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Mafia in DeutschlandDas Problem heißt Rassismus

Sechs Menschen starben vor zehn Jahren in Duisburg beim ’Ndrangheta-Massaker. Was hat sich seitdem in Deutschland getan?

Vor dem Restaurant „Da Bruno“ wurden vor zehn Jahren sechs Menschen getötet Foto: dpa

Sechs Personen wurden am 15. August 2007 in einem internen Machtkampf zweier Clans in Duisburg erschossen, alle aus dem Umkreis der ursprünglich aus dem süditalienischen Kalabrien stammenden, seit Jahrzehnten aber weltweit operierenden Mafiaorganisation ’Ndrangheta. Zeit also für den Versuch einer kleinen Bilanz: Was hat sich seitdem getan in Deutschland?

Gesetzgeberisch haben sich ein paar Dinge geändert, dazu weiter unten drei Beispiele. Ein reflektierter und progressiver Diskurs zum Thema Mafia hat sich jedoch nicht entwickelt, trotz der großen Brisanz, was Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit angeht. Wie kann die Gesellschaft das Thema eigentlich angehen?

Jedenfalls nicht so, wie es üblicherweise passiert in Deutschland: Meist wird das Thema Mafia einfach instrumentalisiert, um missliebige Personen oder Organisationen durch eine suggerierte Verbindung zur Mafia zu diskreditieren.

Vor allem rassistische Denkmuster in der Gesellschaft sind verlässlicher Nährboden dafür: Allen zugänglichen Statistiken zum Trotz wird auf explizite oder implizite Art organisierte Kriminalität immer wieder zu einem Problem „der anderen“ gemacht (von anderen Gesellschaften, „Ausländer_innen“, oder von Personen bestimmter „Ethnien“ etc.). Popkultur und politischer Diskurs sind voll davon. Hier sei nur an das eklatanteste Beispiel der letzten Jahre erinnert, das gesellschaftliche Debakel der NSU-Ermittlungen. Medien untersuchten das Thema kaum kritisch und die Behörden waren der Blindheit ihres institutionellen Rassismus so weit erlegen, dass sie viel zu lange auf Hypothesen einer Mafia-Mordserie fixiert blieben.

Neue Gesetze

Die Gesetzesänderungen seit den Duisburger ’Ndrangheta-Morden machen es den Mafias in Deutschland etwas schwerer. Doch Vorsicht! Wenn nur Verschärfungen des Strafrechts es richten sollen, dann wird autoritäres Denken gefüttert. Das kann nicht unser Anliegen sein.

Eine gewisse Beschränkung typisch mafiöser Geschäfte ergibt sich aus den Regelungen zur Geldwäsche, die in diesem Jahr auch aufgrund europäischer Vorgaben zur Terrorbekämpfung deutlich verschärft worden sind. So müssen Händler bei Bargeldzahlungen von mehr als 10.000 Euro ein Identifikationsverfahren durchführen, um nicht dem Waschen von Schwarzgeldern Vorschub zu leisten. Bei Identifizierungsfehlern drohen Bußgelder; erkennt ein Händler leichtfertig nicht die kriminelle Herkunft des Geldes, liegt sogar eine Straftat vor.

Deutlich verschärft hat der Gesetzgeber auch die Regelungen zur Vermögensabschöpfung bei Straftaten, sodass es jetzt einfacher ist, mutmaßlich kriminell erlangte Vermögenswerte einzuziehen. Bislang war die Abschöpfung krimineller Gewinne in der Praxis recht kompliziert. Zugleich wurde der Kreis der einzuziehenden Vermögenswerte erweitert. In Italien wird die Vermögensabschöpfung schon lange massiv genutzt, um Immobilien, Betriebe, aber auch etwa Luxusautos von Mafiosi zu konfiszieren und einer zivilgesellschaftlichen Nutzung zuzuführen. Die EU gab den Mitgliedstaaten auf zu prüfen, ob sie eine solche Umnutzung von Gütern von Kriminellen auch in ihren nationalen Strafgesetzen vorsehen wollen. In Deutschland hat man das italienische Modell bislang nicht übernommen.

Mafia als kriminelle Vereinigung

Auch hat der Gesetzgeber die Schwelle für das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung im Sinne von § 129 StGB gesenkt. Bislang konnten viele Mafias von der deutschen Strafjustiz nicht als kriminelle Vereinigung im strafrechtlichen Sinne eingestuft werden. Ebenfalls aufgrund von EU-Vorgaben ist dies nun geändert worden, sodass – jedenfalls nach Ansicht des Bundesinnenministers – auch die Bekämpfung von Mafias erleichtert wird.

Allerdings hat die Gesetzesreform eine große Schwäche. Denn § 129 StGB wurde immer wieder als Vehikel zur Bekämpfung politisch missliebiger Gruppierungen genutzt. Die jetzt erfolgte Ausweitung dieser Norm lässt befürchten, dass neben den Mafiosi auch viele andere Personen ohne echten Grund in den Fokus der Strafverfolger geraten werden.

