Privatisierung abgewendet: Stadt – Land – Fluss
Niedersachsen kauft einen Abschnitt der Jeetzel in Hitzacker vom Bund. Eine Bürgerinitiative hatte für den Fluss als öffentliches Gut gestritten.
Am Freitag vergangener Woche wurde der Kaufvertrag notariell beglaubigt. Über seine Bundesanstalt für Immobilienangelegenheiten hatte der Bund den 820 Meter langen Jeetzel-Abschnitt meistbietend zum Verkauf angeboten. Die Pläne waren im vergangenen Jahr bekannt geworden. Der geforderte Kaufpreis wurde zunächst auf 88.600 Euro festgesetzt und später, nach einer Fristverlängerung, auf 95.000 Euro erhöht.
In Deutschland gehören Flüsse in der Regel dem Bund oder den Bundesländern – da, wo sie als Wasserstraßen dienen, ist immer der Bund Eigentümer. Grundsätzlich ist zwar auch Privateigentum an Flüssen möglich, aber bislang verkaufte der Staat nur Seen und andere stehende Gewässer an private Investoren. Fließende Gewässer wurden bisher nicht an Privatpersonen veräußert.
Größere Verkaufspläne hatte der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) im Jahr 2011. Er wollte „Bundeswasserstraßen ohne Transportfunktion“ an die Länder oder private Investoren abgeben. Im Gespräch waren damals etwa die Lahn und die Leine. Im Sinne einer „Nutzerfinanzierung“ hätten dann Bootsfahrer und Touristenfähren die Flüsse selbst betreiben können. Die Pläne wurden aber nicht weiter verfolgt. Erst durch den beabsichtigten Jeetzel-Deal gelangte das Thema wieder an die Öffentlichkeit.
Das gut 70 Kilometer lange Jeetzel entspringt als Jeetze in der südwestlichen Altmark im Norden Sachsen- Anhalts.
Hinter Salzwedel gelangt sie nach Niedersachsen. Sie durchfließt die Städte Wustrow, Lüchow und Dannenberg und fließt bei Hitzacker in die Elbe.
Hitzacker hat rund 5.000 Einwohner. Viele Menschen leben hier vom Tourismus.
Überregional bekannt sind die Sommerlichen Musiktage Hitzacker und die Musikwoche.
Jeetzel unnötig
Die Bundesanstalt begründete die Verkaufsabsicht damit, dass die Jeetzel nicht mehr für hoheitliche Zwecke benötigt werde. Lange Zeit hatte das Wasser- und Schifffahrtsamt den Fluss für seine Vermessungsschiffe genutzt, doch mittlerweile hat das Amt den Hafen verlegt. Der Bund sei verpflichtet, entbehrliche Grundstücke zu verkaufen, so stehe es in der Bundeshaushaltssatzung.
In Hitzacker waren viele Einwohner und Kommunalpolitiker über die geplante Privatisierung empört. Der Flussabschnitt sei wichtig für Hitzacker, argumentierte Bürgermeister Holger Mertins (FDP). Er gehöre zur touristischen Infrastruktur der Stadt und der Region.
Mehrere Boote und Fähren legen dort an, ein Floß beherbergt ein Café, und auf einem früheren Zoll-Schiff können sich Paare sogar trauen lassen. Regelmäßig tuckern auch Flusskreuzfahrtschiffe die Jeetzel hinauf. Wenn der Fluss in falsche Hände falle, so die Befürchtung, sei all das vielleicht nicht mehr möglich.
Leere Kassen
Der Bürgermeister und der Stadtrat forderten das Land Niedersachsen auf, die Jeetzel zu kaufen, doch die Landesregierung sah sich zunächst nicht in der Pflicht. Die Kommune selbst zeigte sich zwar an einem Erwerb interessiert und berief sich auch auf ein „Erstzugriffsrecht“, verwies gleichzeitig aber auf leere Kassen.
Mehrere Bürger gründeten daraufhin im November 2016 den Verein „Gemeinsam für Hitzacker“, der Spenden einsammeln und die Kommune beim Kauf unterstützen sollte. Mit der „Jeetzel-Aktie“ konnten Interessierte einen symbolischen Fluss-Meter erwerben. Aus ganz Deutschland gingen Überweisungen ein. Rund 58.000 Euro kamen bis zum September zusammen.
Dies sowie eine intensive Öffentlichkeitsarbeit des Vereins, hitzige Debatten im Stadtrat und eine Flut von Leserbriefen in der Lokalzeitung erzwangen in den vergangenen Monaten eine Wende. Bund und Land verständigten sich darauf, die Privatisierung zu stoppen und die Jeetzel an Niedersachsen abzutreten. Mit dem Erwerb geht auch die Pflicht, den Flussabschnitt zu unterhalten, auf das Land über.
Engagement macht´s möglich
„Flüsse sind öffentliches Gut und müssen dem Gemeinwohl dienen“, sagt nun Landesumweltminister Stefan Wenzel (Grüne). „Egal, ob als Naturräume, für den Tourismus oder als Verkehrswege.“ Deswegen habe das Land Niedersachsen „alles daran gesetzt, eine drohende Privatisierung des Teilstückes der Jeetzel zu verhindern“. Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger vor Ort habe sich gelohnt. Nun bestünden wieder „klare Verhältnisse an dem Jeetzel-Abschnitt“, so Wenzel.
Der Verein „Gemeinsam für Hitzacker“ ist erleichtert über die Einigung. „Die Hängepartie hat ein Ende und die Erleichterung ist groß!“, kommentierte der Vorsitzende Gerd Neubauer. Der Fluss bleibe in öffentlichem Besitz, damit sei die wichtigste Forderung des Vereins erfüllt. Der Kauf des Jeetzel-Abschnitts durch das Land sei zugleich „eine wichtige Entscheidung, die die Bedeutung von Flüssen als Gemeingut hervorhebt“.
Die hohe Spendensumme habe gezeigt, wie groß das Unverständnis bundesweit über die Privatisierung eines Flusses gewesen sei, sagt Neubauer. In den kommenden Wochen will der Verein mit den Spendern Kontakt aufnehmen und die Rückzahlung der zweckgebundenen Spenden klären.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“