: „Mathe fand ich langweilig“
Für Andreas Schmidt von Puskás ist die Bundestagswahl Routine, obwohl er am Sonntag rund 20.000 Mitarbeiter koordiniert. Zu Meinungsforschern geht er auf Distanz: Er vertraut nur harten Zahlen – und kann das Wahlverfahren in einem Satz erklären
INTERVIEW FELIX LEE UND RICHARD ROTHER
taz: Herr Schmidt von Puskás, wen werden Sie am 18. September wählen?
Andreas Schmidt von Puskás: Das werde ich Ihnen nicht verraten. Der Wahlleiter muss seine Neutralität behalten.
Sie sagen auch Ihren engsten Freunden nicht, was Sie ankreuzen?
Na ja, so eng darf man das auch nicht sehen. Bekannt zumindest ist, dass ich wählen gehe. Das ist ja auch schon Teil des Wahlgeheimnisses. Bei jeder Wahl gehe ich kurz nach acht ins Wahllokal.
Warum so früh?
An diesem Tag stehe ich natürlich früh auf. Briefwahl mag ich nicht so gern. Ich will gerne vor Ort sein, wenn ich meine Stimme abgebe.
Ist es für Sie jedes Mal ein besonderes Ereignis, den ausgefüllten Zettel in die Wahlurne zu stecken und damit auch die Last von mehreren Monaten Arbeit abzuwerfen?
Ein so starkes Empfinden habe ich nicht nach so viel Wahlen. Das Erfolgsgefühl kommt erst am Abend. Wir koordinieren an einem Wahlsonntag über 20.000 Mitarbeiter. Wenn am Abend gemeldet wird, dass es keine Probleme gegeben hat, atme ich tief durch. Ob unsere Arbeit gut verlaufen ist, weiß ich ohnehin erst, wenn die Anfechtungsfristen vorbei sind, also mehrere Monate später.
Sie sind seit über 20 Jahren Wahlleiter, bis 1998 waren Sie Stellvertreter. Wird diese Arbeit nach so vielen Wahlen nicht langweilig?
Ach was. Jede Wahl hat ihre eigenen Besonderheiten. Wer hätte vor wenigen Monaten gedacht, dass wir jetzt einen neuen Bundestag wählen.
Sind Sie in dem Moment zurückgeschreckt, als am Abend der NRW-Wahlen Kanzler Schröder Neuwahlen ankündigte?
Zurückgeschreckt bin ich nicht. Im ersten Moment habe ich mich gefragt, ob das wirklich nötig ist. Am nächsten Tag habe ich selbstverständlich die Terminpläne fertig gemacht und eine interne Sondersitzung einberufen.
Wie kommen Sie mit den vorgezogenen Wahlen klar?
Das ist ja nicht meine erste vorgezogene Wahl. Bei der Senatskrise 1981, in deren Folge die SPD die Macht verlor, war ich als stellvertretender Wahlleiter auch schon mit dabei. Damals war ich viel aufgeregter. Natürlich hat eine vorzeitige Wahl eine eigene Dynamik. Normalerweise haben wir ja fast ein Jahr Vorbereitungszeit, die war jetzt knapper.
Welche Probleme hatten Sie denn?
Große Sorgen bereitete mir die Frage, ob wir genügend Wahlhelfer zusammenbekommen. Jedes Wahllokal braucht eine Mannschaft von fünf bis sieben Personen. Berlinweit macht das 22.000. So viele Leute in kurzer Zeit zu motivieren, ist sehr schwierig, zumal sie gerade einmal 16 Euro Erfrischungsgeld für den ganzen Tag bekommen. In manchen Verwaltungen muss man schon mal sanften Druck ausüben, um die freiwilligen Helfer zu bekommen.
Nehmen wir an: Ein Wähler bringt einen selbstgebackenen Pflaumenkuchen mit, um die Wahlhelfer zu erfreuen. Dürfen die den annehmen?
Formal dürfen sie nicht. Wenn sie vernünftig sind, machen sie es dennoch. Kuchen ist etwas anderes als Geld oder andere Geschenke. Mit den Vorschriften ist das so eine Sache bei Ehrenamtlichen. Ich hatte mal einen aggressiven Nichtraucher, der vor Gericht gezogen ist, weil im Wahllokal geraucht wurde. Da wir auch Kneipen als Wahllokal nutzen, können wir schlecht dem Kneipier das Rauchen verbieten.