Die Anpassung deutscher Strafrechtsnormen an internationale Vorgaben ist dennoch grundsätzlich zu begrüßen. Doch strafrechtliche Definitionen sollen primär Basis und Grenze staatlichen Handelns sein; die zivilgesellschaftliche Debatte ist daran nicht unhinterfragt gebunden. Zehn Jahre nach Duisburg ist klar, dass Neues gedacht werden muss, neue Begrifflichkeiten müssen erarbeitet werden. Nach politischer Auseinandersetzung mag dann eines Tages auch das Strafrecht weiterentwickelt werden.

Mafia, Staat, Wirtschaft

Damit die deutsche Gesellschaft ihre Bedrohung durch Mafias angehen kann, scheint uns als erster Schritt wichtig zu sein, deutlich zwischen Mafia und organisierter Kriminalität zu unterscheiden.

Enzo Ciconte, führender italienischer Historiker der Mafias, definiert den zentralen Aspekt von Mafia so: „Eine kriminelle Gruppe wird dann mafiös, wenn sie Verbindungen in die Welt der Politik und in die Welt der Wirtschaft unterhält. Ohne diese Verbindungen würde es sich vielleicht um Gangster handeln, um Banditen oder um organisierte Kriminalität – aber nicht um eine Mafia.“

Der Begriff Mafia beschreibt also eine Schnittmenge von Politik, Wirtschaft und (organisierter) Kriminalität. Diese Definitionsfrage hat enorme praktische Relevanz: Nicht jede einzelne Aktivität einer Mafia ist auch gleich eine Straftat. In der Summe aber können sich diese einzelnen (auch legalen) Aktivitäten sehr wohl zu einer kriminellen Strategie verschränken: Eine Wohnung zu kaufen ist legal, konnte aber beim bisher völlig unkontrollierten Barkauf natürlich auch Geldwäsche darstellen. Müll zu entsorgen, Wolkenkratzer zu bauen, Glücksspielautomaten zu haben, Pflegedienste oder Krankenhäuser zu betreiben, Arzneimittel oder Tropenhölzer zu verkaufen, wählen zu gehen – das sind alles nicht an sich strafbare Handlungen. Aber es können eben Geschäftsgebiete einer Mafia sein, etwa die Organisation von Wählerstimmen.

Und das andere, eher weniger legale Geschäftsgebiet, oft ausgeführt vom sogenannten militärischen Arm der Organisation, kann zum Beispiel die Einschüchterung von Wettbewerber_innen sein. Der Punkt ist: Den Aktivitäten in den verschiedenen Bereichen unterliegt eine gemeinsame kriminelle Strategie des Machtgewinns, die dann am besten noch von präzisen Parteispenden abgerundet wird.

Wir müssen reden

Ohne eine deutliche begriffliche Unterscheidung zwischen organisierter Kriminalität (die aufgeregt diskutierten serienmäßigen Wohnungseinbrüche zum Beispiel) und Mafias wird sich kein seriöser Diskurs entwickeln lassen. Wenn wir der Einschätzung Enzo Cicontes folgen, dass Mafia die Schnittmenge zwischen Politik, Wirtschaft und (organisierter) Kriminalität ist, dann wird es keine Wahrnehmung des Phänomens geben ohne den unabhängigen, staatsfernen Blick durch Medien und Zivilgesellschaft. Erst aus einer differenzierten Wahrnehmung und Analyse kann menschenrechtsbasierte und progressive politische Handlung werden, die die demokratische Kultur achtet und fördert.

Darüber müssen wir in Deutschland reden, wenn wir ernsthaft und kritisch über unsere Mafia reden wollen. Zehn Jahre nach Duisburg sollte klar sein, dass bei allen wichtigen Erfahrungen der italienischen Gesellschaft im Kampf gegen die Mafias der einfache Import historisch gewachsener italienischer Modelle der Mafia-Bekämpfung der falsche Weg ist.

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4 Kommentare

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  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Das fragen Sie nicht wirklich, Herr Heger.

    Es gibt keinerlei Interesse daran mafiöse Strukturen zu hinterfragen oder gar zu beenden.

    Einer, der gute Kontakte hatte, wurde nach Brüssel weggelobt. Folgen hatte es keine.

    BaWürttenb. bietet allen eine gute Heimat: http://www.stern.de/panorama/buchauszug-oettinger-und-der-pizzabaecker-3081568.html

    Schauen Sie mal in Ihren Archiven: http://www.taz.de/!5146290/ http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.so-stark-wie-nie-die-mafia-in-deutschland-page1.47a60336-be40-4299-b367-3dd5f141f625.html

     

    Alles eine Großfamilie.

  • Ein an sich guter Artikel.

     

    Warum der unpassende Titel "Das Problem heißt Rassismus"? Etwas schade.

    • @Knecht Ruprecht:

      Ja, man könnte jetzt wieder denken, hier würde jemand behaupten, dass die armen, armen Mafiosi, sofern hierzulande aufgewachsen, nach einer Kindheit voller Mobbing durch blonde blauäugige Biodeutsche gar nicht anders konnten, als sich der "Familie" anzuschließen... aber so ist es zum Glück nicht gemeint! Sorry, PIdioten - hier gibt es nichts zum Abkotzen...

      • @Yadgar:

        @YADGAR Abgesehen von der infantilen Schlussnote Ihrer Antwort - Sie merken schon, dass Sie das, was Sie hier kritisieren wollen, mit Ihrer Aussage selbst tun, oder? ;)