piwik no script img

Wird Hamburg noch eine richtige Stadt?Willkommen, neue Dichte!

Die Wohnungsnot in den Großstädten gebiert eine neue Architektur der Verdichtung. Führt die zu mehr Stress? Quatsch, Hamburg zum Beispiel kann sie nur gut tun.

Haus an Haus und dazwischen Verkehr: Altonas neue Dichte Foto: Miguel Ferraz

„Hamburg hat meine Illusion von der Großstadt zerstört.“ Das hat mal ein junger Student aus Bosnien gesagt. Er hatte seine neue Heimat zu Fuß erkundet, war radial vom Zentrum aus losmarschiert – und immer wieder erschrocken, wie jäh endete, was er für Stadt hielt.

Stattdessen, gleich hinter Eimsbüttel: breite Straßen, von denen sich wie zufällig hingewürfelte Wohnbebauung abwendet, dazwischen Rasen und Gestrüpp. Mietskasernenriegel. Einfamilienhaushölle. Es fehlt jeder Zusammenhang. Mitten in dem, was die Hamburger ihre Stadt nennen, eine Art vorgezogener Speckgürtel, der jedes Wachsen tatsächlich urbaner Strukturen abschnürt.

Die Unwirtlichkeit dieser zersiedelten Zwischenwelt hat sich herumgesprochen. Alles drängt heute in die innerstädtischen Viertel, am liebsten in eng gebaute Gründerzeitzeilen, die noch bis in 1980er-Jahre dem Verfall preisgegeben schienen. Heute strahlen sie eine Behaglichkeit aus, die nicht nur in der historischen Bausubstanz gründet, sondern auch in dem Gefühl der Möglichkeit von Gemeinschaft.

Der hohe Druck auf den Hamburger Wohnungsmarkt potenziert sich in diesen Vierteln, und das ist gut so. Denn er führt dazu, dass sie ganz allmählich wachsen. An ihren Rändern werden Gewerbetreibende weichen müssen, die dort bislang noch mit einstöckigen Lagerhallen aasen dürfen, und, das stimmt, auch manch Kleingarten oder Hundekackwiese. Stattdessen entstehen zentrale Stadtviertel wie die „Neue Mitte Altona“, die enger und höher gebaut sind, als man das nach dem Zweiten Weltkrieg je gewagt hat.

Und die begehrten Viertel „wachsen“ auch nach innen. Der Hype macht Baugrundstücke rentabel, an die Immobilienentwickler jahrzehntelang keinen Gedanken verschwendet haben: Zu klein, zu laut, rechtlich zu kompliziert schienen lange die Brachen, Hinterhöfe oder Hauptstraßenränder. Nun werden überall Baulücken geschlossen, Nachkriegspavillons abgerissen und Häuser aufgestockt. „Nachverdichtung“ ist das Stichwort, das Investoren frohlocken und manchen Anwohner zittern lässt.

Ist das jetzt ein historischer Rückfall, ein Produkt verschärfter Kapitalverwertung ebenso wie der Einsicht der Hamburger SPD, dass ihre Wohnmaschinen auf der grünen Wiese gescheitert sind? Drohen wieder Zustände wie einst im Hamburger Gängeviertel, das die Nazis in einer Pervertierung des Lebensreform-Ansatzes von „Licht und Luft“ einfach platt gemacht haben?

Mit dem bunten Leben ist es immer genau im Moment des eigenen Zuzugs gerade genug. Mehr Leben ist irgendwie ungesund

Nein, schon die Brandschutzauflagen verhindern, dass wieder so gebaut wird wie im Gängeviertel, wo sich einst ein windschiefes Haus ans andere lehnte und mancher Wohnverschlag nur über eine wackelige Stiege erreichbar war.

Mehr Menschen = mehr Stress?

Aber nimmt nicht mit der Zahl der Menschen in der Stadt unweigerlich auch der Stress zu? Das Argument bringen komischerweise immer jene vor, die sehr bewusst in eines der innerstädtischen Viertel gezogen sind – weil sie so bunt und lebendig sind, weil sie ein „kreatives“, also eigentlich: der Kreativität förderliches, Ambiente bieten. Nur ist es mit dem bunten Leben immer genau im Moment des eigenen Zuzugs gerade genug. Mehr Leben ist irgendwie ungesund, mehr Menschen von Übel.

Dabei sind es doch nicht die Menschen, die Stress verursachen. Früher, in der viel beklagten Stadt des 19. Jahrhunderts, war es der Lärm der industriellen Revolution, der einen in den Wahnsinn treiben konnte. An jeder Ecke eine Werkstatt, ein Sweatshop, eine Fabrik; Dampfhämmer wummern, Funken sprühen, ein infernalischer Krach. All das hat die moderne Stadtplanung ja längst vom Wohnen geschieden, wenn es nicht durch Emissionsschutz ganz abgeschafft ist. Noch nie war die Stadt so leise wie heute.

Heute ist der Stressfaktor Nummer eins der Verkehr. Und dagegen kann man leicht etwas tun: Nahverkehr billiger machen, Taktung erhöhen, Anwohnerparken, Tempo-30-Zonen, die Elektromobilität endlich wirksam fördern. Und vielleicht ein paar Halligalli-Events weniger. Dann werden neue Nachbarn leicht zu verkraften sein.

Den ganzen Schwerpunkt zum Streit um den Wohnungsbau lesen Sie in der taz am Wochenende am Kiosk oder hier.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Je dichter die Stadt wird, desto wärmer wird sie. Im Sommer wird das unangenehm werden, stickig und staubig.

    Und das Fenstet zu öffnen wird auch schwierig, denn Dichte produziert Lärm, und außerdem ein starkes Echo. Ich wohne schon so, und das ist nicht schön. Von der "Eckigkeit" des neuen Stils mal ganz abgesehen.

  • Und wo sollen denn die Gewerbetreibenden hin? Soll der Klempner immer aus dem Umland kommen? Wo wollen sie Sport treiben? Eine Schule? Ein Kindergarten? Wohin damit? Ins Gewerbegebiet?

  • Nee, wir brauchen Gärten in der Stadt, sonst erstickt man da. Da ist vielleicht mal eine Zeit lang lustig, aber 20 Jahre kannst du nicht in der Betonhölle wohnen. Der enge Blick schränkt die Gedanken ein, die Luft ist zum Kotzen. Früher waren die Städte enger, aber eben auch kleiner. Jetzt kommst du da kaum noch raus.

  • Kapiert hat man es aber dennoch nicht in der Stadtverwaltung.

    Stattdessen wachsen 20min vom HBF entfernt demnächst in Allermöhe Einfamilienhaussiedlungen in unendliche Breiten da dort ein weiteres riesiges Neubaugebiet geplant ist. Auch in Wilhelmsburg wird nicht Kirchwerder zu einem neuen Stadteil mit urbaner Struktur ausgebaut sondern zu vereinzelten Häusern zwischen Kleingärten und grünen Feldern. Selbiges gilt auch für Flächen 5 Gehminuten vom Bahnhof Harburg entfernt. Dort entstehen Kleingärten

    Was es wirklich braucht ist ein Ausbau der Stadt und nicht der Einfamilienhauswüsten drum herum. Dann wäre auch Raum für sozialen Wohnungsbau da.

    • @Oskar:

      Die Einfamilienhäuser werden privat von den Familien hochgezogen, die nicht in Sozialbauwohnungen wohnen wollen und sonst die Biege machen in andere Städte. Bauen können, ein Einfamilienhaus ist für manche ein Muß, wenn sie einen neuen Arbeitsplat annehmen in Hamburg. Raum für sozialen Wohnungsbau ist zudem genügend vorhanden.

      • @Rudolf Fissner:

        Aber eben nicht im Bereich der Stadt sondern irgendwo hinter Bergedorf. In unter einer halben Stunde Entfernung zu City sollte es keine Einfamilenhaus-Wüsten geben dürfen, erst recht sollten keine neuen gebaut werden dürfen.

        Wer ein Haus im Grünen haben will der muss eben ein bisschen an den Rand ziehen. Die Einfamilienhäuser werden nicht von Tamilen privat gebaut sondern oftmals hingesetzt. Auf dem Dorf mag das anders aussehen, wo die Leute ihre Häuser selbst bauen aber in den neuen Siedlungen ist das nicht so.

        Und selbst wenn könnte man diesen Siedlungen ja auch einen Bereich zuweisen der nicht für den dringend benötigten Stadtausbau notwendig ist. Der Flächenverbrauch solcher Siedlungen ist einfach enorm und passt nicht in Großstädte