China stoppt weltweite Müllimporte: Deutscher Müll muss deutsch bleiben
Abfälle sind ein globales Geschäft. Doch ab Januar könnten deutsche Verwerter auf ihrem Müll sitzen bleiben. Risiko? Chance?
In der Anlage, in der Kunststoffgegenstände – Kanister, Flaschen, Tonnen, Verpackungen – zu feinem Granulat verarbeitet werden, kennt Rathmann jede Schraube, jedes Rohr, jedes Band. Davon gibt es reichlich in dieser modernen Hexenküche, in der es ohrenbetäubend rattert und zischt, dampft – und stinkt. Die Verpackungen wirbeln in Luftströmen, fallen durch Gitterroste, baden in Tauchbecken. „Waschen, legen, föhnen“, sagt Rathmann, „das machen wir hier.“ Vorne werden Abfallberge in die Anlage gekippt, hinten kommen sortenrein getrennte und gereinigte Granulate heraus, zum Beispiel Polyethylen und Polypropylen, sortenreine Kunststoffe, die die Industrie als Rohstoff einsetzen kann.
Allerdings: Als Schalke-Mahlgut endet nur der kleinere Teil. Fast sechs Millionen Tonnen Plastikmüll davon sind 2015 laut Umweltbundesamt angefallen – das Gesamtgewicht der ägyptischen Cheops-Pyramide. Davon sind mit 2,7 Millionen Tonnen nicht einmal die Hälfte „stofflich verwertet“, also zu Granulat verarbeitet worden. Der größere Teil – 53 Prozent – wurde dreckig, nicht nach Kunststoffsorten getrennt, sondern einfach zu Ballen gepresst – als Brennstoff genutzt oder gleich nach China transportiert. Doch diese Zeiten sind vorbei.
China will nur noch sehr sauberen Müll
Der weltgrößte Müll-Importeur will keinen schmutzigen Abfall mehr aus dem Ausland annehmen. In einem Schreiben an die Welthandelsorganisation hatte die chinesische Regierung schon im Juli mitgeteilt, dass zum Schutz der eigenen Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung die Einfuhr von Hausmüll verboten werden soll. Vor ein paar Tagen konkretisierte die Regierung in Peking, Metallschrotte, alte Kabel, Altpapier und Kunststoffe dürften nur noch Verunreinigungen von 0,5 Gewichtsprozent aufweisen.
Das hält die deutsche Industrie für technisch nicht machbar. Nicht nur kleine und mittelständische Recyclingunternehmen treffe das hart, sagen Branchenkenner; vor allem für die großen Aktiengesellschaften – wie Alba in Berlin, das Duale System in Köln oder eben Remondis in Lünen – sei das bitter. In ihren verzweigten Unternehmensstrukturen fänden sich nicht nur Verwertungsfirmen wie etwa die Vorzeigeanlage in Lünen; als Entsorger sammelten sie jede Menge Müll ein, den sie nicht sortiert und aufbereitet, sondern bislang gewinnbringend ins Reich der Mitte verkauft hätten.
Doch China zieht einen „grünen Zaun“ um seine Grenzen, und der wird nicht nur die deutsche Abfallwirtschaft umkrempeln. Im vergangenen Jahr hat die Volksrepublik allein 7,3 Millionen Tonnen Plastikmüll aus aller Welt importiert. Die größten Lieferanten waren Japan und die USA, deshalb sehen die Unternehmen auch dort rot: Eine 5-Milliarden-Dollar-Industrie sei „gefährdet“, vermutet Adina Adler vom US-Institut der Recycling-Industrie.
Müll-Stopp kann der Recycling-Quote helfen
Hierzulande stellt der Branchenverband bvse in seinem Marktbericht für November nüchtern fest: „Deutschland läuft weiterhin voll mit Kunststoffabfällen.“ In der Folge seien eine Reihe von Marktveränderungen auszumachen. So würden verstärkt Granulate nach China geliefert anstatt verpresster Kunststoffabfälle; zum Teil werde sauberer nach Kunststoffsorten getrennt, zum Teil seien aber auch die Hersteller von Ersatzbrennstoffen im Auftrieb.
Das heißt mit anderen Worten: Wegen des grünen Zauns um China werden sich auf Europas Straße künftig keineswegs gigantische Müllberge türmen. Vielmehr bringt der Zaun die hiesige Industrie dazu, Abfälle besser zu trennen, um sie doch noch nach Fernost verkaufen zu können. Außerdem wird mehr verbrannt, um Energie zu gewinnen.
Das alles passiert schon jetzt, bevor die neuen Regeln in China überhaupt in Kraft getreten sind. Die Auswirkungen der Ankündigung seien zu spüren, sagt Monika Gabler, Sprecherin der Hamburger Reederei Hapag Lloyd. Ein Containerschiff braucht etwa sechs Wochen bis zum Hafen von Hongkong oder Tianjin vor Peking. Wer Mitte November noch losfährt, sollte sicher sein, dass er seine Fracht Ende Dezember auch losbekommt.
