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Kolumne Gott und die WeltVerdamp lang her

Kolumne
von Micha Brumlik

Die Epochen- und Generationenporträts der 68er füllen den Schreibtisch unseres Autors. Was könnte man diesen Narrativen noch hinzufügen?

Nit resignieren! BAP im Jahr 2012 Foto: dpa

D ie Zeit und ihre Erfahrung sind ein Rätsel. Man muss sich nur klarmachen, dass 1968 das Ende des Ersten Weltkrieges 50 Jahre zurücklag. Für damals 20-Jährige war das graue Vorzeit. Derzeit jedenfalls ist das Altern unserer, meiner Generation zu beobachten – was man auch an den vielen zum Thema erscheinenden Erinnerungsbüchern bemerkt.

So hat Heinz Bude einen elegant-pointillistischen Langessay unter dem Titel „Adorno für Ruinenkinder“ vorgelegt: eine konzise, der eigenen biografischen Verortung des 1954 geborenen Autors durchaus bewusste Erzählung.

Radikal ehrlich dann die Autobiografie meiner Frankfurter Schulkameradin Ulrike Heider, die unter dem Titel „Keine Ruhe nach dem Sturm“ ihre Frankfurter Zeit, den SDS, das Sektierertum der K-Gruppen, aber auch ihre späteren Versuche, in den USA der Last einer mörderischen deutschen Vergangenheit im Kontakt mit jüdischen Familien und Freunden Herrin zu werden, rückhaltlos und fesselnd offenbart.

Karin Wetterau wiederum hat eine pano­ramaartige Darstellung unter dem Titel „68. Täterkinder und Rebellen. Familienroman einer Revolte“ vorgelegt. Ihre bestens zu lesende Darstellung endet in dem Resümee, es sei die Leistung von 68 gewesen, „Scham und Schrecken ausgehalten zu haben, die Täter ermittelt und angeprangert und auch eine Sprache für das Leid der Opfer gefunden zu haben …“.

Claus Koch schließlich, lange Jahre Verlagsleiter bei Beltz, radikalisiert die Frage nach dem Erbe von 68, indem er eine Mehrgenerationenperspektive einnimmt. Sein Buch „1968. Drei Generationen. Eine Geschichte“ handelt von den Eltern, der eigenen 68er-Generation und schließlich – das ist neu – von den Kindern und Kindeskindern der 68er.

Echter demokratischer Fortschritt

Am Ende hofft Koch auf ebendiese Kinder, muss aber auch feststellen: „Danach [nach der Revolte] haben wir uns in alle Winde zerstreut, kaum noch gemeinsame Feste gefeiert, die meisten von uns blieben in ihrer Erinnerung an eine Zeit, die uns als Generation doch so stark verbunden und geprägt hat, allein.“ Wie es so ist mit dem Erwachsenwerden … Jedenfalls spielen immer wieder die Väter und die Last der NS-Zeit eine entscheidende Rolle.

Hätte ich ein Buch zu 68 zu schreiben, so würde ich es in literarisch vergleichender Perspektive tun und die Generation der gescheiterten 1848er – die statt der demokratischen Republik resigniert den Bismarckschen Obrigkeitsstaat bekamen – mit den letztlich doch erfolgreichen 1968ern vergleichen; mit einer Generation, die diesem Land trotz des Keifens der Meuthens, Dobrindts und Spahns einen echten demokratischen Fortschritt beschert hat.

Wilhelm Raabe (1831–1910) kann neben Theodor Storm und Theodor Fontane als einer der großen realistischen Autoren der deutschen Literatur gelten. Seine Romane und Erzählungen – von der „Chronik der Sperlingsgasse“ bis zum leider doch antisemitischen „Hungerpastor“ – geben ein genaues Porträt der deutschen Gesellschaft nach der gescheiterten Märzrevolution von 1848.

Nach 1848 aber wurden Revolutionäre verfolgt, in der „Chronik der Sperlingsgasse“ assoziiert ein Doktor Wimmer die oktroyierte Verfassung anspielungsreich: „Das Volk hat sich erkältet oder erhitzt; einerlei! Schwitzen! Schwitzen.“ Eben diese Misere kann man den 68ern nicht nachsagen.

Bei alledem: Immer wieder die Väter! Am besten hat die Kölschrock Gruppe BAP Lage und Lebensgefühl dieser, unserer Generation getroffen: mit ihrem Song „Verdamp lang her“ aus dem Jahr 1982, in dem es heißt: „Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert …“ Keine schlechte Voraussetzung, um weiterhin gute Politik zu betreiben beziehungsweise sie an nachrückende Generationen weiterzugeben.

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11 Kommentare

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  • Zitat: "Die Epochen- und Generationenporträts der 68er füllen den Schreibtisch unseres Autors. Was könnte man diesen Narrativen noch hinzufügen?"

     

    „Die 68-er“ sind womöglich die letzten gewesen, die sich selbst die ebenso dreiste wie falsche Behauptung abgekauft haben, sie wären eine einheitliche "Generation". Trotz schweißtreibendster Bemühungen erfolgsverwöhnter "Macher" hat sich seither niemand mehr gefunden, der wirklich glaubhaft und also irgendwie nachhaltig über eine „Generation“ nach „den 68-ern“ geschrieben hätte.

     

    Wahrscheinlich ist unsere Zeit ja einfach nur eine Zeit und keine „Epoche“ mehr. (Es gibt ja auch keinen Bob Dylan derzeit.) Wenn es also überhaupt noch eines zusätzlichen Buches zum Phänomen bedarf, dann ist es womöglich eins, das dieser Tatsache auf den Grund geht. Allerdings frage ich mich a), ob es ein solches Buch tatsächlich noch nicht gibt und b), ob ein Werk, das vorgibt, einen Mythos demontieren zu wollen, ein moralisches Recht hat, genau diesen Mythos finanziell auszubeuten.

     

    Nun ja. Alles nicht mein Problem. Vermutlich würde ein Buch mit dem Titel „Die letzte Generation“ ja sogar "gehen" auf den deutschen Markt. Der Hang des deutschen Bildungsbürgers zur unzulässigen Verallgemeinerung ist schließlich nach wie vor ungebrochen. Und kein Buch ist so schlecht, dass man sich nicht gemeinschaftsbildend darüber aufregen könnte.

     

    Allerdings ist der erwähnte Hang zur unzulässigen Verallgemeinerung noch immer keine gute Voraussetzung für eine „gute Politik“. Aber bis sich diese Erkenntnis allgemein durchsetzt, ist es vermutlich noch verdamp lang hin.

     

    Sieht mal wieder aus, als wäre auch ich „nit resigniert, nur reichlich desillusioniert“. Dabei bin ich doch (fast) eine Generation jünger als Wolfgang Niedecken. Die Zeit und ihre Erfahrung scheinen wirklich ein ziemliches Rätsel zu sein....

    • @mowgli:

      & Vorschlag zur Güte ausse Tüte

       

      "Mowgli: " Der Hang des deutschen Bildungsbürgers zur unzulässigen Verallgemeinerung ist schließlich nach wie vor ungebrochen. "

       

      "..Wahrscheinlich ist unsere Zeit ja einfach nur eine Zeit und keine „Epoche“ mehr.

      "(Es gibt ja auch keinen Bob Dylan derzeit.) "

       

      Ich sach ma:

      Das Pochen auf Epochen

      ist ungebrochen."

       

      Auch wieder wahr. Newahr.

    • @mowgli:

      ;) duck duck

       

      but - Sie san halt ein post(post?)Gummibärchen - noch nach Gummibärchen wie - Tiefgang Wolldecken Jan Feddersen & Co.

      Denne waren doch schon alle Eulen - mehr oder weniger verflogen ~>

      68er-basher!;))

      &

      AKW/Friedensbewegung etc waren crossing over & 68er - klug beraten -

      Nur gelegentlich den Schnabel aufzumachen.

      &

      Die "Motoren" post WK II - waren die "ante&postGebrochenen" - 37/38/39*f - die Trümmerkinder - wie die

      "Christianis" Ströbele & Semler etc.

      &

      Die BRD - wurde erstmals offen!

      politisch verhandelt mit - genau - Wiederbewaffnung & NotstandsNo.

      Von denen & den sonst - antiCarl-Schmitt-Fronde-Davongekommenen!

      (Hofgartenwiese1. - war ich ~20+)

      &

      Als solche in meiner Refizeit - über

      "§ 823 BGB & Eigentumsbegriff" Referate verteilen wollten - verdrehte das Gros doch längst die Augen.

       

      kurz - Die verschiedenen Bruch&Schnittstellen markieren

      Geschichte! - Gehen Sie zB einfach die

      Politikasterköpfe - in allen Parteien!! -

      Durch ~> Heute wird ganz offensichtlich - Woanders dess wichtige verhandelt. & Was auch immer genau.

      &

      Daß heute - EuGH & BVerfG - eigentlich ja "systemfremde" Einrichtungen - zunehmend treibendkorrigierende Kräfte sind - Stellt offene Fragen an das übrige politische System.

       

      kurz - Wie sagte es grad noch mein deutlichst jüngerer Tischnachbar -

      "GroKo¿! - wenn dir die Typen am Start anschaust - wünschte dir ja fast Siggi Plopp wieder - von der CDU/CSU mal ganz ab!" Na - Si'cher dat!

       

      Streiflicht.

  • Unter Beachtung der herausragenden Erfolge der 68er Generation bei der Verarbeitung und Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Debatten, bleibe ich mit dem gleiche Gefühl von „Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert …“ in einer nachfolgenden Gegeneration zurück.

    Denn aus persönlicher Erfahrung hat die 68er Generation auch sehr viele narzisstische Individualisten hervorgebracht, die sich ihrer eigenen Verantwortung in Bezug auf ihre z.B. Scheisdungskinder keine Mühe gemacht haben die Scherben ihres Handelns zusammenzufügen. Frei nach dem Motto: "Kaputt gemacht was mich kaputt macht, 'ne schöne Zeit gehabt und nach mir die Sinnflut..."

    Wo sind die Vorbilder dieser Generation heute, wenn man sie braucht?

  • Früher hat Opa aus´m Krieg erzählt, heute der große Bruder von der Front bei der Startbahn West, Mutlangen, Freie Republik Wendland...

    • @Thomas Schöffel:

      Ach Sie sanns.

       

      Naja - Ihre Jacke zieh ich mir ja eh nicht an.

      &

      Weil ich ja weiß - daß Sie doch eher ein empfindlich Kerlchen sann - gell. Drück´ich´s mal was höflicher so aus. ~>

       

      Ha noi. Hätt Sie für intelligenter gehalten.

      Aber. "Desch - ischt under Ihrem Niveaoouu" - gell!

       

      Mit dem öllen Jöhten will ich Ihnen deswegen gar nicht erst kommen.

      Aber - "Ein Volk, das seine Vergangenheit vergißt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." by Pinchas Lapide https://de.wikipedia.org/wiki/Pinchas_Lapide

       

      Soweit mal. Mehr könnte Sie ja verunsichern. Newahr.

      • @Lowandorder:

        "Ein Volk, das seine Vergangenheit vergißt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."

         

        Das Zitat hat mich tief beeindruckt, weil wir mitten drin sind im Wiederholen.

      • @Lowandorder:

        Mannomann, hey rafft´s nich. Heute verklären die alten Alt-68er ihren Kram wie weiland eben die Reichswehr-Alten ihren Kriegsscheiß: Oh was haben wir früher doch für das Richtige gekämpft. Alte Leute im verklärten Rückblick eben. Welche Jacke oder Schuh Sie sich davon antrekken wulln oder nich, is mir schnurz. Immer diese Pseudo- und Möchtegernintellektualität. Bei den einfachsten Sachen kommense mit Niwau und Jöhte. Wer hier wohl was nötich hat.

        • @Thomas Schöffel:

          "Draapen sä de Jung - dor harr hei sin

          Mouder 'n Oug utsmeeten!"

          • @Lowandorder:

            Übersetzen Sie mal bitte. Auch wenn das letzte Wort unverständlich ist, Hauptsache Sie haben´s. Da mähtste nixx. Kerrr. Woll. Jauwaupau mau.

  • Naja. Ok. Micha Brumlik halt.

     

    But. BAP - Tiefgang Wolldecken! Hä?

    Ja wie? Geht´s noch?

    Kannste ja auch gleich "Hobo Bob op kölsch......" - Ein Aufschrei!

    Na - Si´cher dat. Da mähtste nix.

    Normal.

     

    kurz - Schuster bleib bei deinem Leisten.

    Das ist - ja doch schonn eh schwierig genug - kerr!