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Antisemitismus an Berliner SchulenJuden und „Ungläubige“ im Visier

Radikale Muslime werden zunehmend zum Problem in Schulen, besagt eine Umfrage des American Jewish Committee. Ein Problem nicht nur für jüdische Schüler.

Kundgebung gegen Antisemitismus am Brandenburger Tor Foto: dpa

Berlin (taz) | Vor gerade mal drei Monaten machte der Fall eines jüdischen Schülers an einer Schule im Schöneberger Ortsteil Friedenau Schlagzeilen: Der Junge wurde von seinen Mitschülern wegen seines Jüdischseins so sehr gemobbt, dass seine Eltern ihn schließlich von der Schule nahmen. Wohl eher ein krasser Einzelfall, aber Antisemitismus sei durchaus ein Problem auf Schulhöfen, so lauteten damals die Einschätzungen.

Nun versucht eine Lehrerbefragung an Berliner Schulen diese gefühlten Fakten mit ein wenig Substanz zu unterfüttern. Die Erkenntnis: Ein radikaler Islam werde zunehmend zum Pro­blem in Schulen – nicht nur für jüdische Schüler, sondern auch für Nichtgläubige, für Mädchen oder für (vermeintlich) homosexuelle MitschülerInnen und Lehrkräfte.

Die Umfrage ist Teil eines Präventionsprojekts der Bildungsverwaltung gegen Antisemitismus und Salafismus. Das American Jewish Committee (AJC) hatte gemeinsam mit dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg 27 LehrerInnen an 21 Berliner Schulen in acht Bezirken befragt. In Interviews wurden die LehrerInnen nach Erfahrungen und Beobachtungen im Schulalltag gefragt: Wo begegneten ihnen demokratiefeindliche Einstellungen der Schüler, antisemitische Stereotype oder antiisraelische Verschwörungstheorien?

Zwar ist die Umfrage nicht repräsentativ, wie auch das AJC betont; aber man erhalte „erstmals einen breiteren Einblick, inwieweit extremistisches, intolerantes und antisemitisches Gedankengut bereits an einigen Berliner Schulen zu einem Problem geworden ist“, heißt es im Fazit des „Stimmungsbilds“.

Tatsächlich dürfte einiges, was in der Umfrage berichtet wird, für Aufsehen sorgen. So berichten die befragten Lehrer von einem „steigenden Druck auf Schüler durch Mitschüler, auch innerhalb der Schule streng religiöse Verhaltensweisen zu befolgen“. Im Hintergrund stünden dabei häufig konservative Moscheevereine, die die Kinder und Jugendlichen beeinflussten.

Vor allem Mädchen werden unter Druck gesetzt

Insbesondere Mädchen würden von diesen „Moralwächtern“ unter Druck gesetzt: LehrerInnen berichten über Schülerinnen, die infolge eines zunehmenden Gruppendrucks in der Klasse plötzlich ein Kopftuch trugen. „Westlich“ gekleidete Mädchen würden als „Schlampe“ und „Hure“ beschimpft – an einer Schule hatten die Jungs offenbar derart Druck aufgebaut, dass einige Mädchen sich nicht mehr ­trauten, zum Abi-Ball zu kommen.

An einigen Schulen, heißt es in dem Bericht, habe sich „aufgrund sozial-religiöser Konflikte vermehrt eine Geschlechtertrennung herausgebildet“. Und: Jugendliche definierten sich zunehmend über Religion.

Auch Nichtmuslime würden unter Druck gesetzt, wobei Christen noch einigermaßen akzeptiert seien, heißt es. Juden und „Ungläubige“ hätten es dagegen schwer, erzählen die Lehrer. „Scheißjude“ sei ein beliebtes Schimpfwort auf dem Schulhof. Ein Schüler habe als Drohung eine Liste von allen Atheisten in seiner Klasse geführt.

Warum schafft es eine kleine Gruppe, eine solche Droh­kulisse aufzubauen?

Die Umfrage ergab auch: Die „Moralwächter“ sind nur eine Minderheit, wenn auch eine zunehmend lauter werdende. Bleibt also die Frage, warum eine Minderheit es überhaupt schafft, eine Drohkulisse aufzubauen.

Auch dafür bietet die Umfrage einen Erklärungsansatz: Die Lehrer wissen nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Die meisten Befragten sagten, ihnen fehle das Wissen über Islam und Islamismus, aber auch über den Nahostkonflikt und antijüdische Verschwörungstheorien.

Die Konsequenz, die offenbar viele Lehrer ziehen: Sie behandeln die heiklen Themen im Unterricht nicht mehr, „weil es dann gleich eine kleine Intifada im Klassenraum gebe, die flippen total aus“, sagte eine Lehrkraft.

Den LehrerInnen fehlt es vor allem an Beratungsangeboten und klaren Regeln, wie man mit Demokratiefeindlichkeit bei den Schülern umgeht: Eine Lehrkraft sagte, wenn ein Schüler den Hitlergruß zeige, schalte sie die Polizei ein, bei Drogenproblemen gebe es Beratungsstellen. Bei Islamismus sei man ratlos, viele Schulleitungen spielten das Problem zudem aus Furcht um den Ruf der Schule gerne herunter.

Dialog über Konflikte

AJC-Direktorin Deidre Berger betonte, die Umfrage dürfe jetzt nicht dazu verleiten, pauschal muslimische Jugendliche zu stigmatisieren. Sie sprach sich für einen Dialog in Schulklassen über den Nahostkonflikt und über Israel aus.

Tatsächlich gibt es in dieser Hinsicht bereits einige Projekte. So gehen Vereine wie die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus gezielt in Schulen, um Aufklärungsarbeit zu leisten und die Lehrer zu unterstützen. Auch das Modellprojekt gegen Salafismus der Bildungsverwaltung setzt dort an. Handlungsbedarf gibt es genug.

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5 Kommentare

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  • Es wundert mich nicht, dass die Lehrer nicht wissen, wie sie mit dem Thema umgehen sollen, da die Politik nicht klar kommuniziert, dass Religion Privatsache ist und jeder Privat das glauben kann, was er möchte. Die Lehrer, oft christlich sozialisiert wissen nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen und schweigen es tot. Religion ist eine Droge – Drogen bitte erst ab 18. Wir brauchen einen Jugendschutz für Religion! Wie kann es sein, dass Eltern die Religion ihrer Kinder bestimmen. Wie man sieht, bringt es nur Unfrieden. Deshalb ist es zwar wichtig, über alle Religionen aufzuklären – konfessioneller Religionsunterricht gehört jedoch abgeschafft. Ab 18 kann man sich entscheiden, ob und welcher Religion man sich nahe fühlt.

  • "Der Junge wurde von seinen Mitschülern wegen seines Jüdischseins so sehr gemobbt, dass seine Eltern ihn schließlich von der Schule nahmen. Wohl eher ein krasser Einzelfall, [...]"

    "Die Lehrer wissen nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen."

     

    Was, wenn ich sage, dass das Zurückführen auf den Islamismus eine knappe, oberflächliche Betrachtung des Problems ist? Was, wenn ich sage, dass dieses Problem uralt ist und das nicht nur Juden und Atheisten in der Umgebung von Islamisten diese Gängelung erfahren?

     

    Ich sage das jetzt einfach mal: Ich selbst ging in den 90er Jahren in Brandenburg auf eine staatliche Gesamtschule. Ich war ein Einzelgänger mit maximal 2 Freunden in meiner Klasse. Die Drohkulisse seitens einiger weniger Agressoren war gewaltig. Es ging nicht um Religion vs Atheismus. Es ging nicht um verschiedene, inkompatible Kulturen. Es ging lediglich darum, dass ich mich nicht vom Klassenkollektiv assimilieren ließ, eher kleinwüchsig und relativ unsportlich war und statt Konflikten mit Agression zu begegnen lieber in Ruhe gelassen werden wollte.

     

    Kurz gesagt, ich war anders und das war Grund genug, dass ich regelmäßig verprügelt werden durfte, dass ich im Unterricht aus der letzten Reihe mit zerkautem Kaugummi oder Tampons mit roter Tusche beworfen werden durfte.

     

    Lehrer? Pausenaufsicht? Haben bei ihrem Job versagt. Konsequenzen? Klar gab es die - gegen mich, wann immer ich es doch mal wagte, mich physisch zu wehren. Auch ich wurde irgendwann von der Schule genommen und konnte mein Abi in einem privat geführten Gymnasium machen.

     

    Was früher Kleinwuchs und sportliche Schwäche war, sind heute Differenzen in der Weltanschauung. Die Erklärungsfassade hat sich geändert. Die Grundmechanik, in der junge Gewalttäter Außenseiter erwählen um sich selbst zu profilieren und dabei von den Lehrern unterstützt werden, ist mindestens seit Jahrzehnten identisch.

    • @Bwaaainz:

      Ist völlig richtig was Sie schreiben, denke ich.

       

      Das Problem ist aber, dass die passende Ideologie diese ohnehin vorhandenen Mieslinge erst richtig zusammenschweißt, ihnen eine Rechtfertigung für ihre Bosheit liefert und ihnen obendrein noch Mitläufer beschert, die sich durch das passende Glaubensbekenntnis ganz einfach an die Spitze der Nahrungskette mogeln können, wohin sie aus eigenen Kräften (z. b. weil sie zu kleinwüchsig und unsportlich sind) kaum gelangt wären. Es entsteht ein hermetisches Entweder-Oder-, Drinnen-oder-Draußen-System, das sich aufgrund seines ideologischen Fundaments viel schwieriger aufbrechen lässt als eine flexible, allein auf individueller Stärke und Coolness begründete Hierarchie.

       

      Erschwerend hinzu kommen ideologisch bedingte Ausschlussfaktoren (hier: Atheismus, Judentum, Homosexualität sowie weibliches Geschlecht), die es in „freier Wildbahn“ so nicht unbedingt gäbe. Das ist deshalb vollkommen intolerabel, weil manche dadurch von vornherein, aufgrund nicht beeinflussbarer biologischer Faktoren, keinerlei Chance auf Partizipation haben. Exakt derselbe Mechanismus wie bei biologischem Rassismus, den zu relativieren wohl kaum jmd. in den Sinn käme. Dabei läuft die Diskriminierung durch Islamisten im Kern auf das genau gleiche hinaus. Ideologien, die Menschen in dieser Form differenzieren und entmenschlichen, müssen alle gleichermaßen problematisiert und geächtet werden. Appeasement arbeitet den Ideologen nur zu.

  • Probleme die man nicht wahr nehmen will, weil sie einfach nicht ins Weltbild passen, kann man nicht lösen.

  • "Warum schafft es eine kleine Gruppe, eine solche Drohkulisse aufzubauen?"

     

    Die Antwort ist:

     

    Weil Angst, Feigheit und Konformismus auf Seiten derer herrschen, deren Pflicht es wäre, sich schützend vor die übrigen Schüler zu stellen.