Fotografie Die Zelle in Stuttgart-Stammheim, das Polaroid von Schleyer, das sind ikonische Bilder der RAF. Der Fotograf Arwed Messmer suchte nach Motiven jenseits des Altbekannten. Wir zeigen einige von ihnen: Hier sehen Sie Ensslins Plattenspieler
Von Katrin Bettina Müller
Der Fotograf: Arwed Messmer, Jahrgang 1964, lebt in Berlin. Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich vor allem mit fotografischem Archivmaterial, das seine ursprüngliche dokumentarische Funktion verloren hat. Messmer macht die Bilder selbst zum Thema: Wie blicken wir aus historischem Abstand auf sie? Was enthüllen sie über die Aufnahmesituation? Entstanden sind so umfangreiche Ausstellungen und Publikationen zum Ostberlin der 1950er Jahre, zur frühen Berliner Mauer und zu den Archiven der Staatssicherheit. Zuletzt veröffentlichte Messmer den Band „Zelle/Cell“, der die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975 mit bis dahin unbeachtetem Bildmaterial der Polizei nachzeichnet.
Das Buch: Arwed Messmer, „RAF. No Evidence/ Kein Beweis“. Hatje Cantz Verlag 2017, 128 Seiten, 140 Abbildungen mit 48 Seiten Beiheft. Deutsch, Englisch, 45 Euro
Die Ausstellung: Sie ist bis zum 3. September im Museum Folkwang in Essen zu sehen, danach auf der „Biennale für aktuelle Fotografie“ in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg vom 9. 9. bis 5. 11. 2017
Es ist da dieser Moment, als plötzlich die Bilder zu ihm sprechen: „Sagt, was dieser Tatort zeigt! Ist das nicht eine Schleifspur an der Buchsbaumhecke links (…). Und der Haufen rechts aus Eichenblättern, sieht der nicht so plattgedrückt und höchst verdächtig aus. Vielleicht ist da die Mauser oder der Dolch verscharrt. (…) Nichts berühren! Das ist die erste Bürgerpflicht, und dann rasch zum nächsten Telephon und Meldung geben.“ Von diesem Blick auf Tatortfotos, von diesem Appell zur Wachsamkeit, den der Besuch eines Polizeimuseums bei ihm ausgelöst hat, erzählt der Autor Andreas Seltzer in dem Essay „Messer machen Mörder. Kripomuseum und Große Polizeiausstellung“, 1992 erstmals veröffentlicht. „Bilderkunde“ heißt sein Buch, in dem der Text jetzt wieder erschienen ist. Am Ende des Museumsrundgangs kommt Seltzer zu der Schlussfolgerung: „Die Stadt ist voll von unentdeckten Tätern.“ Seltzer ist ein passionierter Bilderkunder, der seit gut dreißig Jahren nachspürt, wie Bilder zu uns sprechen, was sie von uns wollen, wie sie uns erziehen.
Mit Bildern aus Polizeiarchiven und Ermittlungsakten, erkennungsdienstlichen Aufnahmen sowie Ermittlungs- und Tatortfotos beschäftigt sich der Fotograf Arwed Messmer. Auch ihn interessiert, wie Gebrauchsfotografien ihre Botschaft verändern, was sie über Dokumentation und Information hinaus erzählen. Dabei hat er sich seit 2010 besonders mit der Geschichte des deutschen Linksterrorismus beschäftigt, mit der „Bewegung 2. Juni“ und der RAF. Daraus entstand eine Ausstellung im Essener Folkwang-Museum mit dem Namen „RAF – No Evidence. Kein Beweis“ und ein gleichnamiges Buch, das Teile des ausgestellten Materials zeigt, teils auch nur darauf verweisen kann. Für die Ausstellung hat Messmer oft mehrere hundert Aufnahmen umfassende Konvolute aus staatlichen Archiven in Folianten reproduziert. Im Buch hat er stellvertretend einige davon ausgewählt. Das betrifft etwa Einsätze der Polizei bei Studentenprotesten in Berlin in den 1960er Jahren. Messmer reproduziert sie als Rollfilm, Bild an Bild mit der seitlichen Perforation. So erzählt er auch vom Prozess der Beobachtung und den Materialien.
„Gott bombt mit“
Das Buch beginnt mit einer skurrilen Bilderstrecke: Wie Ausschneidefiguren, die ihren Kontext verloren haben, stehen junge Leute, teils geschminkt und verkleidet, vor weißem Hintergrund. Man studiert die Moden, die den heutigen gar nicht so fern sind, die Farben, die hart vor dem Weiß stehen, liest dann die sehr kleingedruckten Namen. Andreas Baader, Dieter Kunzelmann, Ulrich Enzensberger sind dabei. Der Erkennungsdienst der Polizei hat die Aufnahmen gemacht, nach einem Happening der „Spaßguerilla“ am 9. August 1967 zur Freilassung von Fritz Teufel.
Messmer bewegt sich über ein Terrain, das schon viele Journalisten, Historiker, Theoretiker und Künstler beschäftigt hat, ausdrücklich nicht mit investigativem Interesse. Ihn treibt an, die Differenzen aufzuspüren zwischen den oft publizierten Bildern, die das kollektive Gedächtnis dieser Zeit prägen, und dem, was aus den nicht veröffentlichten Bildern hervorgeht. Nachzulesen ist das in den Bildlegenden, die in einem Beiheft publiziert sind. Da sind zum Beispiel die massive Präsenz der Staatsgewalt und das große Aufgebot der Medien, von Fotografen und Reportern, die auf den Fotos aus Polizeihand zu sehen sind.
Die gewaltsame Aufladung des gesellschaftlichen Klimas, aber auch das Lauern auf die Erregung wird so erstaunlich sichtbar, schaut man auf die Bilder von Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, – „Gott bombt mit“ liest man auf einem Transparent – oder gegen den Schahbesuch und von der Ermordung von Benno Ohnesorg. Die oft gezeigten Bilder hingegen erscheinen im Vergleich dazu als eine Auswahl, die fast einer Inszenierung gleichkommt, insofern sie den Auftritt der Medien selbst ausblenden und die staatlichen Gewaltakte schmälern.
Ein großer Teil der Bilder betrifft die RAF, ihre Anschläge Anfang der 1970er Jahre, die Verhaftung der Mitglieder, ihre Zellen im Gefängnis in Stammheim, ihren Tod dort und die Obduktion ihrer Leichen. Es gibt Seiten, die nur Zellenfenster zeigen, klein und eng nebeneinandergesetzt, so engmaschig wie ihre Gitter. Sie stammen aus einer Kamera, die während einer Zellendurchsuchung bei Andreas Baader entdeckt wurde. Andere Seiten sind voller kleiner Texte, Bildbeschreibungen von Detailaufnahmen, die während der Obduktion entstanden.
Man hört es knistern
Die Obduktion ist heute in vielen Fernsehkrimis eine Standardszene, Herumschnippeln an der Leiche, coole Sprüche und einer darf kotzen. Messmers Entscheidung, diese Bilder gerade nicht zu zeigen, aber mit einem sprachlichen Stellvertreter auf ihre Häufigkeit in den Akten zu verweisen, ist eine Geste des Respekts vor den Toten und der Trauer.
Obwohl Arwed Messmer selbst immer wieder betont, nichts Neues herausfinden zu wollen, wirkt sein Buch doch vor allem als ein starkes Dokument über die RAF und ihre Verfolgung. Dabei macht der Fotograf klar, dass er aus dem vorhandenen Material, Tausenden von Abzügen und Negativen, eine subjektive Auswahl getroffen hat. Er ist dabei von verschiedenen Motiven geleitet, leicht zu erkennenden und verborgenen, emotionalen, ästhetischen, gegenüber bisherigen Veröffentlichungen kritischen und auch nach Wissen strebenden.
Da ist zum Beispiel auf einer Buchseite, die wie eine zarte, ornamentale Unterbrechung wirkt, die Rückseite des Kohlepapiers reproduziert, das aus der Schreibmaschine von Ulrike Meinhof stammt. Es wurde nach ihrem Tod in ihrer Zelle sichergestellt und in den Akten asserviert. Man glaubt, es knistern zu hören und das Rattern der Walze und die Anschläge der Buchstabentasten. Die Vorstellungskraft sucht sich viele Wege.
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