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Bedenklich vogelfrei

Die Stadt für alle Baumaßnahmen betreffen nicht nur die Menschen: Während über tiergerechte Stadtplanung erst nachgedacht wird, sterben auch in Berlin Tausende Vögel und Fledermäuse bei Fassadensanierungen. „Biokulturelle Werte“ gelten beim Bauen wenig

Auch bedroht, aber als „Kulturfolger“ weiß der Spatz doch die Annehmlichkeiten der Stadt zu schätzen: hier bei einem sommerlichen Bad im Berliner Neptunbrunnen Foto: Soeren Stache/dpa/picture alliance

Von Helmut Höge

Als der Wissenssoziologe Bruno Latour verkündete, es gibt keine ökonomische Utopie mehr, nur noch eine ökologische, erntete er wenig Widerspruch. Und es stimmt ja auch, dass die Ökologiebewegung – inklusive Parteien, Gesetze, Forschungsins­ti­tute, NGOs, Naturschutzbeauftragte, Umweltämter und -ministerien – eine enorme Karriere gemacht hat. Der Soziologe Harald Welzer gibt jedoch zu bedenken: Gleichzeitig werde jedes Jahr „ein neues Weltrekordjahr im Material- und Energieverbrauch“ angezeigt.

Kann es sein, dass diese ganze Ökopolitik ins Leere läuft?

In Berlin wird gebaut wie verrückt, und die Behörden scheinen beide Augen zuzudrücken, wenn es darum geht, dass dabei Gesetze und Bestimmungen nicht eingehalten werden. Alljährlich werden allein in Berlin mit Beginn der Brutsaison, die oft mit der Bausaison zusammenfällt, Tausende junge Spatzen, Stare, Mauersegler und Fledermäuse bei Renovierung und energetischer Fassadensanierung lebendig eingemauert. Diese Tiere sind „Kulturfolger“, sie folgen dem Menschen in seine Kulturlandschaft – und weil das Land agrarisch durchindustrialisiert ist, ist die Stadt ihr derzeit letzter Rückzugsort.

Im neuen Tierschutzgesetz heißt es unmissverständlich – in Paragraf 17: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder 2. einem Wirbeltier aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.“ Aber das kümmert kaum einen Bauherren oder Bauträger. Als Druckmittel dagegen hat sich die australische Bauarbeitergewerkschaft bereits 1977 etwas einfallen lassen: ein „Umweltzentrum“, von dem aus es ihr gelang, all jene Baustellen mit einem „grünen Bann“ zu belegen, „die als für die Umwelt schädlich eingestuft wurden“. Nur das habe geholfen, schreibt der Kulturwissenschaftler McKenzie Wark in seinem Buch „Molekulares Rot“ (2017.)

Eher akademisch als proletarisch kommt dazu hier und heute ein Forschungsprojekt der TU München am Lehrstuhl für terrestrische Ökologie ins Spiel, in dem die Initiatoren Thomas Hauck und Wolfgang Weisser ein Konzept entwickelt haben, das sie „Animal-Aided Design“ nennen. Es geht dabei um eine „artgerechte Planung“ von Bauvorhaben, um „Tiere dauerhaft in städtischen Freiräumen anzusiedeln“, unter anderem ist dabei an Spatzen gedacht. Dieses Konzept kommt dem nahe, was der Stadtökologe und Landschaftsplaner an der TU Berlin Ingo Kowarik als Landesbeauftragter für Naturschutz meint, wenn er von „biokulturellen Werten“ spricht und davon, dass das Bauen mit der Natur versöhnt werden muss.

Noch aber geht es, wie die Geschichte „Vom Bauschaum bedroht“ auf den folgenden Seiten zeigt, oft um das Gegenteil: um Bauen ohne Rücksicht. Ökonomie versus Ökologie. Oder, wie es einer der Verantwortlichen in einer Berliner Umweltbehörde sagte: „Der Naturschutz darf das Bauen nicht behindern. Das kostet schließlich Millionen.“

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