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Eine Mutter kämpft um die Aufklärung des Todes ihrer TochterKein Arzt? Kein Problem!

Nach dem Suizid einer Patientin entlastet auch das Oberlandesgericht das Klinikum Bremen-Ost. Eine Anwältin spricht von „Scheinermittlungen“.

Hacken einander kein Auge aus: Krähen. Foto: Soeren Stache/dpa

BREMEN taz | Claudia Beck wird weiterkämpfen. Auch wenn sie das Vertrauen in den Rechtsstaat schon lange verloren hat. Sie wird bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen, „für die Aufklärung des Verbrechens an meiner Tochter“, wie sie sagt, und gegen „arztlose Scheinbehandlungen“ in der Psychiatrie des Klinikum Bremen-Ost (KBO).

Ganz „regulär“ wurde Melissa Beck dort entlassen, schreibt die Klinik im August 2014 der Krankenkasse – ihr gilt die Patientin sogar als „arbeitsfähig“. Wenige Stunden später erhängt sich die 21-jährige. Das war fahrlässige Tötung, sagt Claudia Beck. Das war „schicksalhaft“, entschied soeben das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) – und sorgte dafür, dass entsprechende Ermittlungen gegen zwei Ärzte und eine Psychologin des KBO nun erneut eingestellt werden. Es könne „kein relevanter Behandlungsfehler“ festgestellt werden, schreiben die Richter.

Dabei deutet vieles genau darauf hin. Die Ermittlungen gegen das KBO waren schon einmal eingestellt worden. Das Klageerzwingungsverfahren vor dem OLG hatte Claudia Beck zwar gewonnen, doch nun haben die Richter dort der Staatsanwaltschaft wieder Recht gegeben. Claudia Beck spricht von einer „Willkürentscheidung“ des OLG, und von einer „Justiz-Farce“.

Im Juli 2014 wird Melissa Beck als „Notfall“ ins KBO eingewiesen: „Schwerste depressive Symptomatik“ notiert ihre Fachärztin, und dass der Vater manisch-depressiv ist, also „bipolar“, wie Psychologen das nennen. Sie habe „Stimmungsschwankungen“, sagt die Patientin, als sie ins Krankenhaus kommt – deutliches Anzeichen einer bipolaren Störung.

Auf Station 5c haben sie zu diesem Zeitpunkt aber gar keine Ärztin – die ist im Urlaub, ihre Vertreterin eine Psychologin ohne medizinische Ausbildung. Zwar gibt es einen Oberarzt, aber den sieht die Patientin nur einmal in der Woche, für ein paar Minuten. Er diagnostiziert eine „unipolare Depression“, ein Befund, der „auch nachträglich nicht infrage zu stellen“ sei, wie sein Verteidiger heute erklärt. Anzeichen einer Manie habe es nicht gegeben.

Kaum Zeit aus Personalmangel

Ich kann nicht damit leben zu wissen, was für ein Unrecht da passiert

Claudia Beck

Angesichts der Personalnot hätte die Station damals geschlossen werden müssen, sagt Claudia Beck, die selbst Psychologin ist – „aber man wollte lieber einen abrechenbaren Behandlungsfall“. Ihre Tochter hätte an eine andere Klinik verwiesen werden müssen, so Beck, und dass Station 5c damals nur das fachliche Niveau einer „Kurzzeitpflege“ gehabt habe.

In den ersten drei Wochen ihres rund einmonatigen Notfall-Aufenthaltes wird Melissa Beck vor allem mit Sport, Entspannung und Gesprächen therapiert, sie selbst berichtet von „walken, malen und vorlesen“. In der Psychiatrie des KBO überlegt man derweil, die Patientin in eine psychosomatische Abteilung zu schicken – dort habe man „mehr Zeit“ für die „nötige Diagnosestellung“, schreibt die behandelnde Psychologin des KBO später.

Noch kurz vor der Entlassung werden der Patientin „suizidale Ideen“ bescheinigt, für „Eigen- oder Fremdgefährdung“ gebe es aber „keine Anhaltspunkte“, notiert die angehende Psychotherapeutin im Arztbrief. „Ihr wurde gespiegelt, dass es ihr schlecht gehe“, notiert der Oberarzt bei seinem letzten Besuch in die Krankenakte.

Ein zweifelhafter Medikamenten-Cocktail

Zu diesem Zeitpunkt nimmt Melissa Beck seit ein paar Tagen, zunächst gegen ihren Willen, das antriebssteigernde Medikament Zoloft, das Sertralin enthält. Damit können laut Hersteller Pfizer schwere Depressionen behandelt werden. Allerdings nur bei PatientInnen, die auch engmaschig betreut werden – und die nicht auch manisch veranlagt sind. Denn Sertralin verstärkt die Stimmungsschwankungen und erhöht Experten zufolge das Suizid-Risiko, bei jungen Menschen häufiger als bei älteren. In den USA wird deshalb davor gewarnt, Sertralin unter 25-Jährigen zu geben. Also jemandem wie Melissa Beck.

Zwar bekommt sie zugleich Lorazepam verordnet, ein Tranquilizer, der beruhigen und Ängste lösen soll, aber Beck nimmt die Medikamente ohnehin nicht wie verschrieben; im Krankenhaus wissen sie das. Das Lorazepam konnte deshalb gar nicht wirken, sagt Claudia Beck – weil zu wenig Wirkstoff im Blut war. Geholfen hat es nicht.

Der Vorwurf, das Suizidrisiko der Patientin sei unterschätzt worden, „entbehrt jeder Grundlage“, schreibt dagegen der Anwalt des Oberarztes. Entlastet wird er durch ein Gutachten, das auch das OLG zum Maßstab seiner Entscheidung gemacht hat. Es wurde im Namen des Wilhelmshavener Psychiatrie-Professors Here Folkerts verfasst und kommt zu dem Schluss, dass Melissa Beck eine „mittelgradig ausgeprägte Depression“ hatte, keinesfalls eine bipolare Störung. Sertralin hätte in diesem Fall trotzdem nicht verabreicht werden dürfen: Es ist nur für schwere Depressionen zugelassen.

Das Medikament war gleichwohl „indiziert“, schreiben die Richter in ihrem Beschluss – und attestieren Melissa Beck einen „unauffälligen Krankenhausaufenthalt“, bei dem es „keine Hinweise“ für eine erhöhte Suizidgefährdung gegeben habe. Auch die fehlenden Ärzte sehen die Richter nicht als Pro­blem an, zumindest aber sei die fehlende medizinische Betreuung nicht kausal für den Suizid der Patientin, schreibt das OLG – ihr Tod war ja „schicksalhaft“.

Sie wurde „ausgerechnet im kritischsten Zeitfenster der Medikation aus der Klinik entlassen“, habe die einweisende Fachärztin hernach der Polizei gesagt, erzählt Claudia Beck. Das KBO will sich nicht äußern, es verweist auf die ärztliche Schweigepflicht und das laufende Verfahren.

Immer neue Unterlagen tauchen auf

Die Anwältin Sabine Hummerich, die Beck vertritt, wirft der Justiz „massive Scheinermittlungen“ vor. So werde eine Bestrafung der Ärzte verhindert. Mit der Beschlagnahmung der Krankenakte etwa hat die Staatsanwaltschaft „es nicht so genau genommen“, sagt Beck – noch über ein Jahr nach dem Tod von Melissa Beck tauchen neue Unterlagen aus dem Krankenhaus auf, aus den Händen der Verteidigung der Ärzte.

Hummerich reicht jetzt eine sogenannte „Gehörsrüge“ ein – die aber landet erneut beim OLG. Es ist das letzte Rechtsmittel vor einer Verfassungsbeschwerde. Für die wiederum rechnet sich Hummerich „eher gute Chancen“ aus. In Bremen schütze die Justiz die städtischen Institutionen, sagt Beck.

Aus Sicht der Anwältin ist der Fall von Melissa Beck durchaus kein Einzelfall. Hummerich vertritt auch den Sohn von Ayten Akin (taz berichtete). Seine Mutter kam 2014 wegen einer Routineuntersuchung ins Krankenhaus Bremen-Ost und fiel mehrere Wochen später nach einer Lungenspiegelung – die nicht hätte gemacht werden dürfen – ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Noah Akin wirft dem KBO vor, es habe seiner Mutter lebensrettende Maßnahmen verweigert, spricht von fahrlässiger Tötung.

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die Ärzte indes eingestellt – nachdem sie auch hier schlampig gearbeitet hat, wie Sabine Hummerich erklärt: Noch nicht einmal Noah Akin sei gehört worden. Die Staatsanwaltschaft fand indes auch in diesem Fall, dass es „nichts zu beanstanden“ gab. Nun hofft Noah Akin auf das Bundesverfassungsgericht.

