Transsexualität Wie schnell wachsen die Muskeln? Wo sprießen neue Haare? Eine Doku über zwei Trans-Männer in einem Fußballverein läuft am Sonntag im NDR: Aus Mariko und Cindywerden Marino und Fabian
Von Daniel Trommer
Marino, die Haare seitlich kurz geschoren, auf dem Kopf perfekt gestylt, schwitzt im Fitnessstudio – und grinst in die Kamera. „Ich hab total Muskelkater im Po“, sagt er. Am Tag zuvor hat er seine erste Testosteronspritze beim Hormon-Arzt bekommen. „Ich hab mich danach kurz voll männlich gefühlt. Aber das war wahrscheinlich nur Einbildung.“
Marino, 22, ist als Mariko in einem weiblichen Körper geboren. Genau wie Fabian, 28, der als Cindy aufgewachsen ist. Die beiden sind Trans-Männer, sie konnten sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren und wollen es jetzt mit Hormontherapie und Operationen ändern. Alle drei Monate bekommen sie eine Testosteron-Spritze, die sie ab jetzt den Rest ihres Lebens brauchen. Die Geschlechtsumwandlung und somit ihre sogenannte „zweite Pubertät“ dauert vier bis sechs Jahre.
„Testosterongesteuert – wenn aus Fußballerinnen Männer werden“ heißt die NDR-Doku, in der es zum Beispiel um die Frage geht, wie lang eine Frau auf dem Weg zum Mann eigentlich noch für ein Frauenfußballteam spielen darf. Marino und Fabian spielen beide beim Hamburger Fußballverein Grün-Weiß Eimsbüttel. Fabian hat sich dort im Frühjahr 2016 vor seinem Frauenteam geoutet und seinen Ausstieg erklärt, nachdem er die ersten Testosteron-Spritzen erhalten hatte. Ina Kast vom NDR Fernsehen, die auch bei Grün-Weiß Eimsbüttel spielt, fragte Fabian, ob er „Bock auf Aufklärung“ zum Thema Transsexualität habe. Er hatte.
Marino hatte sich zu dem Zeitpunkt schon für die Geschlechtsangleichung entschieden, sich aber noch nicht geoutet. Als er von Fabian hörte, sprach er ihn an. Überrascht und glücklich seien sie gewesen, dass da zur gleichen Zeit im gleichen Verein jemand ist, der diesen Weg geht, erzählen beide.
So kam Marino zu dem Film. Damals hatte er noch nicht mit dem Frauenfußball aufgehört. Das kam erst, nachdem er seine zweite Spritze bekommen hatte. Später erfuhr er, dass er im Spitzensport schon seit der ersten Spritze als gedopt gegolten hätte.
Im Amateurfußball sieht das die Vizepräsidentin des Deutschen Fußball-Bundes für Frauen- und Mädchenfußball, Hannelore Ratzeburg, gelassen: Man müsse im Einzelfall schauen, meint sie, und blickt etwas ratlos in die Kamera. Vielleicht solle Marino aufhören, sobald die Namensänderung offiziell sei?
Fragen, die die beiden in der Übergangsphase von Frau zu Mann beschäftigen, sind: Gucken andere Männer mich komisch an? Was ist, wenn ich auf einem Männerklo in eine Kabine gehe, obwohl Pissoirs frei wären? Wie schnell wachsen meine Muskeln? Wo überall wachsen mir wann neue Haare? Wie kann ich meine ersten Barthaare so schminken, dass sie besser sichtbar werden? Wie kann ich offiziell als Mann anerkannt werden und meinen Namen ändern? Wie läuft eine Brust-OP genau ab? Bleibe ich nach einer Penisoperation orgasmusfähig? Wieso ist der Packer, den ich doch nur bis zur OP zum Ausbeulen der Hose tragen will, so unnatürlich groß?
Natürlich gehört dazu auch die Frage: Wie wird mein Umfeld mein Outing aufnehmen? Fabian arbeitet zum Beispiel als Lehrer in einer Schule. Er hatte riesigen Respekt davor, öffentlich zu verkünden, dass Frau S. von nun an Herr S. ist. Doch als er es bei einem Elternabend erzählt, wirft eine Mutter sofort ein: „Herr S., warum sprechen wir überhaupt darüber. Das ist für uns gar kein Problem.“ Das erzählt Fabian bei der Filmvorführung.
