Helmut Höge schlendert über die „Fressmesse“ Grüne Woche: Kaviarschnittchen und Wodka sind ein guter Grund
Seit der Grünen Woche im Jahr 1990, auf der die LPG Tierproduktion „Florian Geyer“, in der ich damals arbeitete, einen Stand hatte, besuche ich diese „Fressmesse“. Die LPG hatte man mit ihrem Stand in der Ökohalle platziert – ein Witz! Aber jetzt, nach 28 Jahren, sind die Witze auf der Grünen Woche noch „witziger“: wenn zum Beispiel eine automatische Ferkel-Kastriermaschine „Ferkelglück“ heißt.
Auf einem Hof an der Weser musste ich auch einmal Ferkel kastrieren, von denen viele zudem noch einen Hodenbruch hatten, sodass ich ihre Bauchdecke anschließend zunähen musste. Das war aber auch meine einzige Erfahrung mit körperlicher Gewalt in der Tierhaltung, wenn man von den wenigen Malen absieht, da ich einem Rind mit dem Hütestock einen Hieb zwischen die Hörner gab, weil es den Betrieb aufhielt. In der LPG erfuhr ich, dass bei ihrem Umtreiben so oft Stöcke zum Einsatz kamen, dass der Schlachthof oft ganze Partien Leder rausschneiden und wegschmeißen musste, weil sie voller Blutergüsse waren. Sie rüsteten daraufhin die Tierproduktions-LPGs mit elektrischen Schlagstöcken aus.
Auf der jetzigen Grünen Woche, muss ich gestehen, waren ich und meine Begleitung vor allem wegen des Wodka-Kaviarschnittchen-Angebots an den Ständen der osteuropäischen Länder. Und wurden auch nicht enttäuscht, zumal Russland heuer wieder auf der Messe vertreten war. Es geht auf der Grünen Woche aber ja nicht nur um das Vernutzen von Tieren und Pflanzen, sondern auch um ihre Alsobhut – als umsorgtes Haustier oder Topfpflanze.
In dieser Hinsicht wird es immer bunter: Das nach der Wiedervereinigung privatisierte Westberliner Tierkundemuseum zeigte an seinem Stand in den Händen von jungen Frauen handtellergroße Gespenstschrecken, die sich langsam davonzustehlen versuchten. Daneben befand sich ein Stand der Berliner Spinnenfreunde mit einer jungen „Spinnenkönigin“ aus Sachsen-Anhalt davor, die eine große Vogelspinne in der hohlen Hand hielt, es war aber nur ein Exoskelett (Außenskelett, Anm. d. Red.), über das sie jedoch kundig Auskunft gab. Auch die Becken der Aquarianer und die großen Käfige mit seltenen Katzen, die meist schliefen, interessierten uns.
Vom Stand der Wolfsgegner, die natürlich ständig von Wolfsschützern sprachlich herausgefordert wurden, kamen wir dagegen einfach nicht weg – obwohl uns deren „Problemwölfe“ nicht interessierten, weil wir einstweilen noch mehr mit den sieben Milliarden „Problemmenschen“ hadern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen