piwik no script img

Alltägliches Delikt, schwere Strafe

Kommt die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens in öffentlichen Verkehrsmitteln? 154 Leute sitzen deshalb im Gefängnis

Erwischt: 600.000 Schwarzfahrer 2016 in Berlin Foto: Paul Zinken/picture alliance

Von Hannes Koch

Viele Menschen betrachten Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln als kleinen, alltäglichen Regelverstoß. Tatsächlich jedoch steht das Delikt im Strafgesetzbuch. Eine Folge: Ende März 2017 saßen in Berlin 154 Personen im Gefängnis, weil sie eine Geldstrafe für Schwarzfahren nicht bezahlt hatten. Den Widerspruch zwischen Rechtsbewusstsein und Rechtslage möchte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) dadurch entschärfen, dass Bahn- und Busfahren ohne Ticket zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird. Bis dahin sollte man die juristischen Vorgänge beim Schwarzfahren kennen. Ärger über hohe Fahrpreise, Armut, Schludrigkeit, Eile – Motive, kein Ticket für den Bus, die Tram oder S- und U-Bahn zu kaufen, gibt es viele. Rund 600.000 SchwarzfahrerInnen wurden 2016 in Berlin erwischt, rund 50.000 bekamen eine Anzeige. Der Aufwand für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte ist enorm.

Unter anderem dieser Umstand mag Berlins Justizsenator Behrendt veranlasst haben, laut über die Entkriminalisierung des kostenlosen Fahrens in öffentlichen Verkehrsmitteln nachzudenken. „Wir können uns vorstellen, Schwarzfahren von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen“, sagte Behrendt vor knapp einem Jahr. Angesichts der 154 Knackis meinte er: „Das sind Menschen, die eigentlich nicht ins Gefängnis gehören.“ Sie sollten ihre Strafe besser durch soziale Arbeit ableisten.

Bisher allerdings ist nichts Konkretes passiert. Das Strafgesetzbuch ist Bundesrecht. Weder der rot-rot-grüne Senat noch Behrendt selbst haben eine Initiative ergriffen, es zu ändern. Kürzlich allerdings gab es eine entsprechende Äußerung aus Nordrhein-Westfalen. Peter Biesenbach (CDU), der neue Justizminister der CDU, will sich dafür einsetzen, Fahren ohne Ticket in der Regel nicht mehr als Straftat zu ahnden. Biesenbach kündigte an, mit den Justizministern der anderen Bundesländer darüber zu beraten – Behrendt begrüßt das.

Wird man von den Kontrolleuren der S-Bahn oder Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) erwischt, sind zunächst 60 Euro fällig. Das ist kein Bußgeld, sondern – juristisch betrachtet – ein erhöhtes Beförderungsentgelt. Hier geht es um den zivilrechtlichen Teil der Angelegenheit. Mit den 60 Euro will sich das Verkehrsunternehmen schadlos halten für Zahlungen, die ihm entgehen.

Wer allerdings nachweist, dass er nicht zahlen konnte oder den Fahrpreis bereits entrichtet hat, braucht die 60 Euro nicht zu überweisen. Ist beispielsweise der Ticketautomat auf dem Bahnsteig kaputt, sollte man dies mit einem Smartphone-Foto belegen. Das vergessene Monatsticket, das zu Hause liegt, kann man nachreichen.

Wenn man schlicht kein Ticket kauft und erwischt wird, kommt man beim ersten und zweiten Mal ebenfalls mit 60 Euro davon. „Wer hingegen ein drittes Mal innerhalb eines Jahres auffällt, wird in der Regel angezeigt“, sagt der Berliner Rechtsanwalt Matthias Losert. An diesem Punkt wird das Strafrecht wirksam. Geregelt ist das unter anderem in Paragraf 265a des Strafgesetzbuches.

Demnach steht das Erschleichen einer Beförderung ohne Bezahlung unter Strafe. Damit zusammenhängen können Betrug und Urkundenfälschung. Von dieser spricht man, wenn ein Fahrgast sein Ticket manipuliert hat, um den Eindruck zu erwecken, es sei gültig. Beliebt ist es, den Stempelaufdruck des Ticketautomaten mechanisch wegzurasieren, um einen bereits benutzten Fahrschein abermals zu verwenden. In dieselbe Kategorie fällt die eigenhändige Verlängerung des Studentenausweises, der Voraussetzung für ein preisreduziertes Schüler- oder Studententicket ist. Technisch versierten Leuten gelingt es auch, vermeintliche Fahrscheine auf speziellen Druckern selbst zu produzieren.

Bei Schwarzfahren sieht das Gesetz eine Geldstrafe vor, die zusätzlich zum erhöhten Beförderungsentgelt festgesetzt wird. In schweren und wiederholten Fällen reicht das Strafmaß bis zu einem Jahr Gefängnis. Schwerwiegender wird es bei zum Beispiel bei Urkundenfälschung. Da reiche der Strafrahmen bis zu fünf Jahren, erklärt Rechtsanwalt Steffen Dietrich.

Meistens kommt es aber nicht so weit. Hat das Beförderungsunternehmen Anzeige bei Polizei oder Staatsanwaltschaft eingereicht, erhält der Beschuldigte einen Anhörungsbogen, auf dem er Stellung nehmen soll. Verpflichtend ist das nicht. Man sollte an diesem Punkt in Erwägung ziehen, einen Anwalt einzuschalten. Wird das Verfahren danach beispielsweise unter einer Auflage eingestellt, kann der Zahlungsbefehl schon 800 Euro erreichen. Kommt es zu einem Strafbefehl oder zu einer Verurteilung, liegt die Strafe oft darüber. Dann werden beispielsweise 20 Tagessätze erhoben – bei einem Nettoeinkommen von 2.000 Euro monatlich sind das schon rund 1.400 Euro. Nicht unerhebliche Kosten entstehen auch dem Staat – nämlich dann, wenn Schwarzfahrer im Gefängnis landen. Doch obwohl die Forderung nach Entkriminalisierung des Schwarzfahrens inzwischen auch bei Christdemokraten Gehör findet, dürfte sie im Bundesrat derzeit kaum mehrheitsfähig sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen