piwik no script img

Die Instant-Wahlhilfe

von BARBARA DRIBBUSCH,SABINE AM ORDE UNDULRIKE WINKELMANN

Sie haben kaum einen Artikel zur Wahl gelesen, weil der Wahlkampf Sie anödet? Doch jetzt tut Ihnen das Leid? Sie wollen lieber doch wählen gehen, wissen aber nicht wen? Hier hilft die Gebrauchsanweisung zum Instant-Voting, der Wahlentscheidung in zehn Minuten.

1. Es geht Ihnen gar nicht schlechter als vor sieben Jahren. Und irgendwie ist Schröder doch besser als Merkel. Er soll bleiben.

Lösung: Das wird schwierig. Die Chance, dass Gerhard Schröder wieder Kanzler wird, ist minimal. Selbst bei einer großen Koalition aus CDU und SPD wird Schröder nicht einmal mehr Vizekanzler. Um die Minimalchance zu nutzen, könnten Sie mit Zweitstimme die Grünen wählen. Denn damit stärken Sie rein hypothetisch die Chancen einer rot-grünen, einer Ampel- (rot-grün plus FDP) oder einer rot-rot-grünen Koalition. Nur in einem Regierungsbündnis mit der SPD als stärkster Partei bliebe Schröder Kanzler. Deshalb können Sie es auch einfach mit Erst- und Zweitstimme SPD versuchen.

2. Ist Joschka Fischer zu retten? Sie würden ihn allzu sehr vermissen.

Lösung: Außenminister wird Fischer nicht mehr, wenn Rot-Grün abgelöst wird. Keine staatstragenden Nahost-Sorgenfalten mehr in der Tagesschau. Aber vielleicht wird er grüner Oppositionschef im Bundestag, und als solcher wird er mit Sicherheit nicht in Schweigsamkeit versinken. Sie können ihn ja mit Ihrer Zweitstimme ermuntern.

3. Wenn Schröder sowieso weg ist, soll Merkel wenigstens ordentlich regieren können – ohne das Theater im Bundesrat.

Lösung: Dafür brauchte es grundsätzlich Union pur – aber eine absolute schwarze Mehrheit wird es vermutlich auch mit Ihrer Stimme nicht geben. Für ein schwarz-gelbes Regierungsbündnis wählen Sie Erststimme CDU/CSU, Zweitstimme FDP. Die werden sich verstehen, auch wenn die FDP sich derzeit ein bisschen aufbläst. Als – geringes, aber nicht zu verschweigendes – Risiko handeln Sie sich dann freilich ein, dass die FDP doch in eine Ampel marschiert.

4. Aber dieser Westerwelle – nein, der soll auf keinen Fall an der Regierung beteiligt werden.

Lösung: Dann bleibt wohl nur die große Koalition aus CDU und SPD. Sie können SPD wählen, auch wenn eine kleine Gefahr bleibt: die besagte Ampelkoalition. Mit Guido Westerwelle. Wenn Sie möglichst sichergehen wollen, wählen Sie am besten die Linkspartei.

5. Wenn Merkel schon Kanzlerin wird, soll Sie es dabei wenigstens schwer haben.

Lösung: Dafür böte eine große Koalition die größte Wahrscheinlichkeit. Denn selbst wenn zum Beispiel ein SPD-Rechter wie Peer Steinbrück Vizekanzler würde, so müsste er auf die SPD-Linken in seiner Fraktion Rücksicht nehmen. Stärken Sie also die SPD.

6. Wenn Merkel sowieso Kanzlerin wird, soll sie es wenigstens mit einer starken, linken Opposition zu tun bekommen, in der auch die SPD wieder eine sozialdemokratische Volkspartei wird.

Lösung: Schwierig. Sie können einfach nicht sichergehen, dass es keine große Koalition gibt. Schließlich wollen Sie auch nicht Schwarz-Gelb wählen, bloß damit die SPD sich in der Opposition regeneriert. Wenn Sie mögen, wählen Sie doch Grüne oder Linkspartei. Und geben Sie Ihrem SPD-Direktkandidaten Ihre Erststimme. Oder wählen Sie einfach mit beiden Stimmen SPD und hoffen das Beste.

7. Taktisches Wählen ist sowieso nicht Ihre Sache. Sie gehen nach Inhalten. In Deutschland sollen die Reichen wieder mehr für die soziale Sicherung aller zahlen.

Lösung: Heikle Sache. Sie können für die Linkspartei votieren, die will eine Vermögenssteuer wiedereinführen und den Spitzensteuersatz auf 50 Prozent erhöhen. Allerdings landet die Linkspartei mit großer Wahrscheinlichkeit in der Opposition, genauso wie die Grünen, die plötzlich auch wieder die Vermögenssteuer erheben wollen. Vielleicht versuchen Sie es dann doch lieber mit der SPD, die will eine „Reichensteuer“ für Leute mit mehr als 250.000 Euro Jahreseinkommen einführen. Es wird spannend sein, zu verfolgen, wie dieses Vorhaben wieder beerdigt wird, wenn die SPD in einer großen Koalition steckt. Gleiches gilt für die Bürgerversicherung – ein Plan, der Rot-Rot-Grün eint, aber von der SPD in einer großen Koalition umgehend aufgegeben werden dürfte. Aber schon der Krawall im Bundestag um all dies wird Ihnen gut tun.

8. Reicht Ihnen nicht, zweiter Versuch: Sie wollen, dass in Deutschland die Arbeitslosen mehr Geld zum Leben haben.

Lösung: Wenn Sie in den neuen Bundesländern wohnen, kein Problem. Dann wählen Sie die SPD oder die Grünen, die sind gleichermaßen für eine Anhebung des Arbeitslosengeldes II im Osten von 331 auf 345 Euro, also Westniveau. Die Linkspartei verspricht den Arbeitslosen bundesweit mehr Geld. Zu den Realisierungschancen siehe oben. Fallen Sie aber nicht auf die Versprechen der CDU rein! Die CDU will zwar die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I für langjährig Versicherte erhöhen, dafür aber die Bezugsdauer bei den Erwerbstätigen, die nach kürzerer Berufstätigkeit ihren Job verlieren, empfindlich kappen.

9. Realisierung hin oder her, Sie wollen schlichtweg den Umverteilungsgedanken stärken. Zumindest für 2009.

Lösung: Das ist einfach. Wählen Sie die Linkspartei – ruhig mit beiden Stimmen. Das kränkt jetzt zwar die linke SPD, aber die wird dann eben ein paar Jahre mit einer Linkspartei konkurrieren müssen. Das wiederum dürfte auch die rechte SPD in Bewegung bringen – ob sie nun mitregiert oder nicht.

10. Realisierung hin oder her, Sie wollen schlichtweg den Umweltgedanken stärken. Für 2009.

Lösung: Auch einfach. Wählen Sie grün – ruhig mit beiden Stimmen. Trotz einiger redlicher Versuche mancher SPD-Politiker ist hier eben der Umweltschutz zu Hause. Doch richten sie sich vorerst auf ein ökologisches Rollback ein – es sei denn, auch die Union findet, man könne langsam mit der Pflege der schwarz-grünen Option beginnen. Übrigens sind bald Wahlen in Baden-Württemberg.

11. Wenn Umwelt- wie Umverteilungsaussichten schon so düster sind, wollen Sie, dass in Deutschland aber mehr Jobs geschaffen werden – egal wie.

Lösung: Mehr Arbeit zu schaffen, das versprechen viele Parteien – und diese Versprechen sind leider unredlich. Denn die Politik kann immer nur versuchen, die Privatwirtschaft zu beeinflussen – was dabei herauskommt, ist eine andere Sache. Selbst wenn die CDU an die Macht kommt und sich die Arbeitgeber darüber freuen, heißt dies noch nicht, dass sie dann auch dauerhaft mehr Jobs schaffen. Die wichtigste Frage in diesem Wahlkampf können Sie also durch Ihr Kreuzchen in der Kabine leider auch nicht klar beantworten.

12. Wenn Inhalte so schwierig sind, möchten Sie wenigstens Ihr Identitätsproblem lösen. Eigentlich fühlen Sie sich den Grünen nahe, sind von denen in Sachen Frieden, Einwanderung und Soziales aber maßlos enttäuscht. Nie wieder Grün, das haben Sie sich x-fach geschworen.

Lösung: Wenn Sie nicht gleich – ganz auf Protest gebürstet – die Union oder die FDP wählen wollen, bleiben zwei Optionen: Die SPD, aber von der sind Sie vermutlich auch enttäuscht. Wählen Sie also die Linkspartei. Das bringt die Grünen in die Opposition, wo sie sich wieder ein bisschen sammeln können. Und stärkt nebenbei die linken Positionen im Bundestag.

13. Jetzt reicht’s aber. Dann wollen Sie eben keiner Partei zu Macht und Ansehen verhelfen. Nur um dazu zu gehören, wollen Sie am Sonntag in einer Wahlkabine irgendwo Ihr Kreuzchen machen.

Lösung: Da haben Sie viel Auswahl bei den Kleinstparteien. Wie wäre es zum Beispiel mit der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands? Der lustige Streit um die Wahlspots im Fernsehen wäre unter Umständen eine Belohnung wert. Auch Die Partei verdient Beachtung. Studieren Sie einfach in Ruhe Ihren Wahlzettel, aber vermeiden Sie Rechtslastiges.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen