piwik no script img

Vom Bauschaum bedroht

StadtnaturSingvögel und Fledermäuse sind geschützt. Der Schutz gilt auch bei Baumaßnahmen. Trotzdem beklagen Beobachter immer wieder die Zerstörung von Nestern. Die Fallgeschichte einer Verdrängung in Hellersdorf

So geht’s: Ein Star mit Zugang zum Nest Foto: Kipps

Von Helmut Höge

Die Brutsaison für Spatzen, Stare und Mauersegler, die in Gebäuden nisten, ist so gut wie beendet. Ähnliches gilt für die Fledermäuse, die ihre Jungen gerne in den breiten Fugen der DDR-Plattenbauten aufziehen. Diese Gebäudebrüter sind alle mitsamt ihren Nestern und Höhlen geschützt. Im Artenschutzgesetz, Paragraf 44, heißt es: „Es ist verboten, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.“

Man hält sich nur nicht immer dran, zumal der Beginn der Brutsaison oft mit dem der Bausaison zusammenfällt. Die meisten Vögel und Fledermäuse werden bei Baumaßnahmen zur Modernisierung und energetischen Verdämmung von Fassaden in Mitleidenschaft gezogen.

Der Naturschutzbund (Nabu) schreibt: „Bei Gebäudesanierungen werden täglich Vogelnester zerstört. Wenn die Fassade saniert und gedämmt wird, werden Einschlupfmöglichkeiten für die Tiere beseitigt. Eigentlich ist ein Ausgleich für den Verlust von Mauernischen, Ritzen und Höhlen leicht: In die Fassade können künstliche Nisthilfen problemlos integriert werden. Beim Vorhandensein geschützter Tierarten sind die Bauleute dazu sogar gesetzlich verpflichtet. Doch das wird vielfach ignoriert – oft sicherlich in Unkenntnis der Rechtslage, oft aber wohl auch mit Vorsatz und vor allem: Es wird viel zu wenig von der Naturschutzbehörde kontrolliert!“

Der Spatz

Spatzen sind Singvögel und ganzjährig geschützt. Zwar tschilpen sie für gewöhnlich nur, aber wenn sie von Menschen großgezogen werden, können sie wunderbar singen lernen.

Es gibt Land- und Stadtspatzen, letztere sollen angeblich intelligenter als erstere sein, beide sind jedoch Kulturfolger – und Allesfresser. Für ihre Jungen brauchen sie aber Insekten. Und weil diese immer weniger werden, nimmt auch die Zahl der Spatzen ab. Hinzu kommt, dass ihnen der Hausrenovierungs- und Sanierungswahn ihre Nistmöglichkeiten in den Gemäuern nimmt. In Städten wie Hamburg und Köln sind sie schon selten geworden, das saubere Münster ist sogar „praktisch spatzentot,“ wie die Ornithologen Jörg Böhner und Klaus Witt feststellten.

In Berlin hat sich ihre Population auf etwa 125.000 Brutpaare reduziert, Spatzen sind hier aber noch weiterhin die häufigste Vogelart (gefolgt von Amsel und Blaumeise), weswegen hiesige Zeitungen manchmal Berlin als „Hauptstadt der Spatzen“ bezeichnen. Dabei wurden Spatzen bereits 2002 auf die „rote Vorwarnliste der deutschen Brutvögel“ gesetzt.

Die Unteren Naturschutzbehörden in den Bezirken haben oft nur ein oder zwei Mitarbeiter – und gerade in Berlin wird besonders viel gebaut. Zudem werden den Mitarbeitern viele Baumaßnahmen gar nicht bekannt gemacht. Sie sind deswegen auf möglichst viele aufmerksame Bürger – „Bird-Watcher“ – angewiesen. Des ungeachtet obliegt der Behörde die „Kontrolle der Auflagen/Schutzmaßnahmen“, und dazu muss ihr nach der Gebäudebrüter-Verordnung der Bauherr/Bauträger bestimmte Unterlagen zur Genehmigung vorlegen: „1. Begründung der Notwendigkeit der Maßnahme. 2. zeitlicher und organisatorischer Ablauf. 3. Nennung betroffener besonders geschützter Arten. 4. Anzahl und Lage der Lebensstätten – ggf. Fassadenansicht, Skizze. 5. Konzept für den Einbau von Ersatzniststätten (ökologischer Ausgleich 1:1). 6. Expertise muss vom Antragsteller finanziert werden.“