Umweltbestimmungen in China werden beachtet
Sicher ist das nur noch bei hochwertigem Recycling-Rohstoff. Denn das bisherige Geschäftsmodell – chinesische Wanderarbeiter sortieren für geringste Löhne in mühseliger Arbeit den Müll, egal wie giftig der war – funktioniert nicht mehr. Umwelt- und Gesundheitsbestimmungen gibt es zwar in China schon lange. Doch inzwischen werden sie auch befolgt. Und mit steigenden Löhnen, vor allem aber auch gestiegenem Gesundheitsbewusstsein sind immer weniger Menschen bereit, in schmutzigen Abfällen nach möglichen Wertstoffen zu wühlen.
Hinzu kommt, dass die Chinesen inzwischen selbst gigantische Müllberge anhäufen. Nach offiziellen chinesischen Angaben hat das Riesenreich im vergangenen Jahr rund 200 Millionen Tonnen Hausmüll produziert und weitere 3,3 Milliarden Tonnen an Industrieabfällen. Vor zehn Jahren war es nicht einmal halb so viel. Das Problem ist im ganzen Land sichtbar. Trotz der zahlreich errichteten modernen Recycling- und Müllverbrennungsanlagen kommt die Abfallwirtschaft nicht mehr hinterher, den Müll zu verbrennen oder wiederzuverwerten. Vor den meisten Millionenstädten türmen sich gewaltige Müllberge auf.
Selbst das dünn besiedelte Grasland des tibetischen Plateaus und der innermongolischen Steppe ist inzwischen zugemüllt. Die tibetischen und mongolischen Nomaden sind es gewohnt, ihren Abfall einfach in der Wildnis zu hinterlassen. Doch handelte es sich früher vor allem um organischen Müll, sind es nun Plastikabfälle und Pet-Flaschen, die unverrottbar überall herumliegen.
Noch sehr viel verheerender für die Umwelt ist das Müllproblem in den Gewässern. Wie Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig und die Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan zusammengetragen haben, sind China und Indien dort die mit Abstand größten Verschmutzer. Acht der zehn schmutzigsten Flüsse der Welt liegen in Fernost.
Vom Fluss ins Meer
In China sind es neben dem Yangtse vor allem der Gelbe Fluss, der Haihe und der Perlfluss im Süden des Landes, in die gewaltige Mengen an Plastikmüll gekippt werden. Am Dreischluchtenstaudamm etwa, der den Yangtse aufstaut, fischen Arbeiter jeden Tag rund 3.000 Tonnen Müll aus dem Gewässer, den die Verwaltung des Damms auf Deponien in der Umgebung entsorgen lassen muss. Anderen Studien zufolge gelangt mehr als ein Drittel des weltweiten Plastikmülls in den Ozeanen über die chinesischen Ströme in die Weltmeere.
Die chinesische Regierung hat das Müllproblem erkannt. Dem jüngsten Fünfjahresplan zufolge will China in den kommenden Jahren umgerechnet mehr als 20 Milliarden Euro in den Bau von neuen Verbrennungsanlagen stecken. Der Müll aus dem Ausland wird dafür aber nicht benötigt. Wenn Abfallunternehmen im Ausland nun glauben, dass die chinesische Regierung schon häufig Änderungen angekündigt habt, sie aber dann nicht umsetzte, dann dürften sie sich nach Ansicht des Abfallexperten Huang Xiaoshan diesmal täuschen. „China meint es mit dem Umweltschutz derzeit äußerst ernst“, sagt der prominente Umweltaktivist.
Das Umdenken in China legt die Versäumnisse der deutschen Umweltpolitik bloß, die sich in den letzten Jahren auf Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht hat. Manche Recyclingerfolge seien „mit dem Export minderwertiger Mischkunststoffe nach China erkauft worden“, analysiert der Verband der kommunalen Unternehmen. „Tatsächlich wurden Recyclingquoten mit Exporten nach Asien jahrelang schöngerechnet“, so der Verband.
Das lässt sich auch selbstkritisch lesen: Die Kommunen haben, gemeinsam mit der privaten Entsorgungswirtschaft, die Abfallpolitiker damit beschäftigt, darüber zu entscheiden, wer am Müll verdienen darf – und wer nicht. Die Frage, wie Abfall am besten zu vermeiden oder am effizientesten und saubersten zu nutzen ist, blieb dabei häufig auf der Strecke. Während Deutschland in Selbstzufriedenheit verharrte, entdeckten die Chinesen den Müll als das große Geschäft.
Als das Land ab den frühen neunziger Jahren damit begann, den Rest der Welt mit Jeanshosen, Sportschuhen, Kühlschränken und Fernsehbildschirmen zu beglücken, entstand für die Logistikunternehmen ein großes Missverhältnis. Die gigantischen Containerschiffe, die die chinesischen Häfen voll beladen verließen, kehrten meist leer zurück. Denn so sehr die Chinesen den Globus mit Konsumartikeln belieferten, sie selbst brauchten aus dem Ausland nur wenig – oder sie konnten sich ausländische Ware damals schlicht nicht leisten.
Cheung Yan, Milliardärin dank Abfall
Cheung Yan war die Erste, die darin ein profitables Geschäft erkannte. Die 60-Jährige kam auf die Idee, die leeren Container bei der Rückkehr mit Müll zu füllen. Sie erkannte, dass sich in dem Abfall Wertstoffe befinden, die für Chinas sich damals entwickelnde Volkswirtschaft von großem Nutzen sein könnten. Und weil die Frachter auf dem Rückweg praktisch leer fuhren, waren die Transportkapazitäten wiederum sehr günstig zu kaufen.
Ohne jede Ahnung von der Abfallwirtschaft und einen Brocken Englischkenntnisse gründete sie mit einem Startkapital von umgerechnet gerade einmal 20.000 Euro die Firma „Nine Dragons“. Die spezialisierte sich vor allem auf den US-Import von Altpapier. In China wiederum verarbeitete sie dies zu dringend benötigter Verpackungspappe und anderem Verpackungsmaterial, das wiederum für die boomende Exportbranche benötigt wurde. Das Papier landete also wieder in den USA, womit sie wiederum die leeren Container zurück nach China füllte – ein perfekter Kreislauf. Innerhalb weniger Jahre wurde „Nine Dragons“ der größte Altpapier-Exporteur der USA. Heute ist Cheung Yan mit einem geschätzten Vermögen von über drei Milliarden US-Dollar die reichste Geschäftsfrau Chinas. Andere chinesische Unternehmer übernahmen ihre Idee. China wurde zum weltgrößten Importeur von Müll.
Und nun? „Vielleicht wachen wir hier endlich auf“, hofft Michael Schneider von Remondis im westfälischen Lünen, „wir könnten so viel mehr.“ Auf 240 Hektar füllt das Unternehmen hier quasi ein eigenes Gewerbegebiet, in dem die Wege für Lkw und Gabelstapler „Kompoststraße“ heißen, „Mühlenstraße“ oder „Biostraße“. Von der giftigen Chemikalie über Elektrogeräte bis zum Grünschnitt werden in den verschiedenen Anlagen die unterschiedlichsten Stoffe und Gegenstände in ihre Bestandteile zerlegt, zerkleinert und dann entweder als neuer Rohstoff verkauft, als Brennstoff verbrannt oder als Sondermüll entsorgt. Zum Teil ist große Technik im Spiel, zum Teil aber auch schmutzige Handarbeit.
Deutsche Entsorger hoffen auf Hilfe
In der mehrfamilienhausgroßen Halle für die Elektroschrott-Verwertung etwa sortieren vier Männer am Fließband Haushaltsgeräte, Handys, Computer und Drähte. Sie entfernen ihre Akkus und Kondensatoren, die in der Anlage Feuer fangen oder explodieren könnten. Hier machen sich die Förderbänder, Rüttelmaschinen und Gebläse die Tatsache zunutze, dass Metalle unterschiedliche Gewichte auf die Waage bringen und sich somit mechanisch leicht trennen lassen. Am Ende des Prozesses stehen Kübel, voll mit Kupfer, Eisen oder edelmetallhaltigen Mikrochips.
„Wir könnten so viel mehr“, wiederholt Schneider. Helfen würde es etwa, wenn die Regierung die Industrie endlich mit einer Ökodesign-Richtlinie dazu zwingen würde, Dinge so zu produzieren, dass sie sich leichter auseinandernehmen ließen; mit schärferen Regeln für die großen Mengen an Gewerbeabfällen, in denen Müll einfach vermischt wird und damit kaum noch recycelt werden kann; oder indem sie Recyclingmaterialien zu besseren Marktchancen verhilft – etwa, ihre Nutzung als Lebensmittelverpackung zu erleichtern. Noch immer litten diese unter einem schlechten Image, glaubt Schneider, „Sekundärmaterial“ – zweite Wahl eben.
Um ihren Recylingkunststoff attraktiver zu machen, haben sie ihm bei Remondis vor einigen Jahren Parfüm beigemischt, Lavendel, Rose, Vanille. „Hat aber nicht funktioniert“, sagt Schneider. Als Familienunternehmen sei man natürlich immer für so wenig Bürokratie wie möglich, sagt er. „Aber beim Ressourcenschutz brauchen wir die Politik“, sagt er, „sonst kommen wir nicht weiter.“
Wird China nun gar zum Vorbild? Umweltaktivist Huang sieht sein Land trotz des Engagements der Regierung auf dem falschen Weg. „Es sollte mehr um die Einstellung der Leute gehen statt um technische Lösungen“, kritisiert er. Huang glaubt daher, dass es noch Jahrzehnte dauern wird, bis China sein Müllproblem gelöst haben wird – auch ohne Abfall aus dem Ausland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen