die dritte meinung: Schluss mit der Heucheleirund um den G20-Gipfel, meint Claus Leggewie
Claus Leggewie
ist Professor für Politikwissenschaft und mit Patrizia Nanz Autor des Buches „Die Konsultative. Mehr Demokratie durch Bürgerbeteiligung.
Wie wäre es, wenn wir uns – 40 Jahre nach dem Deutschen Herbst und nach vielen Erfahrungen mit „aus dem Ruder gelaufenen“ Protesten – mal ehrlich mit dem Problem politisch motivierter Gewalt auseinandersetzen würden?
Wenn sich also die staatliche Seite nicht länger in gespielter, von keiner Sozialtheorie getrübter Naivität über das Vorhandensein solcher Gewalt im öffentlichen Raum empört, von der keine Gesellschaft frei ist und die, egal wie man sie be- und verurteilt, zu einer moralisch, strukturell und weltanschaulich gespaltenen Gesellschaft wie der unseren gehört. Leider. Und die andere Seite nicht mit Unschuldsmiene in einen Opferdiskurs verfällt und Trittbettfahrer, die auf Randale aus sind oder das Schweinesystem provozieren wollen, vor die Tür setzt. Endlich.
Ich war bei „aus dem Ruder gelaufenen“ Demos dabei, aber nicht in Hamburg, und habe bei G20-Protesten generell nichts zu suchen. Nicht weil ich aus taktischen Gründen jede Demo meide, bei der die Gemengelage zwischen friedlichem und militantem Protest a priori vage gehalten wird. Sondern auch, weil ich mir gegen das übliche Zerrbild globalen Regierens, wenn überhaupt noch, dann von den G20-Staaten eine Ordnungsfunktion für die globale Ökonomie und internationale Politik erwarte.
Aber auch wenn ich kein Augenzeuge war, lasse ich mich ungern verarschen angesichts von der Evidenz eines Videomaterials, das den generalstabsmäßig aufgezogenen Aufmarsch einiger Akteure belegt. Und ich lasse mich ebenso wenig von der billigen Retourkutsche der inneren Sicherheit beeindrucken, die eine offensichtlich verfehlte, nämlich einerseits wegschauende, andererseits eskalierende Polizeitaktik verschleiern will.
Dieses Räuber-und-Gendarm-Spiel zwischen einem zwielichtigem Antiimperialismus und einer medialen Inszenierung des Ausnahmezustands, pardon: kotzt mich an. Die verhängnisvolle Wechselwirkung hat erst ein Ende, wenn beide Seiten ihre Heuchelei einstellen und eine ehrliche Aufarbeitung der Gegenwart betreiben.
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