Agrar-Expertin über Lidl-Fleischsiegel: „Lidl ist weiter als die Politik“
Die Haltungsbedingungen der Tiere will Lidl bei seinen Fleischprodukten ausweisen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung, findet Stephanie Töwe-Rimkeit.
taz am wochenende: Frau Töwe-Rimkeit, Lidl will ab April alle Frischfleischprodukte seiner Eigenmarken nach den Haltungsbedingungen der Tiere kennzeichnen. Es soll vier Stufen geben: Stallhaltung, Stallhaltung mit mehr Platz, Auslauf und Bio. Ist das eine gute Idee?
Stephanie Töwe-Rimkeit: Für uns ist das auf jeden Fall ein Erfolg. Wir haben jetzt seit neun Monaten eine Kampagne gegen Lidl geführt und ebendiese Transparenz eingefordert, dass der Verbraucher erkennen kann, aus welcher Haltung das Stück Fleisch stammt. Denn das war bisher nicht der Fall. Die Kriterien für die einzelnen Stufen gehen jedoch noch nicht weit genug, sie müssten noch verschärft werden.
Langfristig will Lidl kein Fleisch der untersten Stufe (Stallhaltung) mehr verkaufen – ist das realistisch?
Den Schritt, den Lidl da gehen will, den gesetzlichen Mindeststandard in der Fleischproduktion nicht mehr im Regal anzubieten – das ist realistisch und machbar. Langfristig erhoffen wir uns aber, dass immer mehr in Stufe 3, Auslauf, und Stufe 4, Bio, geht. Denn die Mindeststandards der zweiten Stufe reichen nicht aus, um mehr Tierschutz in die Ställe zu bringen. Da müsste noch mehr passieren.
Kann solch ein Kennzeichnungssystem eine gesetzliche Kennzeichungspflicht ersetzen?
Aus unserer Sicht nicht. Das ist ein Anstoß und zeigt, dass Lidl weiter ist als die Politik. Wir brauchen aber auf jeden Fall eine gesetzliche Haltungskennzeichnung, sonst verliert sich der Verbraucher irgendwann im Label-Dschungel an der Fleischtheke. Die Koalitionsparteien müssten das jetzt in den Koalitionsvertrag aufnehmen und sich von der freiwilligen Kennzeichnung verabschieden.
Werden jetzt auch andere Discounter nachziehen?
Wir hoffen sehr, dass Lidls Schritt eine große Wirkung auf den Markt hat, was die Transparenz angeht. Und letztendlich auch auf die Marktentwicklung hin zu besserer Tierhaltung. Auch Aldi zum Beispiel gab letzte Woche bekannt, dass sie mit einer eigene Marke Produkte, die aus besserer Tierhaltung kommen, promoten wollen. Wir sehen aber eine große Gefahr, wenn jeder Händler das jetzt auf seine eigene Art und Weise tut. Am allerbesten wäre deshalb dem politisch etwas vorzugeben.
Hat das staatliche Tierwohl-Label den Anstoß für Lidl gegeben?
Das staatliche Tierwohl-Label ist bis heute eine einzige PR-Maßnahme von Landwirtschaftsminister Schmidt gewesen. Im Prinzip weiß bis heute keiner genau, was für Kritieren sich dahinter verbergen. Man kann also nicht sagen, dass das Anstoß für Lidl war, sondern ich glaube eher, Lidl ist ihm da zuvorgekommen. Und hat eine Vorreiter-Rolle übernommen, die eigentliche der Minister hätte übernehmen müssen. Das ist tatsächlich ein Armutszeugnis für das Landwirtschaftsministerium.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss