ARD-Vorsitzende Karola Wille: Stets zu Diensten
Zwei Jahre war die MDR-Intendantin Karola Wille Vorsitzende der ARD. Die See war rau, doch Wille blieb fast immer ruhig. Zu ruhig?
Eine Frage, eine Frage! Es ist die Pressekonferenz nach der letzten Intendantenrunde, die Karola Wille als ARD-Vorsitzende angeführt hat. An diesem Mittwoch Ende November ist eine Handvoll Journalisten in die Leipziger Südvorstadt zum Hauptsitz des MDR gekommen.
Die Frage dreht sich darum, was die ARD im Internet darf. Um genauer zu sein: um das, was sie auf Drittplattformen wie YouTube oder Facebook darf. Soll die ARD in Zukunft mehr Videos originär für die Seiten der US-Internetkonzerne produzieren dürfen?
Die Frage ist nicht nur an Wille gerichtet. Die Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) sitzt da vorn nicht allein, da sitzen unter anderem auch Volker Herres, der Chef von Das Erste, und Florian Hager, der Leiter des jungen Angebots Funk, und Steffen Flath, der Vorsitzende der Gremienvorsitzendenkonferenz. Ja, solch einen Posten gibt es in der ARD wirklich.
Wille knetet ihre Hände oder richtet ihre Armbanduhr während die Frage gestellt wird. Warum so nervös? Seit zwei Jahren ist sie jetzt die oberste Repräsentantin der ARD, dieses 6,5 Milliarden Euro einnehmenden, neun Rundfunkanstalten umspannenden öffentlich-rechtlichen Archipels – und ihre Bilanz kann sich sehen lassen: Sie hat die ARD ein bisschen transparenter gemacht, indem sie viele Zahlen und Gehälter online offenlegen ließ. Während ihrer Amtszeit startete das Jugendangebot Funk. Sie hat einen neuen Finanzausgleich innerhalb der ARD zustande gebracht. Sie hat die ausufernde betriebliche Altersversorgung neu geordnet. Sie hat das Thema Diversität in die ARD getragen. Und: Sie hat eine gemeinsame Strukturreform mit ZDF und Deutschlandradio vorgelegt – inklusive Sparplan.
Ein kleines Wunder
Und auch wenn dieser Sparplan nicht ganz so üppig ausfällt, wie es die ARD suggeriert, so ist es doch ein öffentlich-rechtliches Wunder, die IntendantInnen aller ARD-Anstalten, des ZDF und des Deutschlandradios zur Zustimmung zu irgendeiner Art von Papier gebracht zu haben. Normalerweise können die sich noch nicht einmal auf einheitliches Klopapier einigen: Zweilagig? Dreilagig? Ach, besser vertagen.
Doch trotz all dieser Erfolge sitzt Karola Wille bei der Pressekonferenz da vorn, als fürchte sie sich vor dem, was kommen könnte. Der Fußballtrainer Jürgen Klopp hat mal in einem Werbespot gesagt: „Ich glaube nicht daran, dass die Angst vorm Verlieren dich eher zu einem Sieger macht als die Lust aufs Gewinnen.“ Nur: Wille ist nicht Klopp. Wille ist keine Fußballtrainerin. Wille ist Juristin. Durch und durch. Kurz nach der Wende wurde sie Referentin in der Juristischen Direktion des MDR, dann Stellvertreterin des Juristischen Direktors, 1996 Juristische Direktorin – und 2011 beerbte sie Udo Reiter als Intendantin der einzigen rein ostdeutschen Landesrundfunkanstalt.
Ein bisschen mehr Transparenz
Reiter, der den MDR einst aufbaute, war ein Charismatiker. Ein Machertyp. Basta. Damit kann Wille nicht dienen. Sie kann kein Basta. Oder sie zeigt es zumindest nicht. Reiter nahm es aber mit den Regeln nicht ganz so genau: Er zockte mit Gebührengeldern, der Kika-Skandal, der Betrug durch seinen Sportchef Wilfried Mohren. Wille will nach den Regeln spielen. Und wenn es keine Regeln gibt, dann schafft die 58-Jährige sich welche: So wie mit der 111 Seiten starken Transparenzstudie des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof, in der steht, was die ARD preisgeben muss – und was nicht. Danach gefragt, warum denn nun die Gehälter der IntendantInnen offenliegen, aber nicht das ihres Kollegen Volker Herres, immerhin Programmdirektor des Ersten und mindestens genauso mächtig wie die Intendanten, antwortet Wille: Das steht halt so in Kirchhofs Gutachten, dass das nicht muss. Punkt.
Die Angst vorm Fehler, vorm Verlieren ist immer größer als die Geilheit auf den Sieg.
War Wille damit ein Fluch oder ein Segen für die ARD? Oder beides? In einer Zeit, in der der öffentlich-rechtliche Rundfunk so stark unter Druck zu stehen scheint wie lange nicht.
Die Presse spricht vom „Staatsfunk“
Da war Mathias Döpfner, Chef von Axel Springer und des Zeitungsverlegerverbands, der die Onlineangebote der ARD als „Staatspresse“ bezeichnete und mit markigen Worten warnte: „Nur Staatsfernsehen und Staatspresse im Netz – das wäre eher etwas nach dem Geschmack von Nordkorea.“ Da war der Spiegel, der ARD und ZDF im Oktober auf seiner Titelseite als „Die unheimliche Macht“ bezeichnete. Da war und ist die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bei der es so scheint, als ob sie ohne die Zusätze „Staatsfunk“ oder „Zwangsgebühren“ kaum mehr über die ARD berichten könnte. Dazu all die „Staatsmedien“- und „Lügenpresse“-Vorwürfe bei Facebook und Twitter.
Und was macht Wille? Ruhig bleiben. Selten geht sie direkt auf die Angriffe ein. Nur bei der großen Spiegel-Titelgeschichte sieht sich die ARD dazu genötigt, eine Stellungnahme zu veröffentlichen. Überschrift: „Zerrspiegel“. Es war die Geschichte, die am wenigsten eine Antwort verdient hatte, so dünn war sie.
Wille setzt lieber auf bessere Fehlerkultur; darauf, transparent zu machen, wenn etwas falsch lief. Gründlich und zuverlässig soll das Mahlwerk laufen. An die Öffentlichkeit prescht sie fast nie. Sie regelt die Dinge gern im Stillen. Das ist wohltuend in einem Laden und einer Branche, in der die Protagonisten gern breitbeinig auftreten. Ihr Vorgänger im Amt des ARD-Vorsitzenden, der NDR-Intendant Lutz Marmor, leitete Aussagen gern mit Aufregerfloskeln wie „Liebe Leute …“ ein und beendete sie mit Jetzt-hab-ich-aber-mal-’nen-Punkt-gemacht-Formulierungen wie „… und dazu stehe ich auch“.
Wille sagt nie „Liebe Leute …“ und nie „… und dazu stehe ich auch“. Ihre Aussagen sind dafür nicht spitz genug. Und selbstverständlich steht sie zu dem, was sie gerade gesagt hat. Sonst hätte sie es ja nicht gesagt.
Der Auftritt zählt
Doch mit dieser wohltuenden Zurückhaltung steht sich Wille auch selbst im Weg: Der ARD-Vorsitz ist so etwas wie ein Ehrenamt. Man oder frau ist nicht mehr als eine Art BundespräsidentIn – nur mit noch weniger Macht und ohne Weihnachtsansprache. Der oder die ARD-Vorsitzende kann fast nur durch den eigenen Auftritt wirken. Doch Wille scheut genau diesen.
Zurück zu der Pressekonferenz: Wie ist das denn nun mit den Inhalten für Drittanbieter? Die Frage ist an Wille und Funk-Chef Hager gerichtet. Wille schaut fragend ihren Pressesprecher Steffen Grimberg an. Er erteilt erst mal Hager das Wort. Der antwortet, dass, wenn die ARD auf Mobilgeräten stattfinden wolle, man in den Apps ebenjener Drittanbieter wie Facebook vorkommen müsse.
Dann antwortet Flath, der Gremienvorsitzendenkonferenzvorsitzende. Der war zwar nicht gefragt, aber hat halt auch eine Meinung.
Zuletzt ergreift Wille das Wort: Sie umreißt noch mal das Problem, Inhalte für kommerzielle Anbieter zu produzieren, dann sagt sie noch, dass man ja schon viel dürfe auf Drittplattformen, und kommt zum Schluss, dass es schwierig sei, die richtige Entscheidung zu treffen.
Kein Job zum Glänzen
Nach der Pressekonferenz werden es drei Meldungen auch in die großen Mainstreammedien schaffen: TV-Duell, Kachelmann und #scheisswerbung. Zitiert werden dabei Herres und Herres und Hager.
Kurz vor Weihnachten, ein letztes Treffen in Willes Büro in Leipzig. Ob sie den ARD-Vorsitz gern noch ein drittes Jahr übernehmen würde? Wille schüttelt vehement den Kopf, sie lächelt amüsiert, „nein“, sagt sie.
Trotzdem will sie auch in Zukunft, wenn ab 1. Januar Ulrich Wilhelm vom Bayerischen Rundfunk das Zepter des ARD-Vorsitzenden übernommen hat, darüber wachen, dass die Rundfunkanstalten die Strukturreform umsetzen. Kein Job, mit dem man in der Öffentlichkeit glänzen kann, aber einer, der gemacht werden muss – und dafür sollten sie in der ARD dankbar sein.
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