Auch seine Schüler reagierten total positiv auf die Nachricht. Einer sagt im Film: „Zuerst dachte ich: Ist das ein Scherz? Nein?! Dann dachte ich: Cool, das erlebt man ja auch nicht alle Tage. Ihre Stimme ist ja jetzt schon viel tiefer!“ Er überlegt kurz und schiebt dann noch schnell hinterher: „Und sie hat auch schon kurze Haare!“
Dadurch, dass der Film eine Entwicklung über mehrere Monate begleitet, hat man den Eindruck, nahe an die Protagonisten heranzukommen. So sieht das auch Anne Strauch von NDR Info, neben Ina Kast die zweite Produzentin der 45-minütigen Doku: „Das Vertrauen ist langsam gewachsen“, sagt sie. Diese Nähe stellt sich besonders dann ein, wenn die beiden von früheren Erinnerungen berichten. Fabian erzählt zum Beispiel, dass er sich als Cindy immer nur für andere geschminkt habe. Er selbst mochte das eigentlich nicht. Als er einen kleinen Bruder bekam, fragte er, damals eben noch als sie, die Mutter: „Darf ich mich da später auch noch mal entscheiden?“
Auch Marino hat solche Erinnerungen. „Früher habe ich oft zu Gott gebetet, dass ich am Morgen aufwache und ein Junge bin“, erzählt er. Jetzt, als Mann, wagt er den Schritt und geht zum Probetraining des dritten Männerteams seines Vereins Grün-Weiß Eimsbüttel. Als die Kamera ihn in die Kabine begleitet, sieht man ihm an, wie nervös er ist. Rückfrage auf dem Platz, wie er sich fühlt: „Ich bin noch zu schüchtern. Natürlich ist es viel schneller, auch anstrengender, aber es macht Spaß“, sagt er verschwitzt.
Fabian, der während seiner zweiten Pubertät eine Spielpause einlegt, ist zum Zuschauen vorbeigekommen. Im strömenden Hamburger Regen steht er unter seinem Schirm und scherzt: „Die spielen ihn sogar an!“ Dann grinst er: „Die wissen doch von ihm?“ Für Fabian selbst käme der Schritt zurück in den Fußball zu früh. Er wolle das nicht als Trans-Mann machen. Aber vielleicht später, wenn er sich selbst ganz als Mann sieht.
Nach dem Training sitzen die beiden in einer Kabine mit einem Bier. Ihr Fazit? Er fühle sich immer noch irgendwo zwischen Mann und Frau, sagt Marino. „Frauen anmachen fällt mir da noch schwer.“ Fabian ergänzt: „Ein Traum wäre es irgendwann, fast zu vergessen, dass ich mal eine Cindy war. Dass ich dann nur noch Fabian bin.“
Nach der Pressevorführung des Films beantworten Marino und Fabian noch ein paar Fragen. Wie es sich denn anfühle, das jetzt so als Film zu sehen? Fabian antwortet: „Ich frage mich schon: Boah, wie lange habe ich das nur ausgehalten? Es ist auch schön zu sehen, wie sich bei mir der Stolz auf den eigenen Körper entwickelt. Meine Freundin fragt mich jetzt, wenn ich vor dem Spiegel stehe: Man, wie lange brauchst du denn noch? Dann sage ich: Och, ein bisschen noch.“
Der Hormon-Arzt Jens Jacobeit, der im Film Marino die erste Spritze gibt, ist ebenfalls zur Pressevorführung gekommen. Er erzählt, dass man früher geglaubt habe, dass eine/einer von 100.000 in Deutschland das Geschlecht angleichen wolle. Mittlerweile gehe man von einem/einer zu 10.000 aus. „Jeder glaubt euch die Geschichte“, sagte er.
Insgesamt habe sich die Situation von Trans-Männern und -frauen stark verbessert, so der Arzt. „Vor 25 Jahren hat eine von 100 Personen die Geschlechtsangleichung beim selben Arbeitgeber durchgemacht. Heute können das schon 60 bis 80 Prozent“, sagte er.
Über Marino und Fabian gibt es mittlerweile nicht nur einen Film. Kast und Strauch haben mit ihnen auch eine mehrteilige Reportageserie fürs Radio produziert. „Wir hoffen, die beiden Protagonisten auch weiter begleiten zu dürfen“, sagt Anne Strauch. Zugesagt hätten die beiden allerdings noch nicht.
„Testosterongesteuert – wenn aus Fußballerinnen Männer werden“, Sonntag, 23.35–00.20 Uhr im NDR
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