Friederike Gräff über politische Gesinnung beim Mietvertragsabschluss: Eine Abwägungsfrage
Eine reine Mietrechtssache, nichts Politisches, heißt es aus dem Göttinger Amtsgericht und vom Anwalt der siegreichen Partei. Aufsehen erregt es dennoch: Da wird der Mietvertrag eines AfD-Nachwuchspolitikers für unwirksam erklärt, weil der Vater ihn abschloss, ohne auf die Identität seines Sohnes aufmerksam zu machen: Der aber ist in Göttingen bevorzugtes Ziel für Attacken aus der linksautonomen Szene.
Es sei dahingestellt, ob das Zusammenschlagen von Leuten oder ihre Bedrohung per Megafon ein geeignetes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist. Sicher ist, dass es keinen Vermieter froh stimmt, wenn mit dem neuen Mieter Graffitis am Haus auftauchen, für deren Beseitigung er selbst aufkommen muss. Und dass, wer vorher weiß, mit welchem Gepäck der neue Mieter kommt, möglicherweise erst gar keinen Mietvertrag abschließt.
Es gehe nicht um Parteizugehörigkeit, betonen Gericht und Klägerin, während der AfD-Mann politische Justiz beklagt und ein „Skandalurteil“ wittert. Tatsächlich ist der Beklagte selbst in seiner Partei – und das will etwas heißen – wegen seiner Kontakte zu noch extremeren Gruppen umstritten. Es ist also nicht die Parteizugehörigkeit alleine, die ihn zur Zielscheibe der Autonomen macht.
Das Unbehagen, das einen angesichts des Urteils erfasst, hängt an einer anderen Frage: In welchem Maß werden Mieter für die Folgen ihrer Gesinnung verantwortlich gemacht? Natürlich, so sagt es der Göttinger Anwalt, müsste im Umkehrschluss jenes Ehepaar aus Sachsen, das wegen seiner Arbeit für demokratische Bildung angefeindet wird, bei der Suche nach einer neuen Unterkunft den gleichen Maßstab an sich anlegen lassen.
Das heißt: Wer Ziel von Gewalt ist, müsste das offenlegen, um den potenziellen Vermieter zu warnen. Gilt das dann auch für eine Familie aus Ghana, die vor dem Mobbing in welcher Kleinstadt auch immer flieht? Welche Chance haben solche Menschen dann, eine Wohnung zu finden? Es gehe immer um Einzelfälle, betont der Gerichtssprecher aus Göttingen. Da kann man nur hoffen, dass jedes Mal sehr gut abgewogen wird.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen