Massentierhaltung in Niedersachsen: Jetzt stinkt's sogar dem Landvolk
In Hoya will ein Landwirt seinen Betrieb auf 3.000 Rinder erweitern. Dagegen wehren sich Nachbarn, eine BI und der Bauernverband.
Bemerkenswert: Gegen das Projekt sprechen sich nicht allein die agrarindustrie-kritische Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und Derbovens zugezogene Nachbarn aus, die eine Bürger-Initiative gegründet haben. Auch der Kreisverband des Landvolks, so heißt der Bauernverband in Niedersachsen, wehrt sich gegen die Expansion: Das Vorhaben hätte starke Auswirkungen auf die Pachtpreise, so die Befürchtung. „Das ist der entscheidende Punkt“, bestätigt der Landvolk-Kreisvorsitzende Tobias Göckeritz. „Wir haben etwa 5.000 Mitglieder“, sagt er, und das, was in Warpe geplant ist, komme einer Monopolstruktur nahe, die für andere keinen Platz lässt. Er und seine Vorstandskollegen haben deshalb schon im Frühjahr eine Negativ-Stellungnahme an den Samtgemeinderat geschickt.
Die Pläne der Derbovens würden „das Überleben der bestehenden anderen landwirtschaftlichen Betriebe – gleich welcher Produktionsrichtung – in den umliegenden Dörfern deutlich erschweren“, heißt es darin. Und nachdem die Stellungnahme an die Presse durchgesteckt worden war, ist das Landvolk in die Offensive gegangen: „Postsozialistische Agrarstrukturen wie in Ostdeutschland lehnen wir ab“, hat Göckeritz in einem Kommentar auf Seite eins der Mitgliederzeitschrift geschrieben, neben einem großen Beitrag und der Dokumentation des Vorstands-Votums. Auf Seite vier hauen noch zwei Stellungnahmen in dieselbe Kerbe. Das ist fast schon eine kleine Kampagne. Annette Derboven ist jedenfalls aus dem Berufsverband ausgetreten. Eine Anfrage der taz zu den Gründen ließ sie unbeantwortet.
Die Anträge liegen bei der Samtgemeinde. Die habe noch vor dem Einstieg ins eigentliche Planungsrecht eine öffentliche Beteiligung organisiert, erklärt Bürgermeister Meier. Mit Projekten dieser Größenordnung hat man in Hoya keine Erfahrung: „Bis 18. September hat jeder die Möglichkeit, Stellung zu beziehen.“ Danach will man in die Beratung über die Änderung des Flächennutzungsplans einsteigen.
Ein Schritt zu viel, findet Eckehard Niemann von der AbL. Er fordert den Samtgemeinderat auf, das Vorhaben abzulehnen: „Das Recht dazu hat er.“ Mindestens müsste es seiner Ansicht nach ein Raumordnungsverfahren geben, „weil das Vorhaben übers Gemeindegebiet hinauswirkt“. Beim Raumordnungsverfahren würde geprüft, ob das Vorhaben mit den im Raumordnungsprogramm festgelegten Bestimmungen kompatibel ist.
Rund achtmal so viel wie heute
Daran könnte man Zweifel hegen: „Die Entwicklung der räumlichen Struktur des Landkreises soll so erfolgen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig gesichert und bestehende Umweltbeeinträchtigungen vermindert oder abgebaut werden“, legt das Regionale Raumordnungsprogramm Grundsätze fest. Maßgabe ist, dass „gewachsene Orts- und Landschaftsstrukturen, die das Landschaftsbild prägen, erhalten bleiben“.
Die vier Ortsteile der Gemeinde Warpe, Helzendorf, Nordholz, Windhorst und eben Warpe selbst, wirken wie noch ziemlich intakte Dörfer, alle im Mittelalter gegründet, mindestens. Keine 800 EinwohnerInnen hat Warpe, ein paar sehr alte Höfe, Backstein und Fachwerk, eine alte Wassermühle. Es gibt viele Weserzuflüsschen, Bäche und Quellen dort, die nur eine bedingte Menge Kuhfladen vertragen.
Jürgen Hahn, BI Warpe
Die ganze Samtgemeinde Hoya zeichnet sich durch eine vergleichsweise gegliederte Landschaft aus, mit kleineren und mittleren Bauernhöfen, Hecken, kaum Massentierhaltung. „Diese Dinge würden durch so eine Anlage stark beschädigt“, befürchtet Jürgen Hahn von der Bürgerinitiative Warpe, die zehn Mitglieder und etwa 70 SympathisantInnen zählt. „Die kleinen Höfe würden hier alle plattgemacht, die Landschaft komplett umgekrempelt.“ Über Conny Derboven sagt Hahn: „Das ist ein total sympathischer Nachbar, ein richtig netter Mensch.“ Aber das, was er vorhabe, „das ist richtig Großindustrie“. Und die will man bei aller Sympathie nicht vor der Nase haben.
Denn, klar: 3.000 Rinder brauchen große Mengen Wasser, jeden Tag. Sie brauchen Frischfutter, Mais und Gras, das nicht ewig weit transportiert werden kann. Und die in der Biogasanlage vergorene Gülle muss auch entsorgt werden. Dafür sind Flächen in der Nähe des Betriebs notwendig. Um ihre Pläne durchzuziehen, müsste Familie Derboven nach Rechnung sowohl von Landvolk als auch alternativem Bauernverband AbL Zugriff auf rund 2.500 Hektar bekommen.
Das wäre rund achtmal so viel wie heute. Und es würde dem 46-fachen des durchschnittlichen landwirtschaftlichen Betriebes im Landkreis Nienburg entsprechen. Das kann mit „Erhalten gewachsener Strukturen“ nicht gemeint sein. Trotzdem hat die Kreisverwaltung Nienburg der Samtgemeinde mitgeteilt, „dass im Ergebnis auf die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens verzichtet werden“ könne. Ein Rechtsanspruch auf die Einleitung besteht laut Niedersächsischem Raumordnungsgesetz ausdrücklich nicht.
Bei der Bürgerinitiative bleibt man trotzdem optimistisch: „Wir sind guter Dinge, das noch stoppen zu können“, sagt Hahn.
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