Multigenre-Thriller: Weil du cool bist und kein Wort sagst
Warum ist der Profikiller einer der langlebigsten Helden der Filmgeschichte? Wer das wissen will, erfährt es in Sabus „Mr. Long“.
Im gegenwärtigen Klima wäre es ein Bärendienst, „Mr. Long“ als einen Film über einen Flüchtling und seine mögliche Integration anzupreisen. Da ist es besser, ihn als das anzukündigen, was er in den ersten Szenen zu sein verspricht: ein Thriller über einen Profikiller, der so souverän ist in seinem Job, dass er noch nicht einmal etwas so Primitives wie eine Feuerwaffe braucht. Ihm reicht ein elegantes Messer. Der taiwanesische Schauspieler Chang Chen, der im Film des Japaners Sabu die Titelrolle spielt, hält es in der Hand, als wäre es die Verlängerung seines Körpers.
Nicht dass man so etwas nicht schon mal gesehen hätte: Da sitzt in einem dunklen Raum eine Runde launiger Verbrechergestalten, die in Erwartung eines „Kollegen“ Anekdoten über vergangene Taten austauschen. Dann, gerade als sie merken, dass der, auf den sie warten, sich verspätet, steht er endlich in der Tür, nur vollkommen regungslos. Direkt hinter ihm erscheint zum ersten Mal Profikiller Long mit seiner „Markenwaffe“, einem Messer, in der Hand.
Es braucht nur wenige Schritte und ein paar präzise Bewegungen, und Long hat die fünf Herumsitzer zur Strecke gebracht. Blut spritzt und fließt, aber nur kurz. Danach beschaut Long mit professioneller Seriosität seine Taten, ergreift die Beute, eine Tasche voller Geldnoten und Papiere, säubert sein Messer und läuft gemessenen, ruhigen Schrittes hinaus auf die nächtlich bevölkerten Straßen der Stadt Kaohsiung auf Taiwan. Die Aura des Erfolgs und Unbesiegbarkeit umweht ihn.
Wer eine Antwort sucht auf die Frage, warum der Profikiller einer der langlebigsten Helden der Filmgeschichte ist, im asiatischen Kino genauso wie im westlichen Raum, findet sie in diesen Szenen: Im Gegensatz zu Flüchtlingen, die es fast per Definition nur im Plural gibt, sind Profikiller eine Art Superindividuen. Super in ihrem Job, super in ihren Eigenheiten. Zur Profession gehört, dass jeder seine Methode, seine Handschrift hat.
Der Nudelteig und die menschliche Note
Die individuelle Handschrift des japanischen Regisseurs Sabu wiederum bringt die Auftaktsequenz auf den Punkt: Da gibt es das allmähliche Eintauchen per Kamera in das bunte Stadtbild, bis zum ersten Mal der Held fokussiert wird. Da gibt es die rhythmisch wie trocken geschnittene Action mit der Konzentration auf das Wesentliche. Und dann gibt es da noch die besondere menschliche Note: Am Ende der Sequenz sieht man Long, nachdem er die „Beute“ zu seinem Chef gebracht und dieser ihn mit dem nächsten Mord beauftragt hat, mit ebendiesem Chef zusammenstehen und Teigtaschen formen. Man hat ihn bis dahin noch kein Wort sagen hören, aber die ruhige Konzentration, mit der er den Nudelteig in seinen Händen faltet, verrät mehr über das Potenzial des Titelcharakters, als es eine wortreiche Exposition könnte.
Tatsächlich wird die Kochkunst später sein Leben verändern. Denn der nächste Job, der den taiwanesischen Auftragskiller ins fremde Tokio führt, geht schief. Statt in abgebrühter Coolness ein weiteres Mal über den Leichen seiner Feinde deren Blut von seinem Messer zu wischen und davonzuschreiten, findet sich Long an den öden Stadtrand verbracht und mit Papiertüte über dem Kopf zur Hinrichtung bereit. Vorbei ist es mit den Superkräften und der Unbesiegbarkeit. Nur ein makabrer Zufall verschafft ihm die Möglichkeit zu entkommen. Mit Stichwunde im Leib, am Ende seiner Kräfte landet er in einem verfallenden Viertel mit verlassenen Häusern. Lediglich ein paar Drogenabhängige huschen hier wie Geister durch die Gegend.
Regie: Sabu. Mit Chang Chen, Bai Runyin u. a. Japan/Taiwan/Hongkong/Deutschland 2017, 128 Min.
Vom kleinen Sohn einer süchtigen Prostituierten, auch sie eine Chinesin, die es ins japanische Exil verschlagen hat, wird Long gerettet: Er bringt ihm Wundmittel und Verbandszeug, frische Kleidung und wirft ihm etwas Gemüse vor die Füße. Nie hat ein Bund Lauch mehr bewirkt: Long holt ein weiteres Mal sein Messer heraus – und beginnt zu kochen. Während das Gemüse gart, wechselt auch der Film seinen Aggregatzustand: vom „hard-boiled“ Killerfilm zur Culture-Clash-Farce. Und wie bei einem mehrere Gänge umfassenden Menü empfindet man das nicht als Widerspruch, sondern als spannungsvolle, anregende Abwechslung.
„Wir helfen gern. Uns entkommt keiner“
Hier kommt nun die ungewöhnliche Integrationsgeschichte, die Sabu in seinem Film als Zwischen- und Hauptgericht anbietet. Von den Düften seiner Suppe angezogen, entdeckt eine Gruppe skurriler, ständig schwatzender Japaner den taiwanesischen „Flüchtling“. Sie nehmen ihn zu sich nach Hause, verkosten das von ihm Gekochte und planen augenblicklich seine Zukunft. „Wir helfen gern. Uns entkommt keiner!“ – fast klingt es wie eine Drohung.
Mit selbstironischem Humor zeigt Sabu, dass es manchmal förderlich sein kann, nicht die gleiche Sprache zu sprechen: Die Japaner können kein Chinesisch, Long versteht kein Japanisch, und so wird die fließende Kommunikation durch keine störenden Erklärungen unterbrochen. Die Hilfe der japanischen Freunde ist dabei so selbstlos wie unerbittlich. Sie rücken an, um Longs Haus zu reparieren, beliefern ihn mit Lebensmitteln und besorgen ihm einen Imbisswagen samt lukrativem Stellplatz. Über seinen Erfolg mit der fahrenden Suppenküche freuen sie sich, als wäre es ihr eigener.
Es ist das Ideal einer Integration, die gerade deshalb so gut funktioniert, weil beide Seiten nichts übereinander wissen. Als hätte das Inkompatible keine Chance, wo es sich nicht äußern kann. „Warum passiert mir das alles?“, fragt Long in einem der wenigen Sätze, die er im Film spricht, den kleinen Jungen, der alles in Gang brachte. Der antwortet schlicht: „Weil du so cool bist und kein Wort sagst.“
Überspanntheit als humanistische Kraft
Für den Gang der Handlung, die noch mehrfach das Genre wechselt, von der Romanze übers Melodrama zurück zum Actionfilm, sind diese japanischen „Normalbürger“ völlige Randfiguren; von keinem von ihnen erfährt man auch nur den Namen. Aber sie verleihen dem Film eine ironische Exzentrizität, die die vertrauten Profikillerstandards in neuem Licht erscheinen lassen. In ihrer selbstverständlichen Übergriffigkeit schleppen sie Long mit zu ihrem gemeinsamen Auftritt als Amateurtheatertruppe.
Während sie sich auf der Bühne in einem Kabuki-Stück abmühen, sitzt er im Publikum, mit dem Ausdruck völliger Fremdheit im Gesicht, aber auch der Bereitwilligkeit, es auszuhalten. Wie überhaupt Chang Chens im stoischen Schweigen ungeheuer expressive Miene den Film genauso mit Zwischentönen bereichert wie der nuancenreiche, jazzige Score von Junichi Matsumoto. „Nur den dritten Platz!“, ärgern sich die Freunde nach ihrem Auftritt. „NächstJahr, wenn Long mitmacht, gewinnen wir bestimmt!“ Sie erwägen „Spider-Man“ anzugehen. Überspanntheit ist als humanistische Kraft, um Gegensätze zu überwinden, nicht zu unterschätzen.
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