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Pipeline schlägt Wellen

Für die Wirtschaftsbeziehungen war die Kumpanei zwischen Schröder und Putin gut. Für Polen nicht

VON KLAUS-HELGE DONATH (MOSKAU) UND GABRIELE LESSER (WARSCHAU)

Im Beisein von Russlands Präsident Putin und Bundeskanzler Schröder wurde gestern im Berliner Hotel Interconti ein Vorvertrag über den Bau einer Gaspipeline unterzeichnet, die vom russischen Wyborg nach Greifswald verlaufen soll. Dass es sich bei der Blitzvisite des Kremlchefs kurz vor der Bundestagswahl um einen Freundschaftsdienst für den angezählten Kanzler handeln könnte, wurde in Moskau verneint. Schließlich träfe Putin in der russischen Botschaft auch mit der Kanzlerkandidatin Merkel zusammen, hieß es.

Ursprünglich war die Unterzeichnung des Vertrags zwischen dem staatlichen Energiegiganten Gazprom und den deutschen Partnern Eon und BASF indes für den Oktober vorgesehen. Nach einem „Energiegipfel“ sollte das Röhrenwerk im Rahmen der deutsch-russischen Regierungskonsultationen in der sibirischen Stadt Tomsk verabschiedet werden.

Das Geschäft mit Gazprom birgt ein Novum. Zwar deckt Deutschland bislang schon ein Drittel seines Bedarfs durch russische Energieträger. Die enge Verzahnung mit Gazprom sichert Eon jedoch darüber hinaus einen Platz direkt an der Quelle, wie es Michail Kamynin, Sprecher des Moskauer Außenministeriums, formulierte.

Die Vertreter der deutschen Wirtschaft sind mit der kumpelhaften Beziehung des Kanzlers zum Kremlchef bislang gut gefahren – für das Geschäft mit Russland ist ein solches „Vitamin B“ kein nebensächlicher Faktor. Daher sorgt der erwartete Regierungswechsel in Moskau für ein wenig Unruhe. Wladislaw Below vom Europa-Institut der Akademie der Wissenschaften glaubt zwar, dass sich an der grundsätzlichen Linie der bilateralen Beziehungen nichts ändern werde, „bestimmte Mechanismen werden aber verschwinden“. Auch Kamynin betonte, dass nach einem Wechsel die Entwicklung der strategischen Partnerschaft mit Berlin oberste Priorität behalte.

Ähnlich stellte es Wolfgang Schäuble bei seinem jüngsten Moskau-Besuch dar: Am außenpolitischen Kurs gegenüber Moskau werde sich nichts ändern. Dennoch kritisierte Schäuble gestern den „deutsch-russischen Alleingang“ bei der Ostsee-Pipeline. Im SWR sagte er, man hätte mit Polen und den baltischen Staaten über das Projekt reden müssen. „Es ist eine Katastrophe, dass wir in den letzten Jahren durch rot-grüne Politik so viel neues Misstrauen in Polen angesammelt haben.“

Tatsächlich schlagen die Wogen der Erregung über die Ostsee-Pipeline in Polen hoch. „Schröder-Putin-Pakt“, „Gas-Erpressung“ oder „Das Abschiedsgeschenk Schröders – eine Röhre gegen Polen“ – so lauten derzeit die Schlagzeilen in den polnischen Medien. Das Projekt sei mehr als nur ein gutes Geschäft für Deutsche und Russen. Die Pipeline stehe für ein „neues Rapallo“, eine deutsch-russische Geopolitik, die 1922 schon einmal Europas Frieden in Gefahr gebracht habe.

Tatsächlich ist Polens Energiewirtschaft in hohem Maße abhängig von den Öl- und Gaslieferungen aus Russland. Über 90 Prozent des 2004 verbrauchten Erdöls kamen aus Russland, 42 Prozent betrug der Anteil beim Gas. Versuche, auch mit anderen Gas- und Öllieferanten Verträge abzuschließen, scheiterten entweder am Preis für den Rohstoff oder an zu komplizierten und daher ebenfalls zu teuren Lieferwegen. Die polnische Regierung setzte daher alles daran, die Routenführung der Pipelines so zu beeinflussen, dass sie durch mehrere Länder gehen. Mit dieser Politik einer verstärkten gegenseitigen Abhängigkeit wollte Polen verhindern, dass der Kreml in einer Krisensituation Polen von der Öl- oder Gaszufuhr abschneiden und einfach den Hahn zudrehen könnte. Dies hatte Russland bereits gegenüber Weißrussland und der Ukraine praktiziert, sodass die Furcht, beim nächsten Mal könnte es Polen treffen, nicht unberechtigt scheint. Doch Vorschläge Polens für die „Jamal II“- Pipeline durch Weißrussland und Polen wurden von Gazprom zurückgewiesen.

Allerdings gibt der führende Präsidentschaftskandidat Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform (PO) selbstkritisch zu, dass das große „Weh und Ach“-Geschrei Polens etwas zu spät komme: „Ich habe sowohl mit Kanzlerkandidatin Angela Merkel als auch mit dem Bundespräsidenten Horst Köhler über das heikle Thema der Ostsee-Pipeline gesprochen“, berichtete er in der Batory-Stiftung. „Beide waren überrascht über unsere dezidierte Ablehnung der Pipeline, insbesondere aber über den späten Zeitpunkt unseres Protests.“ Die Hoffnung, dass die beiden konservativen Politiker oder eine mögliche CDU-Regierung das Projekt noch stoppen könnten, hege er nicht mehr.

Andere Politiker in Polen sind da weniger diplomatisch. So warf Radek Sikorski, der als künftiger Außenminister gehandelt wird, den Deutschen Wortbruch vor. Der in Danzig gesprochene Satz von Bundespräsident Köhler „Nichts über euch ohne euch“ stehe im Widerspruch zu dem Projekt. Staatspräsident Kwaśniewski forderte Merkel auf, im Falle ihres Wahlsieges den Vertrag rückgängig zu machen.

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