Haben Sie jemals gezweifelt, dass diese Wahl stattfindet?
Ich habe mich natürlich damit befasst, auf welcher rechtlichen Grundlage die Verfassungsrichter entscheiden. Mich haben Leute empört angerufen: Wie können Sie mir eine Wahlbenachrichtigung schicken, wenn gar nicht klar ist, dass die Wahl stattfindet? Ich bin Jurist, und aus rechtlicher Sicht ist alles klar geregelt: Es gibt eine Entscheidung des Bundespräsidenten. Solange sie vom Gericht nicht aufgehoben wird, müssen wir diese Anordnung umsetzen.
In Mathe hatten Sie sicherlich eine Eins. Wie wird man Wahlleiter?
Mit Zahlen habe ich zwar im Laufe der Zeit umzugehen gelernt, bin aber kein Statistiker. Mathe fand ich eher langweilig. Ich war eher geschichtsinteressiert und an den allgemeinen politischen Dingen. Während meines Jura-Studiums an der FU Berlin habe ich sehr schnell meinen Schwerpunkt auf öffentliches Recht gesetzt. Seit 1972 bin ich in der öffentlichen Verwaltung tätig. Mit Zahlen hat das Amt des Landeswahlleiters zwar auch zu tun, viel wichtiger sind jedoch juristische Kenntnisse.
Sie sind Verwaltungsbeamter, haben aber in Ihrer Funktion als Landeswahlleiter eine Funktion mit großen Auswirkungen auf die Politik.
Viele haben die Vorstellung: Da sitzt ein Beamter, der ist womöglich parteiisch. Das ist überhaupt nicht so. Für die Wahlzulassung kommt es nicht auf die politisch-programmatischen Inhalte, sondern weitgehend auf formale Kriterien an.
Wenn Sie die Linkspartei nicht zugelassen hätten, hätten Sie das gesamte politische System beeinflusst.
Das muss man relativ sehen. Bei der Linkspartei ging es um die Frage: Ist der Vorschlag einer Partei noch der eigene Vorschlag, wenn eine andere Partei mit im Boot sitzt? Ist es in Wahrheit nicht doch eine Listenvereinigung? Parteilose auf Kandidatenlisten einer Partei gab es schon immer mal. Über die Vorschläge von fremden Parteimitgliedern trifft das Wahlgesetz keine klare Regelung.
Was macht eigentlich ein Landeswahlleiter zwischen den Wahlen?
Ach, ich habe immer genug zu tun. Es gibt auch noch Volksbegehren und Volksentscheide. Ansonsten bin ich in der Senatsverwaltung zuständig für Verfassungsrecht, Wahlrecht, Parteienrecht, aber auch für Bezirksangelegenheiten und das Berliner Beamtenrecht.
Was war Ihre spannendste Wahl?
Die spannendsten Wahlen waren die im Jahr 1990. Das fing mit den Volkskammerwahlen an, für die wir als Beobachter schon angefragt wurden. Dann gab es die Kommunalwahlen im Mai. Und der Westberliner Senat hatte angefangen zu diskutieren, ob sich Berlin an den Bundestagswahlen beteiligt. Das war bis dahin für die Alliierten ja ein Problem. Während über die Westwahlkreise noch nicht entschieden war, wollte der Ostteil sich schon auf die Bundestagswahlen im Herbst vorbereiten. Und wir mussten in beiden Teilen der Stadt beratend und logistisch zur Seite stehen.
Wie war das, als Sie in den Ostteil der Stadt gebeten wurden?
Ich war vor allem neugierig. Als ich zum ersten Mal ein Ministerium betrat, war ich auch erschüttert. Am Eingang fragte ein Uniformierter, wo Sie denn hinwollen. Da bin ich erst mal zurückgeschreckt. Das liegt natürlich daran, dass ich im Westen aufgewachsen bin und immer noch das Grenzerlebnis im Kopf hatte. Erschüttert hat mich dann aber besonders, dass jede Tür versiegelt war – das mochte ich nicht glauben. Ein derartiges Misstrauen.
