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Kommentar GeschlechtergleichstellungVon wegen Showgirl

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Laut einer EU-Studie holen Italienerinnen bei der Gleichstellung auf. Frauen erobern die Unis. Und die Deutschen? Kunstgeschichte, wie immer.

Ein guter Ort für Frauen: die Universität La Sapienza in Rom Foto: dpa

A m Mittwoch legte das Europäische Institut für Geschlechter-Gleichstellung seinen Bericht vor, basierend auf Daten von 2015 – und auf den ersten Blick sind die Dinge genau so, wie wir sie erwartet hätten. Nirgendwo in der EU haben Frauen wirklich Gleichheit erreicht, egal ob es sich um Jobs dreht, um Geld oder die verfügbare Zeit.

Doch innerhalb Europas zeichnet sich ein klares Muster ab. Ganz vorne liegen die skandinavischen Länder, Schweden hält wie immer Platz eins. Auf den folgenden Plätzen finden sich die Staaten Kerneuropas: Frankreich, Deutschland, Belgien, Österreich. Abgeschlagen auf den hinteren Plätzen schließlich die Staaten Osteuropas und des Balkans, mit Ausnahme Sloweniens, das klar vor Deutschland rangiert.

Doch näheres Hinsehen lohnt sich. Da fällt zunächst auf, dass Deutschland ganz und gar nicht glänzt: Es liegt bloß im Mittelfeld und verzeichnet im Vergleich zu 2012 nur minimale Fortschritte bei der Gleichstellung. Sorgen sollte machen, dass es auf dem Feld Bildung sogar kräftig zurück geht. Auch in Deutschland sind Mädchen besser in der Schule, besser an der Uni, doch der Bericht hält fest, dass die Trennung zwischen den Geschlechtern bei der Studienwahl sich weiter vertieft hat, dass Jungs sich Natur- und Ingenieurwissenschaften und Mädchen wie gehabt vorwiegend den Geisteswissenschaften zuwenden.

Gute Nachrichten dagegen gibt es aus Italien. Das Land rangierte vor zehn Jahren noch ganz hinten, auf Platz 26. Und da gehört es ja auch hin, glauben zumindest in Deutschland viele: Das Land, in dem ein Sexist wie Silvio Berlusconi ungeniert wirken konnte, in dem halb nackte Frauen das halbe TV-Programm prägten, in dem Mädchen angeblich den Hauptberufswunsch „Showgirl“ hegten, in dem Politikerinnen von ihren (männlichen) Gegnern immer wieder ungestraft mit sexistischen Beleidigungen überzogen werden konnten.

Egal ob Physik oder Jura: Die Italienerinnen sind an den Unis quer durch die Fakultäten auf dem Vormarsch, sie stellen mittlerweile fast 60 Prozent der Uni-AbsolventInnen.

Doch Italien arbeitete sich jetzt im EU-Ranking auf Platz 14 vor. Und es verzeichnete gerade auf jenem Feld die größten Fortschritte, auf dem in Deutschland Rückschritt herrscht: bei der Bildung. Anders als in Deutschland geht die „Segregation“, die Trennung zwischen „typisch männlichen“ und „weiblichen“ Bildungskarrieren dort zurück. Egal ob Physik oder Jura: Die Italienerinnen sind an den Unis quer durch die Fakultäten auf dem Vormarsch, sie stellen mittlerweile fast 60 Prozent der Uni-AbsolventInnen. Von wegen „Showgirl“!

Die Entwicklung überrascht nicht bloß, weil sie lieb gewonnene Klischees zerstört, sondern auch weil sie sich nicht staatlichen Politiken, sondern allein der gesellschaftlichen Dynamik verdankt. Gezielte Programme, um Mädchen für Naturwissenschaften und Technik zu interessieren, gibt es in Italien kaum. Niemand hat da „von oben“ nachgeholfen. Und doch überrunden sie mit 34 Prozent Anteil in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern deutlich ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen, die bei 20 Prozent hängen bleiben.

Italiens Gesellschaft ist schlicht weiter, als viele gerade auch im Ausland wahrhaben wollen. Diese Uhr zurück zu drehen, das hat weder der Old-Style-Macho Berlusconi geschafft, noch die sexistische Dauerberieselung in vielen Fernseh- und Printmedien. Wenigstens auf dem Feld der Geschlechter-Gleichstellung ist das Land weit besser als sein Ruf.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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8 Kommentare

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  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "Auch in Deutschland sind Mädchen besser in der Schule, besser an der Uni, doch der Bericht hält fest, dass die Trennung zwischen den Geschlechtern bei der Studienwahl sich weiter vertieft hat, dass Jungs sich Natur- und Ingenieurwissenschaften und Mädchen wie gehabt vorwiegend den Geisteswissenschaften zuwenden."

     

    Der Bericht schreibt u.a. : "On average, at the age of 15, boys score significantlybetter than girls in sciences in ten EU countries: Belgium, Czech Republic, German y, Ireland, Spain, Italy, Luxembourg, Austria, Poland and Portugal. On the contrary, girls are significantly better than boys in sciences in eight EU countries:

    Bulgaria, Greece, Cyprus, Latvia, Malta, Romania, Slovenia and Finland. In the remaining 10 countries there is no significant gender difference."

     

    Warum es in anderen Ländern anders ist, würde mich interessieren? Mal abgesehen davon, dass "besser" nicht unbedingt auch besser ist, wenn es etwa um geisteswissenschaftliche Belange geht. Mädchen konformieren öfter als Jungs, sind also eher "compliant" (und Lehrerinnen sind in all den aufgezählen Ländern in der Überzahl). Ob sie deshalb auch besser sind, darf bezweifelt werden. Aber darum geht es ja nicht. Es geht um irgendwelche ziemlich fragwürdige Messlatten.

  • 6G
    64457 (Profil gelöscht)

    Mathematikstudium 80er DDR: 50 % Frauen in der Seminargruppe, Ingenieurstudium 90er neue BL: ebenfalls 50 %. Noch heute sieht man auf ostdt. Baustellen viele ältere Bauleiterinnen. Die Ernüchterung kam erst bei der Bewerbung im Westen: "Wie sind SIE ALS FRAU denn auf solch eine ausgefallene Ideee gekommen.", "Warum machen SIE ALS FRAU denn Elektro- und nicht Lebensmittelchemie?". Mangels Alternativen Lehrerinnen-Quereinstieg. Fachberaterin Chemie: "Machen SIE ALS FRAU doch lieber Kosmetikherstellung, damit sich auch Mädchen angesprochen fühlen." (Es waren 75 % Mädchen anwesend!)

  • Es ist schon seit längerer Zeit zu beobachten, dass in südeuropäischen Ländern mehr Frauen in den Naturwissenschaften sind als in Deutschland. Das hat aber auch mit dem Bild und dem Stellenwert der Berufe zu tun. Naturwissenschaften haben in diesen Ländern den Beigeschmack von rumspielen und stehen im Gegensatz zu Berufen wie Arzt, Rechtsanwalt oder Manager, wo noch wahre Männer gebraucht werden.

    Je nachdem, wie stark dieser Aspekt tatsächlich ist, ist die Situation überhaupt kein Beleg für einen Fortschritt in Richtung "Gleichstellung", sondern das genaue Gegenteil.

  • "Die Italienerinnen sind an den Unis quer durch die Fakultäten auf dem Vormarsch, sie stellen mittlerweile fast 60 Prozent der Uni-AbsolventInnen."

    Und das ist ein Fortschritt in Richtung "Gleichstellung" ? Wann wäre denn dann die Gleichstellung der Geschlechter erreicht? Bei 80%, 90% oder 100% ?

    • @yohak yohak:

      Wenn mindestens ~40%+ der Plätze pro Studiendisziplin von Frauen belegt wird.

       

      Wenn sich Jungs nicht für "echte Frauendisziplinen" aka. "die echte Wissenschaft" wie Medizin, Mathematik, Jura, Sprache und Psychologie interessieren ist dies ein Problem eurer fragilen Männlichkeit. ^^

       

      Ha witzle gmacht.

    • @yohak yohak:

      Offenkundig wenn 100% aller Jungen von der Schule bis zum Abschluss der Uni benachteiligt sind. Bei den Schulen ist man ja schon auf einem guten Weg. Jungs haben sich gefälligst zu benehmen wie Mädchen!

       

      Es ist eben so Gleichstellung != Gleichberechtigung. Aber das interessiert im ideologischen Wahn schon lange niemanden mehr. Und wie alle Ideologien kommt eben irgendwann die Wand!

      • 9G
        970 (Profil gelöscht)
        @insLot:

        "Jungs haben sich gefälligst zu benehmen wie Mädchen!"

         

        Nö. Alle haben sich zu benehmen. Dann ist es dem Kapital scheißegal, was untenrum vorhanden ist.

      • @insLot:

        huhu. Ideologie. Etwas wovon du selbst "die Mitte" natürlich völlig frei bist *lacht*.