum mitgestaltet, er steht vor einem liegenden Quader mit gläserner Oberfläche, in dem Schriftzüge auftauchen und wieder verschwinden. Er erklärt, warum hier nur etwas zu sehen und – wie gesagt – nichts zu hören ist. Und was es mit diesen Quader auf sich hat. Er soll an die zeremoniellen Sandgemälde der Navajo erinnern, die sofort nach ihrer Anwendung am Patienten wieder zerstört werden.

Begeisterung bis Argwohn

Der Ethnologe Hatoum versucht seit zehn Jahren, auf die Herkunftsgemeinschaft seines Forschungsgegenstands zuzugehen – und ist bei offiziellen Vertretern der Navajo auf ganz unterschiedliche Reaktionen gestoßen: von Begeisterung über Des­interesse und Argwohn bis zu Diebstahlvorwürfen und Rückgabeforderungen mit dem Ziel, die Walzen zu zerstören.

Für ihn kommt in den Verhandlungen, in denen man bisher auf keinen grünen Zweig gekommen ist, ein Problem auf den Punkt. Selbst Institu­tio­nen wie das Humboldt Forum, das nach wie vor den Anspruch hat, mit den Kulturen der Welt in einen Dialog zu treten, müssen diesem Problem hilflos gegenüberstehen.

Während, so Hatoum, die westliche Ethnologie im 19. Jahrhundert antrat, in Zeiten der Globalisierung vor allem Sprachen, Lieder und Artefakte bedrohter Kulturen zu sammeln, zu ordnen und zu bewahren, werden die Zeremoniallieder von einem Teil der Navajo als etwas betrachtet, das man gar nicht konservieren kann. Sie sehen die Lieder als konkrete Manifestationen höherer Mächte.

Hoffnung für Humboldt Forum

Nach dieser Auffassung können sie folglich nicht menschlich sein und zum Kulturerbe der Menschheit erklärt werden, noch sollten sie bewahrt werden. Bei einigen der Lieder, die Hosteen Klah vor knapp 100 Jahren eingesungen hat, handelt es sich sogar um Heilrituale, die heute noch zur Anwendung kommen, so Hatoum. „Einige meiner Gesprächspartner waren der Auffassung, sie würden für alle eine Gefahr darstellen, die sie hören, aber nicht gelernt hätten, mit ihnen umzugehen.“

Der gescheiterte Versuch der Zusammenarbeit mit dem zweitgrößten indigenen Volk in den Vereinigten Staaten spricht Bände im postkolonialen Diskurs über die Öffnung und Modernisierung der Museen. Es ist eine tolle Leistung, dieses Scheitern, ja diese Hilflosigkeit zu einem erhellenden Ausstellungsgegenstand entwickelt zu haben.

Es lässt auch auf das hoffen, was aus der großen Kulturbaustelle in der Mitte Berlins trotz aller Kritik der letzten Zeit – und zuletzt auch der wenig glanzvollen Personalentscheidungen – doch noch werden könnte.

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