Finden Sie diese Wahl spannend?
Spannend ist sie höchstens, weil sie so kurzfristig ist. Zugleich ist natürlich klar: Ob es Schröder wird oder Merkel – das wird wohl nicht in Berlin entschieden.
Was halten Sie von Wahlumfragen?
Die Meinungsforscher sind auf die amtliche Statistik angewiesen, zumindest zur Kontrolle der Ergebnisse. Wenn sie die Nachfrage am Wahltag vor ausgewählten Wahllokalen selbst halten, erreichen sie sehr viele Personen. Dann sind sie meistens schon sehr nahe dran am Wahlergebnis. Was sie vorher machen, sind diese Telefoninterviews. Ich persönlich lege immer auf, wenn mich einer anruft. Entscheidend für die Sitzverteilung im Parlament sind die gezählten Stimmen.
Empfinden Sie Schadenfreude, wenn die Meinungsforscher danebenliegen?
Das würde ich so nicht bezeichnen. Ich kann mich noch erinnern an Zeiten, als die Hochrechnungen noch unpräziser waren. Da wurden bereits die ersten Sieger genannt, und es gab in den Kneipen Freibier. Fünf Minuten später wurde das Ergebnis revidiert, und der Gegner gab Freibier aus.
Nach der Wahl überraschen die Institute mit Analysen zu Wählerwanderungen. Was halten Sie davon?
Solche Analysen finde ich wenig seriös. Ich weiß nicht, woher sie die Information haben. Da müssten die Leute befragt worden sein, wie sie beim letzten Mal gewählt haben.
Ab wann kennen Sie am Wahlttag das Ergebnis?
Ich rechne mit den ersten Ergebnissen der Wahlkreise um 20 Uhr. Dank der Technik geht das Zählen und das Übermitteln der Ergebnisse schnell. Die Briefwahl ist insoweit ein Problem, weil jeder Wahlumschlag einzeln geöffnet werden muss. Das dauert etwas länger.
Warum machen immer mehr Berliner Briefwahl?
Die Menschen werden immer bequemer. Sie können sich die Wahlzettel in Ruhe anschauen und darüber diskutieren – oder die Menschen wollen sich nicht outen, ob sie überhaupt wählen. Im Wahllokal gibt es viele Unentschlossene. Leute, die am liebsten fragen würden, wer denn für was steht. Mein Ratschlag: Schauen Sie sich den Stimmzettel doch vorher an. Der ist auch online abrufbar.
Manche Leute sind überfordert, wenn sie Parteinamen wie APPD lesen. Was halten Sie von diesen Spaßparteien?
Ich sage nur: Sie machen Arbeit. Die formalen Voraussetzungen erfüllen sie aber.
Wir wollen unseren LeserInnen auch ein bisschen Wahlservice bieten. Erklären Sie doch mal in einem Satz, wie bei das bei den Bundestagswahlen verwendete Hare-Niemeyer-Verfahren funktioniert?
Es funktioniert nach dem Prinzip des Dreisatzes.
Aha.
Es werden die Stimmen jeder Partei auf die 598 Sitze im Bundestag verteilt. Dazu werden die bundesweit erzielten Stimmen einer Partei multipliziert mit der Gesamtzahl der Sitze, nämlich 598, und durch die Gesamtzahl der bundesweit abgegebenen Stimmen aller Parteien geteilt. Das ist alles.
Und Überhangmandate?
Direktmandate sind direkt zugeteilt. Wer die meisten Erststimmen hat, erhält das Mandat, unabhängig vom Zweitstimmenanteil. Wieder ein Beispiel: Sie bekommen 5 Direktmandate in einem Bundesland, nach dem Proporz der Zweitstimmen stehen Ihnen aber nur 4 zu. Dann ist dieses eine ein Überhangmandat.
Letzte Frage: Hat Schröder noch eine Chance?
Das weiß ich nicht. Zumal Sie das zu personenfixiert fragen. Hinter den Personen stecken immer Mannschaften. Sie können mir keine Äußerung entlocken, dass ich irgendeine Präferenz habe. Ich bin einfach neugierig genug, um zu sagen: Gezählt wird am Wahlabend.
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