So wie Claudia Beck. „Ich kann nicht damit leben zu wissen, was für ein Unrecht da passiert.“ Was sich ändern müsste? „Es müsste einfach geltendes Recht eingehalten werden.“

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12 Kommentare

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  • Vorsicht vor Psychopharmaka. Ich lebe in einer Einrichtung für psychisch Kranke und die meisten hier sind auf hohe Dosen verschiedenster Medikamente. Die Studien zu diesen Medikamenten sind bezahlt von der Pharmaindustrie und bei vielen Präpataten sind Selbstmordgedanken ein Teil der Nebenwirkungen. Die Diskrepanz zwischen Erfahrungen der Patienten und der der Ärzte ist auch nicht außer acht zu lassen. Diagnosen sollten über einen längeren Zeitraum gestellt werden zusammen mit den Patienten. Viele Symptomatiken überschneiden sich. Ja, es gibt auch ein Problem wie man jemanden ohne Diagnose behandeln darf. Trotzdem es wird sich zu sehr auf Medikamente fixiert und was für Ziele oder Wünsche der Mensch hat, kommt kaum zum Vorschein. Symptome behandeln. Viele Gespräche. Nicht diese Einsamkeit unter "Gleichgesinnten". Ich kenne viele die es schwer hatten in psychiatrischen Abteilungen und das steckt alles noch in den Kinderschuhen. Jeder weiß, dass das Gehirn und die Psyche noch lange nicht ganz erforscht sind. Nur weil in einer Akte etwas steht, heißt das nicht das die Menschenkenntnis von Freunden und Verwandten weniger wert ist als die eines Arztes. Wenn das Argument komm:"Der Arzt hat studiert" , dann verlangt danach zu wissen, was denn diese Ärzte studieren und wenn ihr selbst für euch studiert, werdet ihr merken, so viel mehr wissen können sie auch nicht als wir alle.



    Oder nicht?

  • Wie die TAZ schon mehrmals berichtet hat, stimmt nicht alles in Sachen Psychiatrie.

    http://www.taz.de/!5071072/

    http://www.taz.de/!5224757/

     

    Ob Reformen helfen können, hängt davon ab, was man erreichen will und was genau verändert werden soll.

    http://www.taz.de/!5083092/

     

    Leider ist es auch so, dass im Falle eines Rechtstreits, meistens dem Arzt geglaubt wird und nicht dem geistig kranken Patienten.

  • Alle Menschen in Deutschland können und müssen verlangen, dass die ärztliche Behandlung in unserem Land fehlerfrei oder zumindest nahezu fehlerfrei ist.

     

    Schließlich Piloten und Ärzte verdienen in Deutschland am besten. https://web.de/magazine/geld-karriere/gehaelter-deutschland-piloten-aerzte-verdienen-besten-32293894

     

    Und alle Menschen in Deutschland zahlen Krankenversicherungsbeiträge.

     

    Und Krankenhäuser bekommen staatliche Zuschüsse und Gelder von Krankenkassen.

     

    Das regelt das Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser

    und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz - KHG)

     

    Zweck dieses Gesetzes ist die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, um eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen, qualitativ hochwertig und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Duale_Finanzierung

  • Die betroffenen Familienangehörigen der beiden Familien müssen wissen, dass sie durch Beschwerden, Gerichte und Veröffentlichungen nicht nur um die eigene Gerechtigkeit kämpfen, sie sorgen auch dafür, dass in Zukunft weniger oder kaum Fehler oder strafbare Handlungen in der Medizin passieren werden!

     

    Nach Artikel 17 des Grundgesetzes hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden (Petitionen) an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung, insbesondere also auch an den Deutschen Bundestag, zu wenden.

    https://www.bundestag.de/blob/272954/4fe8fe4780fd221b9d25a7cdf54f6fd4/kapitel_14_01_petitionsrecht_und_petitionsverfahren-pdf-data.pdf

    https://www.bundestag.de/ausschuesse18/a02/grundsaetze/petitionsrecht_im_grundgesetz/260548

     

    So kann eine Beschwerde und Bitte um Aufklärung an die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz in Bremen, Frau Prof. Dr. Eva Quante-Brandt durchaus hilfreich sein.

    http://www.gesundheit.bremen.de/das_ressort/senatorin-16853

     

    Jede Person mit Wohnort in der Europäischen Union kann - gleichgültig, ob sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats hat oder nicht - allein oder zusammen mit anderen Personen in Angelegenheiten, die in die Tätigkeitsbereiche der Union fallen und die genannten Personen unmittelbar betreffen, eine Petition an das Europäische Parlament richten.

    https://www.bundestag.de/ausschuesse18/a02/grundsaetze/petitionsrecht_eu/260550

     

    Es gibt Bewertungsportale der Krankenhäuser und/oder Ärzte, wo man die bewerten kann und eigene Erfahrungen öffentlich mitteilen kann. Viele Menschen meiden Krankenhäuser und Ärzte, die z.B. grobe Fehler begangen haben...

    https://www.klinikbewertungen.de/klinik-forum/erfahrung-mit-zentralkrankenhaus-bremen-ost

    https://www.weisse-liste.de/de/krankenhaus/bremen/28325/klinikum-bremen-ost-288/profil-plz/

     

    Man kann auch eigenen Blog oder Webseite, wo man das Geschehen öffentlich allen Menschen zeigen kann.

  • Zitat: "...tauchen neue Unterlagen aus dem Krankenhaus auf, aus den Händen der Verteidigung der Ärzte."

     

    Es ist nicht auszuschließen, dass einige Unterlagen zuerst vorenthalten wurden und es ist auch nicht auszuschließen, dass einige Dokumente erst nach dem Suizid der Patientin geschrieben wurden.

  • „Claudia Beck wird weiterkämpfen. Auch wenn sie das Vertrauen in den Rechtsstaat schon lange verloren hat. Sie wird bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen, „für die Aufklärung des Verbrechens an meiner Tochter“, wie sie sagt, und gegen „arztlose Scheinbehandlungen“ in der Psychiatrie des Klinikum Bremen-Ost (KBO)... Nun hofft Noah Akin auf das Bundesverfassungsgericht.“

     

    Nach der Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges (nach der Verfassungsbeschwerde) kann auch bei EMRK, UNO und dem EuGH

    geklagt werden.

     

    EMRK. Das vollständig ausgefüllte Beschwerdeformular per Post (!) mit den erforderlichen Unterlagen muss gesendet werden an:

     

    The Registrar

    European Court of Human Rights

    Council of Europe

    F-67075 Strasbourg cedex

    http://www.echr.coe.int/Documents/Your_Application_DEU.pdf

     

    Unvollständige Beschwerden werden nicht vom Gerichtshof geprüft, daher liegt es bei Ihnen, alle Felder des Beschwerdeformulars sorgfältig auszufüllen.

    http://www.echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=applicants/ger&c=

    https://www.menschenrechtskonvention.eu/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-2-9459/

     

    UNO. Eine Beschwerde per Post (!) an das Sekretariat des UNO-Hochkommissariats für

    Menschenrechte in Genf geschickt werden:

     

    Office of the High Commissioner for Human Rights,

    Petitions Team, United Nations Office,

    1211 Genf, Schweiz

    http://www.unesco.de/fileadmin/medien/Dokumente/Wissenschaft/mr_einklagen.pdf

     

    EuGH. Wenn Sie der Auffassung sind, dass die Behörden eines Landes EU-Recht verletzt haben, müssen Sie das offizielle Beschwerdeverfahren einhalten.

    https://europa.eu/european-union/about-eu/institutions-bodies/court-justice_de

    http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf

  • Zum Bild: Der Ablauf der Behandlung sollte eigentlich ziemlich gut dokumentiert sein im Klinikum-Ost, welches dort schon sehr viel Zeiteinnimmt.

    Inssofern wurde alles schon geschrieben bevor Krähengedöns überhaupt einsetzen konnte. Wenn nicht, dann hat das Klinikum-Ost an seinem Doku-System noch weiter zu arbeiten. Aber das wurde von der taz nich bemängelt.

  • Selbstmord ist nie Schicksal.

     

    Schicksale sind laut Definition entweder „von göttlichen Mächten vorherbestimmt“ oder „von Zufällen bewirkt“. Sie sind also „der Entscheidungsfreiheit des Menschen entzogen“. Selbstmorde werden auch als Freitode bezeichnet, weil genau das NICHT zutrifft auf sie.

     

    Nicht ein Gott oder der Zufall hat den Strick genommen und damit ein Leben beendet. Es war ein Mensch, der sich entschieden hat. Wer Suizid begeht, der beendet sein Leben vorsätzlich, wie das Lexikon den Richtern hätte erklären können, wenn sie es gefragt hätten. Nein, Schicksal ist so etwas nicht. Man kann schon etwas tun dagegen.

     

    Ihren Vorsatz, sich umzubringen, können Menschen aktiv oder passiv umsetzen. Wer sich erhängt, bringt sich aktiv um. Wer lebensnotwendige Medikamente nicht einnimmt, der tötet sich passiv. In sofern kann ich nicht verstehen, dass das OLG „keine Hinweise“ für eine erhöhte Suizidgefährdung erkennen wollte und Melissa Beck einen „unauffälligen Krankenhausaufenthalt“ attestiert hat, wenn in der Klinik bekannt war, dass die Frau ihre Medikamente verweigert.

     

    Das Klinikspersonal – von den Schwestern und Pflegern über die Psychologin bis hinauf zum Chefarzt – war entweder komplett inkompetent, oder es hat unter einem sogenannten Befehlsnotstand gelitten. In jedem Fall aber war es außerstande, die übertragenen Aufgaben so zu bewältigen, dass keine Gefahr bestanden hat für die PatientInnen. In einigen Fällen ist das gut gegangen. In einem nicht.

     

    Nein, ich plädiere nicht auf Auge um Auge. Ich plädiere für Selbstkritik und Besserung. Leider muss ich fürchten, dass die Klinik nicht zu ihren Fehlern stehen wird und deswegen auch nichts lernen kann aus ihnen. Sehr traurig, das. Und kein gutes Omen für die Zukunft.

  • Ein tragischer Fall. Niemand kann behaupten, dass die Behandlung erfolgreich war oder das Bemühen der Ärzte und Therapeuten erfolgreich. Das die Mutter in Ihrer Trauer Schuldige sucht, ist auch nachvollziehbar. Aber Schuld ist hier eben nicht so einfach zu verteilen ... und die Verantwortung der jungen Frau für ihre eigene Gesundheit kann auch nicht einfach verneint werden. Den Behandlern nun eine fahrlässige Tötung anhängen zu wollen, sagt mehr über die Mutter aus, als dieser lieb sein kann.

    • @TazTiz:

      Eine ärztlich verwaiste Station ist eine nicht betriebsfähige Station! Sie muss stillgelegt sein und darf nicht ersatz-weise Patienten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aufnehmen und ihnen fachärztlich-medizinische Behandlung vorgaukeln, wo keine stattfinden kann. Das ist kein schwierig zu beurteilender Sachverhalt, sondern schlicht und einfach kriminelles Handeln zu Lasten Schutzbefohlener, das nach den Buchstaben des Gesetzes zu ahnden sind - unabhängig von der Person. Hier auf eine Selbstverantwortung der Patientin zu verweisen, die als Notfall in lebensbedrohlicher Situation um die ihrer Krankenkasse nach ihrem Tod in Rechnung gestellte ärztliche Behandlung betrogen wurde, ist in etwa so angemessen, wie es das im Falle der nichts ahnenden Krebspatienten wäre, die von einem Apotheker aus Bottrop gepanschte Chemotherapien bzw. Kochsalzlösungen angehängt bekamen.

    • @TazTiz:

      Was sagt es denn Ihrer Ansicht nach aus über die Mutter, werter TAZTI, wenn sie die Verantwortlichen verklagt? Und wieso sollte es ihr nicht „lieb“ sein können, wenn jemand erfährt, wie sie sich fühlt?

       

      Ich denke ja, diese Frau ist verzweifelt – und sehr, sehr wütend. Ich wäre das auch, wenn mein Kind gestorben wäre. Sie etwa nicht?

       

      Ob dieser offensichtliche Behandlungsfehler nun eine unterlassene Hilfeleistung war oder eine fahrlässige Tötung, will ich gar nicht beurteilen. Ich bin ja kein Richter. Fakt ist: Als Mutter kümmert man sich in der Regel gerne selber um das Wohl der Kinder, die man geboren und großgezogen hat. Und zwar unabhängig davon, wie alt die Kinder sind. Wenn man die Verantwortung, die man empfindet, an "Profis" abgibt, dann höchstens, weil man hofft, dass die es besser machen können als man selber. Stellt sich dann herausstellt, dass auch die Profis Fehler machen, gibt man sich irgendwie auch selbst die Schuld. Man sagt sich: "Hättest Du mal diesen Leuten nicht vertraut!"

       

      Ich kann Claudia Beck sehr gut verstehen. Nicht verstehen kann ich, wenn Menschen sich für eine Leistung bezahlen lassen, die sich nicht erbringen – und anschließend auch noch freigesprochen werden von einem Gericht. Betrug sollte geahndet werden, und zwar unabhängig davon, ob der Betrüger ein hochbezahlter Arzt im weißen Kittel ist oder ein mittelloser Taschendieb. Alles andere würde dem Sinn des Strafgesetzes (Wiederherstellung des Rechtsfriedens) widersprechen.

       

      Sie, werter TAZTI, scheinen zu glauben, dass im Fall psychischer Erkrankungen keine Möglichkeit besteht, einen eventuellen Behandlungserfolg zu beurteilen. (Irre sind offenbar unberechenbar Ihrer Ansicht nach.) Sie irren sich. Es gibt gewisse Grundsätze, auch in der Psychiatrie. Die Klinik und das Gericht haben Glück, dass die nicht allgemein bekannt sind.