Wenn die Untere Naturschutzbehörde die Genehmigung erteilt hat, „kann die Entfernung der Niststätte erfolgen“ – wichtig dabei: „aber erst nach Abschluss des Brutgeschehens (kein Aufenthalt von Altvögeln, keine Eier, keine Aufzucht von Jungvögeln) und nur durch einen Experten“.

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) ist mit dieser Regelung unzufrieden. Sie reiche nicht aus. In einem „Positionspapier zum Schutz Gebäude bewohnender Tierarten“ fordert das BfN ein Präzisierung der Begutachtung, mehr Personal für die Naturschutzbehörden und eine Aufnahme des Artenschutzes in das Baugesetz. In den Unteren Baubehörden wünscht man sich 1 Prozent der Bausumme für den Schutz der von Baumaßnahmen betroffenen Tiere. Die Bird-Watcher wollen, dass der Gutachter nicht länger vom Bauherrn bezahlt wird.

Der Fall in Hellersdorf

So nicht: Star, ratlos mit Futter für Jungtiere vor verstopftem Nest Foto: F.: Kipps

Wie die Situation konkret aussieht, soll hier am Beispiel der dieser Tage zum Abschluss kommenden Modernisierungsmaßnahmen am Hellersdorfer „Siedlungshof 6“ in der Kyritzer Straße/Fercher Straße dargestellt werden. Die rund 450 Wohnungen gehören der Wohnungsgenossenschaft Grüne Mitte, die dort die Plattenbaufassaden verdämmt, Fahrstühle einbaut und Balkone renoviert.

Als Experten engagierte der Bauherr den Artenschutzreferenten des Nabu, Jens Scharon. Der kartierte schon ab 2015 die in dem riesigen Wohnkomplex vorhandenen Nester – erst die von Spatzen und Staren und dann von Mauerseglern. Von ihrer Zahl ausgehend forderte er die Anbringung von 144 Nistkästen. Fledermäuse wurden in seinem Gutachten nicht erwähnt. Dieses war dann im September 2016 Teil des Bauantrags der Wohnungsgenossenschaft und der Firma Gneise – als Bauträger. Die Firma Gneise fügte noch hinzu: „Die Plattenfugen wurden vor einiger Zeit bereits verschlossen.“ Vielleicht sollte das heißen: Deswegen konnten da keine Fledermäuse mehr sein. Die Fugen waren jedoch noch offen, als das Einrüsten der Fassaden begann.

Anfang Mai 2017 wurden zudem von einem Subunternehmen des Bauträgers zwei Nisthöhlen an einer Giebelwand mittels Hebebühne von einem Arbeiter mit Bauschaum verstopft – obwohl sie mit Nestern belegt waren. Ein Mieter des Siedlungshofs 6, der das sah, rief dem Arbeiter zu, er solle das unterlassen, weil dort Jungtiere drin seien – im einen Nest fünf, im anderen sechs. Aber der Arbeiter machte weiter. Wenig später kamen die Stareneltern mit Futter angeflogen – und saßen hilflos auf dem Bauschaumpfropfen, dahinter piepsten ihre Jungen (siehe Foto).

Ein anderer Mieter, Christian Schmidt*, rief daraufhin am nächsten Tag die Polizei. Die kam auch sofort, war aber ratlos – und holte die Feuerwehr. Als diese die Pfropfen an der Fassade entfernte, waren in dem einen Nest von den sechs Jungen fünf tot, eins starb kurz darauf. Die fünf Jungen im anderen Nest überlebten. Ihre Eltern brauchten eine Weile, bis sie sich trauten, trotz des durch die Eingriffe veränderten Einfluglochs ihr Nest wieder anzufliegen.

Die Gebäudebrüter-Verordnung will: Wenn die Untere Naturschutz­behörde die ­Genehmigung ­erteilt hat, „kann die Entfernung der Niststätte erfolgen – aber erst nach Abschluss des ­Brutgeschehens und nur durch einen Experten“

Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf untersteht das Umwelt- und Naturschutzamt dem Stadtrat für Wirtschaft, Straßen und Grünflächen, Johannes Martin. Der junge CDU-Politiker teilte mir auf meine Frage, ob es auf der Baustelle nicht ein seltsames Gemauschel auf Kosten der dortigen Vögel und Fledermäuse gäbe, telefonisch mit: „Klar ist, die Plattenbauten haben große Fugen, in denen genistet wird, und die müssen dicht sein – zur Wärmedämmung. Dazu gibt es vorher Untersuchungen, und wo Nistmöglichkeiten verschwinden müssen, kommen im Nachgang künstliche Brutstätten hin.“ Dass es beim Zusammenspiel zwischen Behörden, Bauherren und Baufirmen zu Gesetzesübertretungen, das heißt zu Vertreibungen und Brutverlusten kommt, sah er aber auch: „Natürlich gibt es schwarze Schafe, die bei einer Sanierung keine Meldung an die Untere Naturschutzbehörde machen. Aber es findet ja vorher eine Kartierung statt mit Begehungen, und die finden derzeit auch immer noch statt – in dem fraglichen Gebiet.“

Demgegenüber meinte der grüne Bezirksverordnete in Marzahn-Hellersdorf Nickel von Neumann am Telefon: „Der im Bezirk zuständige Bezirksstadtrat hat aus meiner Sicht die Position: Bauen fördern und beschleunigen, Gewerbe nicht behindern. Da bleibt der Schutz von bedrohten Arten auf der Strecke.“ Die Gesetze würden jedoch aus seiner Sicht ausreichen, „sie müssen nur konsequent umgesetzt werden.“

Am Komplex Siedlungshof 6 ging unterdessen die Fassadenmodernisierung weiter. Der Mieter Christian Schmidt bekam Unterstützung von zwei Vogelschützern: Helga Weitnauer* und Claire Kipps*. Gemeinsam dokumentierten sie in Wort, Bild und Video die Gefährdung weiterer Gebäudebrüter und Fledermäuse. Fast täglich informierten sie per Mail die Behörden, den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), den Naturschutzbund und Teile der Presse. Sie bombardierten die Verantwortlichen mit immer neuen Beweisen, die zeigten, dass und wie die Bauarbeiten das Brutgeschehen gefährdeten.

Das las sich etwa so: „Das Nest an der Fercher 14 wurde nicht markiert und ist in großer Gefahr, obgleich es bereits am 19. 4. der Behörde gemeldet wurde und seit dem 1. 5. ein Video vorliegt, wo man deutlich sieht, dass der Star mit einem Kotpäckchen ausfliegt.“

Foto: Mathias Schaef/Okapia

Ehrenamtliche Mitarbeit

Aufgrund ihres Engagements ernannte der BUND Claire Kipps zur „ehrenamtlichen Mitarbeiterin für Gebäudebrüterschutz“ und gab am 10. Mai gestützt auf ihre Informationen eine Presseerklärung heraus: „Die Wohnungsgenossenschaft Grüne Mitte führt derzeit am Siedlungshof 6 in Hellersdorf diverse Sanierungs- und Wärmedämmungsarbeiten durch. Obwohl ein ornithologischer Gutachter beauftragt wurde, um Nester von Gebäudebrütern zu dokumentieren, damit sie vor Brutbeginn verschlossen und später durch Ersatzniststätten ersetzt werden können, wurden anscheinend zahlreiche Brutplätze übersehen. Aufmerksame AnwohnerInnen und BUND-Vogelschützerinnen dokumentierten die nicht erfassten Nester und die dort fütternden Elterntiere anhand von Foto- und Videonachweisen und informierten die Bauleitung, den Gutachter und die zuständige Untere Naturschutzbehörde. Warum es dennoch dazu kommen konnte, dass die besetzten Starennester mit Bauschaum verschlossen wurden, ist unklar.“

Der Naturschutzreferent des BUND, Herbert Lohner, forderte „unverzügliche Maßnahmen, damit nicht noch mehr Tiere Schaden nehmen, sowie eine Aufklärung der Vorgänge und eine erneute umfassende Dokumentation der vorhandenen Niststätten durch einen unabhängigen Gutachter“.

Der Star

Die Stare kommen und gehen. Es gab Jahre, da gab es so viele in Berlin (ein großer Schwarm übernachtete etwa in den Bäumen hinter dem Berliner Dom), dass sich ein Künstlerprojekt mit ihnen beschäftigte. „In großen Ansammlungen gleichen sie ihre Gesänge einander an und formen auf diese Weise komplizierte Dialekte, die sich selbst innerhalb einer Stadt wie Berlin unterscheiden“, schreibt der Biologe Cord Riechelmann. Darüber hinaus können sie auch „spotten“, das heißt Tierstimmen und andere Laute nachmachen.

Ebenso schön wie ihre Gesänge sind ihre Schwarmübungen. Berühmt sind die der Stare in Rom, wo im Herbst und Winter fünf Millionen von ihnen leben, die gemeinsam in der Luft Formationen proben. Der Naturschutzbund nennt den Star ein „geselliges Multitalent“, deswegen solle man möglichst mehrere Starenkästen nebeneinander zum Brüten für sie aufhängen. Die Kleingärtner geben allerdings zu bedenken: Sie fressen uns alle Kirschen vom Baum.

Im Gegensatz zu dem „Standvogel“ Spatz ist der Star ein „Strichvogel“, das heißt, bei Kälteeinbruch fliegt er in etwas wärmere Gebiete.

Auch der Vorständler der Wohnungsgenossenschaft Grüne Mitte, Andrej Eckhardt, fühlte sich herausgefordert: In einem offenen Brief an alle Mieter in Hellersdorf schrieb er über die drei Vogelschützer: Sie hätten mit ihren Aktivitäten „offensichtlich zum Ziel, einen generellen Baustopp zu bewirken … Man könnte schon fast von einer kleinen Hetzjagd sprechen.“ Über den Mieter Christian Schmidt teilte er dem Sozialamt und dem sozialpsychiatrischen Dienst mit: „Wir haben Kenntnis von einer psychischen Erkrankung von Herrn Schmidt, die ihm offensichtlich immense Probleme während der Bauphase bereitet. Wir haben Angst, dass er diese Situation nicht allein bewältigen kann und er sich etwas antut. Auch haben wir den Eindruck, dass sein Krankheitsbild von Dritten missbraucht wird. Daher regen wir die Einrichtung einer Betreuung an.“

Die Angeschriebenen legten Schmidt prompt einen „Betreuer“ nahe. Der lehnte aber ab und nahm sich einen Anwalt. Dieser klagte gegen die Wohnungsgenossenschaft auf „Verstoß gegen das Datenschutzgesetz“ sowie auch gegen das „Betreuungsverfahren“, mit dem man ihn entmündigen wollte. Das Amtsgericht Lichtenberg entschied dann, das Verfahren einzustellen, da der Mieter „kategorisch“ dagegen sei und „Zwangsmaßnahmen unverhältnismäßig“ wären.

Foto: Robert Pickett/Okapia

Christian Schmidt setzte seine Beobachtungen am Bau fort, am 18. Juni teilte er den beiden anderen Vogelschützern mit: „Die Existenz des Haussperlings in der Kyritzer 30, 3. Etage rechter Balkon, hat sich bestätigt. Ich habe Foto und Video gemacht und die Jungtiere habe ich auch bei der Fütterung gehört. Da muss Herr Scharon unbedingt das Nest markieren.“

