: Die Umfragensiegerin
Sie wollte den „kompletten Politikwechsel“. Jetzt muss Angela Merkel sogar mit den Grünen reden
AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF
Es war nur eine Frage der Zeit, welcher Unionspolitiker als Erster Salz in die Wunden streuen würde. Friedrich Merz macht den Anfang. „Der ganze Wahlkampf ist sicherlich nicht optimal geführt worden“, sagt der frühere Fraktionschef der Union am Abend nach der Wahl. Auch Edmund Stoiber äußert sich gewohnt feinsinnig: „An Bayern hat es bestimmt nicht gelegen.“
Also an Angela Merkel. Das Ergebnis dieser Bundestagswahl mag für die Union enttäuschend sein, für Merkel ist es blamabel. Gemessen an Stoibers 38,5 Prozent von 2002 und gemessen an selbst geweckten Erwartungen.
Als sie im Mai Kanzlerkandidatin wurde, lag die Union in den Umfragen nahe einer absoluten Mehrheit. Merkel strebte einen „kompletten Politikwechsel“ an und rief dem Kanzler höhnisch zu, er sei „Vergangenheit“.
Am Abend nach der Wahl muss Merkel einräumen, dass ihre „Wunschkoalition nicht möglich“ sei. In der CDU-Zentrale stimmen ein paar Unentwegte trotzdem „Angie“-Rufe an. Merkel lächelt tapfer. Später sagt sie: „Die Welt ist ein Stück komplizierter geworden.“
Die Frau, die in Deutschland „durchregieren“ wollte, macht nun sogar den Grünen Avancen. Sie werde mit allen Parteien außer der Linkspartei über eine Regierungsbildung sprechen, sagt sie – und sei es nur, um zu pokern. Cool bleiben, das schafft sie auch jetzt noch. In der Fernsehelefantenrunde lehnt ein vor Schadenfreude trunkener Schröder eine große Koalition unter ihrer Führung ab. Merkel entgegnet trocken: „Ich werde meinen Weg finden, auch mit den Sozialdemokraten zu sprechen.“
Wenn sie doch noch Kanzlerin werden möchte, müsste sich Merkel richtig verbiegen. Eine Übung, die sie bisher, so weit es ging, vermied. Sie verzichtete auch im Wahlkampf auf Stammtischparolen, die ihr nicht liegen – und auf Bäder in der Menge, die ihr zuwider sind. Die 51-Jährige beschränkte sich weitgehend auf ihr ökonomisches Programm. Während Stoiber einst Frau und Töchter einspannte, zeigte sich Merkel mit ihrem Mann nur in Bayreuth und einmal kurz beim Fischen. Während Stoiber einen Wischiwaschiwahlkampf führte, reiste Merkel als kühle Verkünderin unangenehmer Botschaften durchs Land. Die amerikanische Newsweek wunderte sich über die „Iron Lady“ und fragte sich, ob die Deutschen wirklich „bereit für ihre eigene Thatcher“ seien.
Merkel hat nicht versucht, sich an die Macht zu schleichen. Sie verzichtete auf geborgte Stimmen enttäuschter SPD-Wählern, die aus Frust über Hartz IV bei vielen Landtagswahlen der CDU zum Sieg verholfen hatten. Sie wollte ein echtes Mandat für einen Wechsel, eine Legitimation für eine arbeitgeberfreundliche Politik. Weniger Staat, mehr „Eigenverantwortung“ – ihre Offenheit schien Erfolg versprechend, weil sie ihre Zumutungen dosierte, weil sie von den meisten Medien unterstützt wurde und weil ihre Gegner anfangs einen desolaten Eindruck machten. Ins Schwimmen geriet Merkel erst, als ihr Steuerberater Paul Kirchhof ihr Konzept der begrenzten Ehrlichkeit sprengte. Dessen „Visionen“ schienen ihre Ziele aufzudecken – zu viel des Schreckens für mittige Wechselwähler. Prompt rückten wichtige Unionsmänner von Kirchhof ab, zogen so Merkels Autorität in Zweifel und trieben Radikal-Reform-Fans zur FDP. Laut Nachwahlumfragen wussten 70 Prozent der Deutschen nicht, woran sie bei der Steuerpolitik der Union sind.
Nicht nur Merz, sondern auch Roland Koch, Christian Wulff und andere werden Merkels Wahlkampf noch gern und gewohnt schonend analysieren. Aus ihrer Sicht ist ihr Abschneiden, gemessen an den Ausgangsbedingungen im Mai: ein verschossener Elfmeter.
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