: Widerstand nur bis 18 Uhr
BESCHRÄNKT Mit dem geplanten, „Lümmelpaket“ genannten Gesetz droht Dänemark beim UN-Klimagipfel mit harten Strafen für friedlichen Protest. Singapur hat es vorgemacht
VON CHRISTIAN JAKOB
Wer der überkommenen Vorstellung anhängt, Protest müsse etwas mit Konfrontation zu tun haben, dem sei ein Blick nach Singapur empfohlen. Das ja völlig zu Unrecht als Autokratie gescholtene Land hat der Welt gezeigt, wie sich politische Differenzen ohne all die üblichen, hässlichen Szenen voller Gewalt konstruktiv in die Willensbildung einbinden lassen. Aber nein, das sollte natürlich keineswegs die Meinungsfreiheit einschränken, sondern diente lediglich dazu, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Und in der Tat: Wirklich alles blieb friedlich.
Als sich in Singapur nämlich 2006 Weltbank und Internationaler Währungsfonds zum Gipfeltreffen versammelten, da ersann die Regierung ein minutiöses Regularium für gesittete Proteste. Dies begann damit, dass Kritiker von IWF und Weltbank sich von ebendiesen Institutionen akkreditieren lassen mussten. Erst dies berechtigte sie zur Einreise nach Singapur. Befürchtete die Regierung jedoch „unlautere Interessen“, dann wurden sie trotzdem nicht ins Land gelassen.
So war am Ende genügend Platz in dem abgetrennten, 100 Quadratmeter großen Bereich der Lobby des Tagungshotels, den die Behörden für die Proteste ausgesucht hatten. Dort zu demonstrieren war ohnehin nur Ausländern erlaubt. Wer sich dann noch mit dem Umstand anfreunden mochte, seine Parolen auf offiziell bereitgestellte Schilder zu schreiben und den Polizisten zur Kontrolle vorzulegen – der konnte loslegen. Allerdings nur bis 18 Uhr. Dann wurde der Demonstrationsplatz geschlossen. So friedlich wünscht es sich auch Dänemark. In fünf Wochen ist das Land Gastgeber des UN-Klimagipfels, zu dem rund 15.000 Teilnehmer erwartet werden.
Unter Federführung der Industrienationen werden sie voraussichtlich eine Erklärung beschließen, in der steht, dass dringend irgendetwas geschehen muss, um der Erderwärmung Einhalt zu gebieten, die akut schwächelnde Weltwirtschaft dadurch aber keinesfalls in unverantwortlicher Weise belastet werden darf. Und wenn die Entwicklungsländer dann nicht die Nase voll haben, dann könnte 2010 bei einer neuen Konferenz sogar ein gleichlautendes Rahmenabkommen herausspringen.
Dies mag dem einen oder anderen Öko-Fundamentalisten nicht weit genug gehen, die Beherrschung zu verlieren entschuldigt das aber keineswegs – so sieht man es nicht nur in Singapur. Dänemark demonstrierte bereits im Juli, wie es mit unkonstruktivem Protest umzugehen gedenkt. Da war die „Cycling for Change“-Fahrradkarawane auf dem Weg zum Klimacamp in Kopenhagen, als Vorlauf zu den Gipfelprotesten.
An der Sundbrücke vor der Stadt Vordingborg hängten sie ein Banner mit der Aufschrift „Stop! It cannot go on like this“ auf. Um auf die Umweltschäden durch den Autoverkehr aufmerksam zu machen, blockierten sie die Brücke mit ihren Fahrrädern. Die Polizei verhaftete die Gruppe nicht nur bis zum nächsten Morgen, sondern nahm den Aktivisten auch einen Speichelabstrich für einen DNA-Fingerabdruck ab. Sie hätten die „vitale Verkehrsinfrastruktur des Landes“ angegriffen, sollen die Polizisten ihnen mitgeteilt haben – und dies sei ein schweres Vergehen.
Gestern nun beriet das Kopenhagener Parlament das „Lümmelpaket“ gegen Chaos-Demonstranten: Verfünffachung der Bußgelder für die Störung der „öffentlichen Ordnung“, zwölfstündige Präventivhaft bei bloßem Verdacht ordnungswidriger Absichten, 40 Tage Knast für Blockaden.
Man mag den singapurischen Kontrollexzess als autoritären Irrwitz abtun – wenn Dänemark alles außer Fähnchenschwenken verbietet, wird das, was an Protest geduldet wird, auch dort zur Lachnummer.
Wobei es dennoch für einige als Glücksfall gelten kann, überhaupt bis nach Kopenhagen zu kommen. Dass polizeibekannte Aktivisten, wie die der Fahrradkarawane, ins Land gelassen werden, haben sie nämlich noch nicht schriftlich. Wie auch sonst niemand: Im Zweifelsfall ist man ganz schnell dabei, die europäische Freizügigkeit wieder auszusetzen, um Demonstranten von politischen Großereignissen fernzuhalten.
So geschah es zuletzt beim Nato-Geburtstag in Straßburg, wo die Grenze für viele Demonstranten dicht gemacht wurden. Krawall gab es dort allerdings trotzdem.
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