Medikament aus Abfallstoffen: Grüne Chemie hilft Malariakranken
MPI-Forscher entwickeln ein neues Verfahren zur Gewinnung des Wirkstoffs Artemisinin. Genutzt werden dazu Pflanzenabfälle.
Wissenschaftler von zwei Max-Planck-Instituten haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich ein Impfstoff gegen die Tropenkrankheit Malaria schneller und zugleich umweltfreundlicher als bisher herstellen lässt. Mit dem Transfer aus der Grundlagenforschung in die pharmazeutische Praxis ist bereits begonnen worden. Ein Potsdamer Forschungsunternehmen ist an der großtechnischen Produktion des Wirkstoffs Artemisinin im US-Bundesstaat Kentucky beteiligt.
Keine Scheu vor Superlativen: „Unser Durchbruch bei der Produktion schafft die Möglichkeit, Millionen von Menschenleben zu retten“, sagte der Biochemiker Peter Seeberger, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung, bei der Vorstellung des Verfahrens vorige Woche in Berlin. „Da sich jetzt die Kosten für Anti-Malaria-Medikamente deutlich senken lassen, können viel mehr an Malaria erkrankte Menschen davon profitieren“, so Seeberger.
Anlass war die Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Papers mit der Beschreibung des Verfahrens in der Zeitschrift Angewandte Chemie International. Erstautorin ist die Chemie-Doktorandin Susann Triemer vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg.
Hintergrund: Die von Moskitos übertragene Malaria (Sumpffieber) ist eine der am meisten gefürchteten Krankheiten in den tropischen Regionen. An ihr erkranken jährlich mehr als 200 Millionen Menschen. Rund 650.000 Kranke sterben jährlich an den Folgen der Malaria, der übergroße Anteil von ihnen – mehr als 600.000 – sind Kinder unter fünf Jahren. Als wirksam haben sich Medikamente mit dem Pflanzen-Wirkstoff Artemisinin erwiesen, der aus dem Einjährigen Beifuß (Artemisia annua) gewonnen wird.
Für die wissenschaftliche Grundlegung dieses Verfahrens wurde 2015 die chinesische Forscherin Tu Youyou mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Der großflächige Anbau der Beifußpflanzen hat vor allem in Vietnam Tradition. Die pharmazeutische Nutzung ist aber bisher extrem aufwendig. Das macht die Medikamente gerade in den Ländern, in denen sie gebraucht werden, besonders teuer, was zudem Arzneifälscher auf den Plan bringt.
Ein bisher ungenutztes Nebenprodukt
„Unser Prozess stellt einen konzeptionellen Sprung in der Naturstoffsynthese dar“, hebt Forscher Seeberger hervor. An seinem Institut, dem MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung mit Sitz in Potsdam-Golm, war es schon 2012 in einem ersten Schritt gelungen, den gesuchten Wirkstoff aus der Vorläufersubstanz Artemisininsäure DHAA zu erzeugen.
Die Artemisininsäure war bis dahin ein ungenutztes Nebenprodukt, das bei der Isolierung des Wirkstoffs Artemisinin aus der Pflanze entstand. Der Planzenabfallstoff konnte von dem Seeberger-Team mit Techniken der Durchflusschemie in kurzer Zeit und mit hohen Ausbauten des gewünschten Wirkstoffs umgewandelt werden. Durch die Kopplung der Verfahren Chromatografie und Kristallisation ließen sich so Wirkstoffe in großer Reinheit erzeugen, die den Nutzungskriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO entsprachen. Schon damals war das Golmer Institut in der Lage, wie Seeberger berichtet, „das von den Extrakteuren gewonnene Artemisinin in den Schwellenländern direkt in Medikamente umzuwandeln und andererseits zusätzlich aus dem Abfall Medikamente herzustellen“.
Jetzt wurde dieser Prozess von einem Team um den Wissenschaftler Kerry Gilmore am Golmer MPI nochmals deutlich verbessert, weil der pflanzliche Ausgangsstoff DHAA nicht mehr aufwendig gereinigt werden muss. Der Kniff: Das Chlorophyll der Pflanze wird als Katalysator eingesetzt, der die Umwandlung beschleunigt. Das Verfahren ist zudem ökologischer, weil nicht mehr umweltbelastende Fotoaktivatoren eingesetzt werden müssen.
Zurück zur Natur
Auf die Idee mit dem Chlorophyll war die Magdeburger Chemiedoktorandin Susann Triemer gekommen. „Der Trick ist eigentlich, dass wir von herkömmlichen Methoden zurückgegangen sind zur Natur“, erzählt die Wissenschaftlerin. „Wir nutzen im Labor das Chlorophyll, das eh schon in der Pflanze ist, um für uns die Reaktion durchzuführen.“ Der grüne Pflanzenstoff fängt die Lichtenergie ein und stellt dadurch Zucker her, die klassische Fotosynthese. Triemer versetzte den Rohextrakt mit Chlorophyll anstatt wie bisher mit einem teuren und giftigen Farbstoff, schickte ihn durch einen transparenten Plastikschlauch und bestrahlte ihn mit Licht. Zur Überraschung aller kam auf diese Weise am Ende der Pipeline eine große Menge an Artemisinin heraus. Wunder der „grünen Chemie“.
Die Effekte für die Produktion sind bedeutend. Der Umwandlungsprozess vom DHAA-Vorläufer zum Artemisinin-Wirkstoff, der in der Natur üblicherweise rund drei Wochen dauert, kann nun auf nur noch 15 Minuten verkürzt werden. Der Prozess ist nach Angaben Seebergers so effizient, „dass sich damit das 50- bis 100-Fache der natürlichen Konzentrationen an Artemisininsäure verarbeiten lässt“.
Zusammen mit seinem Mitarbeiter Kerry Gilmore hat Seeberger schon vor einiger Zeit das Forschungs-Start-up ArtemiFlow gegründet, das nun die im Labor erprobte Technik in den Markt bringen will. Konkrete Gespräche gibt es bereits mit dem US-Bundesstaat Kentucky, wo der traditionelle Anbau von Tabakpflanzen kontinuierlich zurückgeht, indirekt verursacht durch eine andere Krankheit: Lungenkrebs durch Zigarettenrauchen. Bei der Suche nach Nachfolger-Kulturen für die heimische Landwirtschaft ist man in Kentucky auf die Arzneipflanze Beifuß gestoßen.
„Da wir die gesamte Lieferkette kontrollieren und die großtechnische Produktion von Malariawirkstoffen in jeder Phase verbessern, können wir den Prozess nun industrialisieren“, sagt der aus den USA stammende Gilmore. Derzeit befinde man sich in Gesprächen mit möglichen Förderern, darunter die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die viel Geld in die Medizinforschung für Entwicklungsländer steckt. Konkrete Planungen für die Artemisinin-Gewinnung haben die Forscher-Unternehmer bereits: „Unser Ziel ist es“, erklärt Gilmore, „dass wir innerhalb von drei Jahren 50 Tonnen pro Jahr produzieren, das sind ungefähr 20 bis 25 Prozent des Weltmarktes.“
MPI-Direktor Seeberger blickt noch weiter, denn das Verfahren lässt sich auch für die Entwicklung anderer Therapeutika einsetzen: „Es bietet die Chance, nicht nur die Herstellung von Malaria-Medikamenten zu revolutionieren, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten für andere Arzneistoffe, die ähnlich hergestellt werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen