piwik no script img

HIV-Positiver über die Homo-Community„Nichts, wofür ich mich schäme“

Tadzio Müller ist Klimaaktivist, links und HIV-positiv. Ein Gespräch über Schuld und Scham, politische Kämpfe und Eiswürfel im Arsch.

Tadzio Müller in seiner Berliner Wohnung Foto: Wolfgang Borrs
Martin Kaul
Martin Reichert
Interview von Martin Kaul und Martin Reichert

taz am wochenende: Herr Müller, wir möchten mit Ihnen über Ihr Outing reden.

Über welches? Ich zähle vier, mittlerweile.

Vier?

Bi, Schwul, Slut und HIV.

Dann fangen wir mal hinten an.

Das vierte, das HIV-Outing, war in gewisser Weise das, das alle anderen aufgehoben und vervollständigt hat.

Inwiefern?

Es hat eine Geschichte fortgesetzt, die mit Schuld und Scham durchsetzt ist – oder sagen wir besser: durchsetzt sein soll. Eine Schuld und eine Scham, die du nicht los wirst, selbst wenn du das willst. Ich verweigere mich dem so radikal es geht. Aber: It’s gonna get you.

Inwiefern?

The worst thing that could possibly have happened, happened. Das schlimmste was geschehen kann, geschieht. Sex war ja in den großen Erzählungen schon immer wahnsinnig gefährlich – es konnte nicht nur zu Kindern führen, sondern spätestens mit den Achtzigerjahren auch zum Tod – als Resultat moralischer Verdammnis: Du darfst nicht in den Arsch ficken. Du hast einen moralischen Rubikon überschritten – und damit tritt das ein, wovor du immer gewarnt wurdest.

Die Autoren

Martin Kaul, 36, taz-Redakteur, hat vor Kurzem zum ersten Mal von PrEP gehört.

Martin Reichert, 44, taz-Redakteur, findet, dass PrEP von der Kasse bezahlt werden sollte.

Wolfgang Borrs, 56, Fotograf, ist nichts Menschliches fremd.

Und inwiefern hat das HIV-Outing frühere Outings vervollständigt?

Ich bin eigentlich niemand, der sich schämt. Ich bin jemand, von dem jeder wissen darf, was ich geil finde. Ich finde es geil, zu ficken und gefickt zu werden. Es gibt Menschen, die ständig über Aktivismus nachdenken und es gibt Menschen, bei denen das mit Sex so ist – bei mir zum Beispiel. Andere kaufen sich Modelleisenbahnen, Computer oder Bücher. Ich kaufe mir Dildos und Nippelklemmen. Ich finde, das ist nichts, wofür ich mich schämen wollte.

Aber es hat Sie ja doch gekriegt, sagen Sie.

Die verschiedenen Erfahrungen von Scham – aufgrund der Polyamorie, der ausgefallenen Spielarten, plus all der Schuldgefühle, die man in einer christlichen Gesellschaft ohnehin hat beim Sex, und dann noch als Homosexueller – das wurde plötzlich alles eingefaltet in diese HIV-Schuldgeschichte. All die Selbstanschuldigungen, die man machen kann, werden in einer Geschichte verpackt, in dieser Infektion. Ich merke es daran, wie lange es bei mir selbst gedauert hat, einen öffentlichen Umgang damit zu finden.

Vor wem empfinden Sie Scham?

Ich würde sagen, Scham empfindet man vor allem vor sich selbst.

Wann haben Sie von Ihrer HIV-Infektion erfahren?

Die Nachricht von der Infektion kam 2011, am Weltfrauentag, drei Tage vor dem Atom-GAU von Fukushima. Das war einer der negativsten Einschnitte in meinem Erwachsenenleben. Die Nachricht hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Mein Freund hat sich aufopferungsvoll um mich gekümmert und ich weiß nicht, wie es gelaufen wäre, wenn er nicht da gewesen wäre. Aber es hat fast vier Jahre gedauert, bis ich wieder zu der überschwänglichen Fröhlichkeit zurückkehren konnte, die mich durchaus ausmacht.

Wissen Sie, wie Sie sich infiziert haben?

Ernsthaft konnte ich das nicht genau sagen, aber es wird im Zusammenhang mit chemischen Drogen und Kinky-Sex passiert sein. Also das, wofür ich mich geschämt habe: viel Sex zu haben, gerne mit vielen verschiedenen Männern – und dabei Drogen zu nehmen. Dabei bin ich ein großer Verfechter des Rechts auf ein High. Manchmal hilft Intoxication weiter. Ich habe wahnsinnig viel gelernt über mich auf Chemsex-Parties. Ich schäme mich dafür heute nicht mehr. You all may know it.

Im Interview: Tadzio Müller

Die Person

Tadzio Müller ist Politikwissenschaftler, Klimagerechtigkeitsaktivist und Übersetzer. Der gebürtige Frankfurter, Jahrgang 1976, hat Politikwissenschaft in Heidelberg, Boston und Brighton studiert, wo er auch promovierte. Er lebt in Berlin-Neukölln.

Der Aktivist

Müller forscht zu Strategien zur Transformation innerhalb von sozialen Bewegungen in Bezug auf Klimagerechtigkeit und realpolitische Energiewende. Zuvor war er u. a. Pressesprecher von „Castor Schottern“.

Wem haben Sie von der Infektion erzählt?

Mein Freund wusste das und meine beste Freundin. Dann habe ich es nach und nach meinem Freundeskreis gesagt, und das war immer ein große Sache mit vielen Tränen: Freundinnen fragten mich, ob ich jetzt sterben würde. In solchen Momenten fragst du dich schon: In welchem Jahrzehnt lebst du denn, Genossin? Das sind gut informierte Leute, die dir runterbeten können, was das Kraftwerk Stade für Emissionsraten hat – die müssten doch ein Mindestmaß an Wissen über HIV haben, oder?

Es betrifft Heterosexuelle in Deutschland halt kaum.

Der Mord an den Rohingya betrifft Heterosexuelle in Deutschland ja auch kaum, aber über den wissen wir relativ viel.

Was glauben Sie, was dem im Weg steht?

Faktenwissen spielt in dieser Situation eine untergeordnete Rolle. Das ist ein bisschen so wie mit der Energiewende, die ja eher mein Politikfeld ist. Das Faktenwissen über Atom, Kohle und erneuerbare Energien ist nicht der Ausschlag gebende Punkt. Bei HIV ist das genau so. You can have all the information! Gleichzeitig wissen ganz viele Leute nichts über HIV. Und zwar weil das Faktenwissen über HIV und AIDS der moralischen Einschätzung total untergeordnet ist. Erst wenn wir über die Schuld und Scham reden, über die Moralisierung von Sexualität und HIV, erst dann kann man auch über die Fakten reden.

Sie haben Anfang dieses Jahres auf Facebook über Ihre HIV-Krankheit geschrieben. Wie waren die Reaktionen?

Erstens gab es diese unglaublich positiven Reaktionen auf Facebook, die mich sehr gestärkt haben. Leute, die mich gar nicht kannten, haben sich bei mir bedankt. Ich habe stundenlang geschluchzt, ich bin ein gerne heulender Mensch. Und zweitens bewege ich mich ja in Kreisen, in denen es kaum die kulturellen Ressourcen gibt, um jemand offen dafür anzukacken. Das heißt nicht, dass es nicht auch Leute gäbe, die das auch tun würden, aber sie hätten einen schweren Stand. Deswegen empfinde ich es auch als Pflicht, diese Position zu nutzen und darüber zu reden.

Wieso?

Ich merkte, dass ich plötzlich Hunderte, Tausende über HIV und den Stand der Dinge informierte. Mit dieser Intervention habe ich etwas berührt, und ich hatte Resonanz. Es gibt kaum role models – und da ist es doch nur gut, wenn ich öffentlich sage: Hey, ich bin positiv, nehme meine Medikamente, bin nicht ansteckend und lebe ein ganz normales Leben. Our lifes are okay. Ich hatte wahnsinnig viel Angst, als ich diese Info bekommen habe – und das muss überhaupt nicht sein. Leute, die ein positives Testergebnis haben, müssen sich nicht jahrelang fertigmachen.

Die Erfahrung zeigt: Wenn Sie damit an die Öffentlichkeit gehen – etwa in Ihrer Rolle als Klimaaktivist –, laufen Sie Gefahr, darauf reduziert zu werden.

Ich weiß, was Sie meinen. Aber nein. Ich arbeite bei einer linken Institution, und meine beiden Communities, die linksradikale Klimaschutzszene und meine Freunde in der Schwulenszene, würden mich, wenn es sein müsste, sicher auch physisch verteidigen. Ich bin also in einer relativ sicheren Situation und schwer anzugreifen. Aber selbst wenn: Dann hätten wir wenigstens eine inhaltliche Debatte. Bring it on!

Es gibt tatsächlich nur wenige Menschen, die öffentlich über ihre HIV-Infektion und das, was damit einhergeht, reden.

In den USA gibt es den durchgeknallten Charlie Sheen und den total normal lebenden Magic Johnson. Aber in Deutschland gibt es fast niemanden, der offiziell über HIV redet und öffentlich wahrgenommen wird. Es gibt Carsten Schatz, ein linker Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus, aber das ist nicht gerade Bundesprominenz. Es gibt natürlich viele Prominente, die positiv sind, aber keiner von denen sagt, dass er es ist. Der einzige Fall, den man mit HIV verbindet, ist Nadja Benaissa, die Exsängerin der Popband No Angels. Und worum geht es da? Schuld und Sühne.

Was, denken Sie, werden die Leute sagen, wenn Sie erzählen, dass Sie positiv sind – und trotzdem gerne rumvögeln?

Eine unglaublich tolerante Genossin hatte mal die Dreistigkeit mir zu sagen: Tadzio, du bist ja auch wirklich ein bisschen sexsüchtig. Ich empfand das als eine Frechheit. Wenn ich Extremsportler bin, wenn ich gerne klettern gehe, sagt mir auch niemand, dass ich klettersüchtig bin. Extremsportsüchtig, da kommt ja keiner drauf. Nur wer über Sex spricht, soll dauernd Scham überwinden. HIV, das ist dann noch mal viel, viel stärker stigmatisiert. Piss off. Es gibt sehr gute Gründe, darüber zu reden.

Erzählen Sie.

Zum Beispiel gibt es in Berlin-Schöneberg diesen wunderbaren 24-Stunden-Fickschuppen. Da kannst du morgens oder nachmittags um drei hingehen und dann sitzt du da mit Druffis und Strichern und man kann reden oder ficken. Ich mag das. Eine Slut-Sexuality ist ein verändernder Teil der Subjektivität. Man lernt etwas für den Rest des Lebens. Es geht nicht um die Menge von Sex, sondern um das, was der Sex tut. Der Moment, in dem ich dachte: I am really into getting fucked in the ass – das war interessant, weil mir klar wurde, dass da ein Teil von mir ist, der nicht ständig dieser Macker-Alpha-Bürger-Checker sein möchte.

Dann sagen Sie uns: Stimmt es eigentlich, dass es bei Überhitzung im Falle eines Ketaminflashs hilft, Eiswürfel in den Arsch zu schieben?

Aber ja, das hilft! You won’t believe it, it works.

Worum geht es Ihnen bei den Drogen?

Eine gute Party, eine gute Chemsex-Session, da geht es für mich immer um dasselbe Motiv: Hier ist Leben selbst! Licht, Wärme.

Inklusive der Gefahr, darin umzukommen.

Ja. Auf jeden Fall. Ich kann nur in dieser Chemsex-Welt leben, weil es nicht meine primäre Lebenswelt ist. Es gibt Leute, da ist das primär und die driften dann auch ab. Das ist so wie Aktivisten, die im Hambacher Forst enden, so ein bisschen.

Wie schützen Sie sich vor dem Abdriften?

Ich kann ungeheuer diszipliniert sein. Auch wenn ich eigentlich keine geregelte Arbeitszeit habe, stehe ich jeden Tag um sieben auf. Ich baue mir ganz viele Routinen. Mein Frühstück ist jeden morgen gleich.

Ihr Bekenntnis zur sexuellen Promiskuität ist übrigens auch nicht der gesellschaftlichen Linken vorbehalten.

Natürlich nicht, das weiß ich selbst. Wann treffe ich in meinem Zirkel sonst schon Leute aus der FDP? Auf diesen Partys treffe ich sie alle und siehe da: Wir haben Gemeinsamkeiten.

Und die Geschichte, die Sie erzählen – eine bessere Gesellschaft kann quasi herbeigevögelt werden, gab es schon einmal: Es ist die der Schwulenbewegung der 70er- und 80er-Jahre.

Ja. Nur wird sie diesmal einen anderen Ausgang nehmen, einen besseren.

Wie meinen Sie das?

Der Ring um seinen Hals ist Bestandteil von Tadzio Müllers SM-Sexualität Foto: Wolfang Borrs

Ich wanderte neulich nachts durch die Straßen in Berlin-Schöneberg und machte einem älteren Herrn ein unmoralisches Angebot. Er ging nicht darauf ein, aber wir kamen ins Gespräch. Turns out: Er war bei einer der ganz frühen radikalen Homogruppen dabei, RotZschwul in Frankfurt, wo Martin Dannecker und Rosa von Praunheim, also die ganz Großen mitgemischt haben.

Die Helden der Bewegung – die den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt“ verantworten.

Wir kamen darauf, dass es ja immer schon zwei Flügel in der Schwulenbewegung gab – der eine wollte die Einbindung in Institutionen, heute vielleicht symbolisiert durch Leute wie Volker Beck. Und dann gab es diesen lebensweltlichen Radikalismus. Leute die sagten, wir bauen uns unsere eigene Lebensrealität, ja, wir sind auch ein bisschen crazy und ficken die ganze Nacht. Und, hey, Mehrheitsgesellschaft, vielleicht könnt ihr auch was davon lernen. Dieser Angriff auf die Normen der Mehrheitsgesellschaft ist ja nicht neu, sondern ein Ding der 70er-Jahre. Auch da wurde schon gesagt: Wir weisen von uns, wie ihr sexuelles Verhalten mit Scham belegt.

Aber?

Nach diesem Widerstand, in den 80er-Jahren, kam dann die Mehrheitsgesellschaft zurück zu den Schwulen und sagte: Alles gut und schön, aber hey, jetzt verreckt ihr alle. Und genau das hat mir der Mann, den ich in dieser Nacht in Schöneberg getroffen habe, erzählt: Dass plötzlich seine ganzen radikalen Kumpels wirklich an Aids gestorben sind. Damit konnte die Mehrheitsgesellschaft den Anwurf zurückweisen: Seht, eure Amoral führt zu eurem Sterben! So wurde das in die Köpfe der Schwulen gepflanzt, wie eine Firewall zwischen der eigenen Sexualität und deren moralischer Einordnung.

Was ist daran heute anders?

Ganz einfach: Wir haben die materiellen Möglichkeiten, Aids zu beenden. Es gibt Therapien, die ein gutes Leben ermöglichen und sie können sogar verhindern, dass andere sich anstecken können, wenn sie sich jeder leisten kann.

Sie meinen PrEP, die Prä-Expositions-Prophylaxe.

Genau. Wenn ich als HIV-Positiver die Medikamente nehme, bin ich unter der Nachweisgrenze, „undetectable“, das bedeutet untransmittable. Sie müssten von mir dann quasi eine Bluttransfusion bekommen, um sich anzustecken.

PrEP bedeutet aber vor allem, dass Menschen Medikamente nehmen, die HIV negativ sind, um zu verhindern, dass sie sich anstecken.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Ja. So jemand wie ich ist in Berlin spätestens nach ein paar Jahren HIV positiv. Das Rezept dagegen ist: Man muss den Leuten, die es wollen, PrEP verschreiben, als Kassenleistung. Dann besteht die Chance, Neuinfektionen auf null zu bringen. Aber nur, wenn drumherum PrEP und HIV legitimiert werden. Wenn es aus der moralischen Schmuddelecke heraus kommt, wenn es medizinisch verhandelt wird und nicht moralisch.

Diese Diskussion ist eine Steilvorlage für Rechtspopulisten. Die werden sich freuen, darüber schimpfen zu dürfen, wenn künftig die Krankenkassen auch noch für herumvögelnde Schwule zahlen sollen.

Sehen Sie: Sage ich doch. Das ist die Moral, die ich meine. Hinter HIV stecken aber echte Krankheiten, echte Therapieformen, echte Menschen und vor allem: echte medizinische Erkenntnisse.

Es geht schlicht um die Frage, wer es bezahlen soll. Wieso soll die Gesellschaft dafür bezahlen, dass Sie ungeschützen Verkehr haben?

Dieses Argument finde ich billig. Wenn jemand behauptet, PrEP ist zu teuer, sollten wir vielleicht über Patente reden. Das ist eine klassische globalisierungskritische Agenda. Es macht keinen Sinn, dass die Therapie, mit der Aids zu bezwingen ist, Wohlverdienern vorbehalten ist. Zweitens, okay: ihr glaubt, PrEP zu finanzieren, ist blöd? Dann lasst uns doch mal über andere Sachen reden, bei denen hochriskante Dinge gefördert werden: zum Beispiel über den Braunkohletagebau in der Lausitz, über den Dieselskandal, über mehr als 3.000 Verkehrstote jährlich allein in Deutschland. Du findest es pervers, dass ich mich auspeitschen lasse? Ich finde den Dieselskandal pervers.

Also, das bedeutet dann, dass die Gesellschaft nicht nur für Ihre Therapie aufkommen soll, sondern auch noch für den Typen, der mit Ihnen Sex haben will. Jetzt mal aus Sicht der kassenärztlichen Vereinigung.

Also erst mal haben wir als Gesellschaft doch gesagt, dass es okay ist, wenn Leute ein High-Risk-Verhalten an den Tag legen – ob das nun schnelles Autofahren ist oder Paragliding oder in einem Büro arbeiten. Es würde niemandem in den Sinn kommen, mich zu fragen, ob die Gesellschaft bereit ist, dafür die Kosten zu übernehmen. Straßenverkehr! Die Kosten, die unsereins verursacht, sind jedenfalls geringer als die einer Massenkarambolage auf der A9.

Was schließen Sie daraus?

Ich habe es, zusammen mit vielen anderen, geschafft, eine Anti-Kohle-Bewegung in Deutschland aufzubauen, die internationale Resonanz hat. Acht Jahre haben wir uns den Arsch aufgerissen und jetzt gerade erst zum Weltklimagipfel konnte man diese Bewegung in Deutschland wieder weltweit sehen. So machen wir es jetzt auch mit der PrEP-Bewegung. Kann ja nicht so schwer sein.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • ...war lange nicht mehr von einem Zeitungsartikel so angetan - super. Übrigens lebe ich in Tschehcien sehr offen wie Herr Müller und mache selbst auf dem land gute Erfahrungen damit...

  • Die Therapie, die eingenommen wird, um sich nach der Infektion mit HIV den Ausbruch von AIDS zu verhindern, nennt sich Postexpositionsprophylaxe (PEP). Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) ist, wie die Silbe "Prä" schon andeutet, die Präventionsmaßnahme, um überhaupt erst eine Infektion zu vermeiden.

    Im Gegensatz zur PEP, die -je nach Wirkstoffkombination- mit etwa 1500-1800€ für 4 Wochen zu Buche schlägt, kostet die PEP nur noch 50€ für 4 Wochen.

    • @Crik:

      In Tschechien kostet die Standard-PEP mit Triumeq für 30 Tage umgerechnet etwa 1.000 KEW (Kleineuropäische Einheitswährung). Kann mir das jemand erklären?

  • danke, lieber Tadzio, für Deinen erfrischend offenen, direkten und klaren Text. Vieles spricht mir aus dem Herzen, Einiges aus dem Erfahrungsschatz und Manches aus der Hüfte. Mein emanzipierter Umgang mit gay und HIV hat auch stets Erstaunen bis Kopfschütteln ausgelöst. Doch je souveräner ich mich empfinde, desto unangreifbarer bin ich für verbale Heckenschützen und Moralsäure-Attacken. Das ist viel Arbeit und kostet Energie. Doch für mich der einzig lebbare Weg. Den Preis zahle ich gern!

    • @yan diet-rich:

      ... nach meiner Erfahrung eher eine win-win-situation...

  • Herr Müller ist nicht der Held des Berliner Babylons. Alle verschiedenen Arte von Sex und dazugehörigen Frequenzen Sex zu haben, gab es schon. Das er darüber öffentlich redet kommt mir wohl nur als seine eigene Katharsis vor, weil ja jeder eben weiss, dass Schamgefühle keinen Platz hier haben, und eben ohne die Bedürfnis drüber zu intellektualisieren. Ist bei ihm irgendwie ein bisschen übertrieben vom Intellekt her. Der redet über ne HIV-infektionskrise überwunden zu haben, o.k. Glückwünsche(?), die Urgestein Schöneberger aber so...jaja been there, done that und deshalb die Schöneberger Referenzen damit sein Erlebnis dort mehr Glaubwürdigkeit trägt weil der doch den Neuköllner Hipstermuster entpricht. Ich bin von dem Herr Müller leider unbeeindruckt: zu viel Glanz und noch mehr Getue. Schamgefühle? Wenn überhaupt die fremde Art.

  • Herzlichen Dank Tadzio.

    *keine Rechenschaft für Leidenschaft* gilt!

    • @michèle meyer:

      Reicht es jetzt aus, auf den Kopf "Leidenschaft" zu drücken, um ein Denk- und Kritikverbot auszulösen? Leidenschaftliche Liebe - leidenschaftlicher Hass - Mord aus Leidenschaft. Etwas Differenzierung tut Not. Sprachliche Nebelkerzen helfen nicht weiter. Leidenschaft bleibt Leidenschaft. Sucht bleibt Sucht. Destruktivität bleibt Destruktivität. Und Schamgefühl ist nicht nur krankhaft. Schamgefühl kann auch Ausdruck seelischer Gesundheit sein.

  • Also ich muss sagen, dass Interview war absolut Klasse vom Standpunkt des Journalismus. Selten ahbe ich mich so gut in ein Gespräch reinversetzen können. Vielen Dank liebe taz!

     

    Das hat aber zur Folge, dass Herr Müllers Aussagen bei mir völlige Abneigung auslösen. Und das liegt nicht an - wie er jetzt bestimmt sagen würde - an meiner Moralvorstellungen oder heteronormativen Denken. Nein, ich finde es schlicht unsympatisch, wenn man völlig sinn- und grundlos englische Phrasen in ein Gespräch einwirft. Und nein, ich habe kein Problem mit Englisch, rede auch mit Kellern in Berlin-Mitte von mir aus gerne englisch und nutze es täglich auf Arbeit.

    Und die Einstellung zu PrEP ist einfach nur infantil: Klassischer Whataboutismus, als es darum geht warum dass denn Kassen bezahlen sollten.

    Tatsache ist, er kann so viel und gerne Sex haben wie er möchte. Und Tatsache ist auch, dass er sich dabei wirksam gegen HIV schützen kann durch die Verwendung eines Kondoms.

     

    So einfach ist die Sache. Der Witze wäre doch, wenn man (billige) Kondome nicht als Kassenleistung bekäme, aber PrEP würde bezahlt. Sorry, aber die Entscheidung ungeschützten GV zu haben (die jeder gerne treffen kann) ist eine Privatsache und darf er dann auch gerne bezahlen. Was das mit dem Dieseskandal aber zu tun hat, verstehe ich nicht.

     

    Insgesamt, Herr Müller: Leben Sie gerne so weiter wie sie das möchten, ich bin da ganz liberal. Aber zu erwarten, dass die Gemeinschaft ihre Entscheidungen ohne Hinterfragen alimentiert, finde ich asozial.

  • "... eine gute Chemsex-Session, da geht es für mich immer um dasselbe Motiv: Hier ist Leben selbst! Licht, Wärme."

    Wenn es nicht so traurig wäre, dann wäre es zum Lachen. Drastischer können die chemisch induzierte Illusion des Süchtigen und die Schäden der Chemikalien an den neuronalen Netzwerken des Süchtigen gar nicht zum Ausdruck kommen. ... und um die Ecke kichern Tod und Destruktivität.

  • PreP als Kassenleistung ist genauso wie Pille auf Kassenleistung. Eigentlich Privatsache aber staatlich finanziert, da es hilft Schaden zu verhindern, der viel teurer für die Gemeinschaft wäre.

    Gleichzeitig gab es bei Pille als Kassenleistung große Widerstände, die meinten, es dürfe keine Kassenleistung sein, den außerehelichen Geschlechtsverkehr (darauf fokussierte sich die Diskussion) vielleicht noch von Minderjährigen zu fördern. Es blieb natürlich inkonsequent, da Kondome nach wie vor kostenpflichtig sind. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass die kontrolliert kostenlose Abgabe von Kondomen an alle einfach zu bürokratisch ist.

    "Sexsüchtig" ist ein Begriff der Konvention. Die Konvention sieht ein gewisses Maß an sexuellen Bedürfnissen vor. Wer mehr hat, ist sexsüchtig und wer weniger hat frigide. Anders als Müller meint, sind die Bezeichnungen "sportsüchtig" oder "Adrenalinjunkie" genauso gebräuchlich. Immer wenn die konventionelle Balance nicht gewahrt bleibt und jemand sein Leben deutlich anders gestaltet, wird man so tituliert. Wer die Konvention nicht einhält, sollte sich nicht vom Urteil derer abhängig machen, die die Konvention als das Maß aller Dinge sehen. Wichtiger ist es, für sich die eigene Balance zu finden. Wenn das Maß an Sex, Sport oder was auch immer für einen persönlich zur Belastung führt, ist es ein Problem. Nicht aber wenn lediglich der Mainstream sich daran stört.

    • @Velofisch:

      "Sexsüchtig ist ein Begriff der Konvention. Die Konvention sieht ein gewisses Maß an sexuellen Bedürfnissen vor. Wer mehr hat, ist sexsüchtig."

      Einspruch: Es geht nicht um ein Mehr oder ein Weniger. Es geht um Beziehungsqualität: Verantwortung, Fürsorge, emotionale Verbundenheit, Wachsen, Reifen (um das missverständliche Wort Liebe nicht zu strapazieren) versus Destruktion (= Sucht). Die Destruktivität ist auch bei Sportsüchtigen mit Händen zu greifen: Raubbau am Körper, Doping und diesbzgl. gnadenloses Lügen (Lance Armstrong).

  • "Tadzio, du bist ja auch wirklich ein bisschen sexsüchtig. Ich empfand das als eine Frechheit."

    Warum Frechheit? Die Genossin hat ihren Eindruck doch recht freundlich formuliert.

    Gibt es nicht von allem eine gesunde und eine ungesunde (=süchtige) Variante?

    Spielen - Spielsucht . Essen - Fresssucht. Mager - Magersucht . Geltung - Geltungssucht. Trinken - Trinksucht. Warum nicht Sex und Sexsucht? Sonderlich gesund hört sich das, was Du da veranstaltest auch für mich nicht an. Die Nähe zu den "Druffis" spricht ja auch Bände. Also, wenn gegen die Sucht schon kein Kraut gewachsen ist, dann sollte doch bitteschön jeder seine Sucht auch selber finanzieren.

    Die Kosten einer Massenkarambolage auf der A9 zahlt die Solidargemeinschaft der Haftpflichtversicherten. Auf die Solidargemeinschaft der Druffis und Sexsüchtigen bin ich wirklich gespannt.