Die drei Vogelschützer schienen mal als Querulanten von den Behörden und der Wohnungsgenossenschaft abgewehrt, dann wieder als Ehrenamtliche mit einbezogen zu werden, im übrigen nahm die Korrespondenz immer mehr den Charakter von Rundmails an, die zwischen den Bird-Watchern und den verantwortlichen Behörden und Naturschutzorganisationen zirkulierten. Zuletzt waren es über 200 Seiten. Auch die Feuerwehr rückte noch einmal an und entfernte drei Styroporplatten vor einem Nest. Bei einem Mauersegler, der in einem verlassenen Spatzennest brütete, ermittelte das LKA, weil die Ortspolizei nicht weiter wusste: Ihre Fotos vom Tatort zeigten wohl nicht das Nest, um das es ging.

Die Frage der Nistkästen

Die Fledermaus

In Deutschland leben 25 Fledermausarten. Es sind durchweg Insektenfresser, und da es im Winter hier keine Insekten gibt, halten sie Winterschlaf, der aber gar kein Schlaf ist, sondern eine Verlangsamung aller Körperfunktionen, um Energie zu sparen. Fledermausforscher sprechen von „Torpor“. Damit ihre Körpertemperatur dabei nicht unter einen kritischen Punkt sinkt, hängen sie sich dicht an dicht an die Decke ihrer Höhlen und wärmen sich gegenseitig. Wird es in den Höhlen dennoch zu kalt, brauchen sie eine Aufwärmphase, in der sie sich durch Muskelzittern erwärmen. In dieser Phase holen sie auch notwendigen Schlaf nach.

Die Männchen beenden ihren Torpor meist früher als die Weibchen und verpaaren sich dann mit diesen, die noch halb erstarrt sind. Fledermäuse ziehen nur ein Junges im Jahr groß, sie können 20 bis 30 Jahre alt werden. Weil es immer weniger Insekten gibt, werden auch die Fledermäuse seltener. Sie sind inzwischen streng geschützt. 1993 verabschiedete die BRD ein „Gesetz zum Abkommen zur Erhaltung der Fledermäuse in Europa“. Es soll helfen, ihre Populationen und ihre Zufluchtsstätten vor Beunruhigung und Beschädigung zu schützen. Fledermausschützer haben festgestellt, dass sie ungern Ersatzkästen annehmen.

Nach Veröffentlichung einer Kolumne zum Thema bekam ich vom Vorständler der Wohnungsgenossenschaft brieflich mitgeteilt: „Im Zusammenhang mit der Sanierung eines Hofes und der dabei aufgetretenen Problematik der Besiedlung des Bestandes durch Gebäudebrüter zitieren Sie aus einem Brief, den wir an unsere Mieter gerichtet haben. Die Tatsache, dass wir seit Beginn der Bauarbeiten einen Ornithologen beauftragt haben, bleibt gänzlich unerwähnt. Wir verstehen nicht, dass Sie nicht vor Veröffentlichung des Artikels Kontakt mit uns aufgenommen haben. So wüssten Sie auch, dass wir über 144 Ausweichnistkästen montiert haben.“

Das wusste ich jedoch, einige der unter dem Dach bereits eingebauten Nistkästen hatte ich mir angesehen. Hilfreich sind die allerdings erst in der nächsten Brutsaison.

Foto: imago

Am 12. Juli schrieb Claire Kipps an alle, die es anging: „Wir haben Ihnen am 26. 6. eine neue aktualisierte Kartierungsliste gesendet, damit die Niststätten geschützt werden können, u. a. wurden die Sperlingsniststätten an der Fercherstr. 40 dokumentiert. Leider musste ich erfahren, dass dort trotz bevorstehender Dämmung nicht durch den Gutachter kontrolliert wurde … Bitte veranlassen Sie, dass diese Standorte überprüft bzw. markiert werden, das Gerüst steht bereits.“

Über die Mauersegler teilte Christian Schmidt in einer Rundmail am 17. Juli mit: „Die Kyritzer Straße 30 Hofseite wurde heute eingerüstet. Die Mauersegler kommen nicht mehr an ihre Nester heran, weil das Gerüst die Einflüge versperrt. Ich habe vorhin beobachtet, wie die Mauersegler mehrfach versucht haben, an die Nester heranzukommen. Einer der Gerüstbauer, mit dem ich sprach, beobachtete dies auch, aber er sagte zu mir: Sein Chef habe ihm den Auftrag gegeben.“

Wegen der Fledermäuse traf ich mich Ende Juli mit ihm und Claire Kipps vor dem Siedlungshof 6. Dort beginnt das Wuhletal. Wegen dieser Nähe zur offenen Landschaft, so wurde mir erklärt, würden so viele Vögel und Fledermäuse in dem einzigen noch nicht energetisch verdämmten Plattenbaukomplex nisten. In der Dämmerung konnten wir eine Fledermaus sehen, die zwischen den Stangen des Baugerüsts in ihr Einflugloch flog. Weitere flogen um den Block.

Der Mauersegler

Die Mauersegler halten sich nur zur Brutzeit – von Anfang Mai bis Ende August – hier auf, sie überwintern in Afrika. Die geselligen Vögel können sich monatelang in der Luft aufhalten, nach Insekten schnappend, mit einem Auge schlafend oder lebensfreudig hintereinander her jagend.

Der Zürcher Stadtbiologe Stefan Ineichen hat festgestellt, dass ihre Populationen in den Städten zunehmen, während die der Schwalben abnehmen. Er erklärt sich das damit, „dass die Segler großstädtischer, moderner als Schwalben sind“. Dennoch stehen sie auf der Vorwarnliste zur Roten Liste gefährdeter Brutvögel, der Nabu nennt als Gründe für ihre Gefährdung: „zunehmende Insektenarmut“ und vor allem „Verlust von Nistmöglichkeiten aufgrund von Gebäudesanierungen“.

An ihren Brutplätzen üben sich Männchen und Weibchen in einem Duettgesang. Der Verhaltensforscher Wolfgang Wickler vermutet, dass sie beim Einüben desselben ihre Paarbeziehung festigen. Laut Wikipedia rufen sie zusammen „swii-rii“, wobei das hellere „swii“ vom Weibchen stammt und das etwas tiefere „rii“ vom Männchen.

Der Widerstand des Bauherrn gegenüber den ­Hinweisen und Meldungen der drei Bird-Watcher ging so weit, dass er der Urlaubsvertretung für den Gutachter Scharon, den Vorsitzenden des Nabu-Landesverbandes Rainer Altenkamp, kündigte, nachdem der sich nicht daran gehalten hatte, „einen Schriftwechsel mit Mietern/Mitgliedern der Genossenschaft grundsätzlich“ zu unterlassen.

Am 11. August informierte Christian Schmidt den Leiter der Unteren Naturschutzbehörde: „In der Kyritzer Str. 26 Hofseite wurde heute eine Fledermaus eingemauert. Sie konnte gestern Abend ihr Quartier zur Nahrungsaufnahme nicht mehr verlassen. Bitte sorgen Sie unverzüglich dafür, dass das Fledermausquartier wieder für die Tiere frei zugänglich wird.“

Foto: imago

Vier Tage später erfuhr ich von ihm, dass die IGA-kritische Bürgerinitiative Kienberg-Wuhletal, in der er mitarbeitet, Post von der Polizei bekommen habe: „Gegen uns wurde wegen des Berichts vom 19. 7. auf unserer Facebookseite Strafanzeige gestellt wegen übler Nachrede.“

Die Baumaßnahmen des Siedlungshofs 6 stehen gerade kurz vor dem Abschluss. Deswegen wollte ich den Vorständler der Wohnungsgenossenschaft Grüne Mitte Eckhardt nach seiner Meinung über das Geschehene fragen – vergeblich. In der im August erschienenen Genossenschaftszeitschrift Grüne Mitte Aktuell ist zu erfahren, dass auf der „Mitgliederversammlung die heitere Stimmung überwog, als Andrej Eckhardt berichtete, dass man beim Baugeschehen [in Hellersdorf] voll im Zeitplan liege“.

*Namen geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen