piwik no script img

„Für manche Bürger bin ich Kult“

Es gibt eine linke Mehrheit, ist Hans-Christian Ströbele sicher. Das zeige die politische Herkunft seiner Wähler. Der Direktkandidat in Friedrichshain-Kreuzberg ist immer noch überwältigt von seinem Erfolg

INTERVIEW Plutonia Plarre UND Uwe Rada

taz: Herr Ströbele, können Sie den Bundeskanzler in seinem Siegestaumel verstehen?

Hans-Christian Ströbele: Überhaupt nicht. Ich fand diese Szene in der Elefantenrunde irreal. Einen Moment habe ich gedacht: Ist an mir vorbeigegangen, dass Hanf legalisiert wurde?

Was ist mit Ihrem eigenen Siegestaumel? Oder haben Sie mit diesem Ergebnis von 43 Prozent gerechnet?

Überhaupt nicht. Ich wurde immer wieder gefragt, mit welchem Ergebnis ich rechne. Meine Antwort: Wartet ab, ich treffe erst mal auf die Leute und sage euch dann, ob wir eine gute Chance haben. Dann war ich im Wahlkampf, bin in die Kneipen, an die Strände, in die Häuser gegangen, und da hatte ich das Gefühl – sowohl in Kreuzberg als auch in Teilen von Friedrichshain und Prenzlauer Berg –, dass eine große Zustimmung da ist. Mein Eindruck war auch: Das ist besser als beim letzten Mal.

Umfragen prognostizierten ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Kandidatin der Linkspartei, Cornelia Reinauer.

Da dachte ich auch: Jetzt wird’s knapp. Jetzt musst du noch mal einen Gang zulegen …

Zumal es auch das Argument gab, Ströbele ist nicht mehr so unabhängig wie 2002, weil er einen Großteil der Regierungspolitik mit vertritt.

Mir wurde öfter vorgehalten, dass ich als Vizefraktionsvorsitzender dafür mitverantwortlich bin und deshalb zu den Grünen gehöre, „und die Grünen wählen wir nicht“. Ganz überwiegend, vor allem in den letzten Tagen, war aber die Zustimmung. Wenn ich morgens um sieben oder abends zum Feierabend auf der Warschauer Brücke stand, war das wie ein Schwall der Begeisterung. Ich hab mir immer gedacht, das kann doch nicht wahr sein, irgendwo müssen doch auch die sein, die mich nicht wählen. Aber nein: Die sagten, wir haben dich schon gewählt, oder wir wählen dich, mach dir mal keine Sorgen.

Ist Ströbele noch eine Marke oder ist er schon Kult?

Das ist unterschiedlich. Zwei Abende vor der Wahl war ich im Böcklerpark bei einem Treffen der Antifa und der Antirassisten. Da waren über 1.000 ganz junge Leute. Ich war als einziger Abgeordneter der Grünen da und gab eine Nazi-CD zum Vernichten ab – da kriegte ich Beifall. Als ich dann aber rauskam, fielen mir ganz junge Leute um den Hals und ließen sich mit mir fotografieren. Bei denen ist das fast Kult.

Das gefällt Ihnen?

Das ist unterschiedlich. Immerhin habe ich beschlossen, keine Autogramme zu geben. Dann ist das Fotografieren fast die Ersatzhandlung.

Geht der Kult auch über die Parteiengrenzen hinweg?

Von den 43 Prozent, die ich an Erststimmen bekommen habe, sind fast 20 Prozent von Leuten, die mit der Zweitstimme nicht die Grünen gewählt haben. Die meisten von ihnen kommen von der SPD. Von der Linkspartei sind es eher weniger. Und dann gibt es auch Wähler von der CDU und FDP, die für mich stimmen.

In Kreuzberg haben Sie 53 Prozent bekommen, das sind bayerische Verhältnisse. Verliert man da nicht die Bodenhaftung?

Ich hoffe, nicht. Ich hoffe, dass ich die behalte. Ich komme gerade aus der Fraktionsvorstandssitzung. Da gab es Berichte aus den einzelnen Bundesländern, wo es hieß, wir haben uns stabilisiert, in Mecklenburg-Vorpommern bei 5 Prozent. Da denke ich immer, ich lebe in einer anderen Welt. Schließlich habe ich auch in den beiden Wahlbezirken in Friedrichshain 47 und 30 Prozent gewonnen. Ich glaub es kaum.

Ist ein Grund für die Popularität die Glaubwürdigkeit?

Das haben mir alle immer wieder gesagt. „Du machst das, was du sagst.“ Vielleicht ist aber ein bisschen Lokalstolz mit dabei. Dass die Leute sagen, da ist einer, der bringt uns, unser Milieu, unsern Kiez in den Bundestag und vertritt den da auch authentisch.

Könnten andere das auch?

Nein. Die Leute haben Ströbele mit den ganzen Widersprüchen in seinem Leben gewählt.

Hätte Joschka Fischer den Wahlkreis auch direkt gewonnen?

Das glaub ich nicht.

Renate Künast?

Das weiß ich nicht.

Gregor Gysi?

Das wäre spannend. Es hieß ja mal, Gregor Gysi würde für die Linkspartei in Friedrichshain-Kreuzberg kandidieren. Ich hätte das als eine echte Herausforderung gesehen.

Er hatte in Treptow-Köpenick weniger Stimmen als Sie. Stolz drauf?

Natürlich. Beim letzten Mal war es sehr knapp. Jetzt ist es eindeutig. Da hätte ich auch gegen Gysi gute Chancen gehabt.

Was machen Sie nun mit diesem Ergebnis im Rücken? Noch unabhängiger sein? Noch mehr Joschka quälen?

Das mit „Joschka quälen“ steht auf dem neuen Plakat gar nicht mehr drauf. Ich versuche vielmehr, diese Wählergruppe, die hinter mir steht, in die Diskussion zu bringen. Es gibt eine linke Mehrheit. Nehmen Sie mein Wahlergebnis: Das sind die grünen Wähler, die Wähler der SPD und die Wähler der Linkspartei.

Sie haben bei der grünen Wahlparty ins Mikro gerufen: Lieber Gerhard, ich helfe dir bei der Regierungsbildung.

Bisher hat er noch nicht angerufen.

Und Gregor Gysi?

Der auch noch nicht. Dabei glaube ich, dass das Nein der Linkspartei zu einer Koalition mit Rot-Grün ein großer Fehler ist.

Wie groß ist die Bereitschaft in der Fraktion, Ihrem Rat in Koalitionsfragen zu folgen?

Ich habe das am Dienstagmorgen in der Fraktionsvorstandssitzung angesprochen. Die Reaktionen waren verhalten.

Noch verhaltener als die zur Jamaika-Koalition?

Auch die würde keine Mehrheit von uns bekommen.

Wäre Berlins Regierender Bürgermeister ein wichtiger Bündnispartner für Sie, um die Diskussion um Rot-Rot-Grün voranzubringen?

Ich habe durchaus zur Kenntnis genommen, dass er sich da schon – zumindest als Zukunftsperspektive – in einer ähnlichen Richtung geäußert hat. Und er ist da sehr legitimiert dafür: Er führt hier in Berlin eine Koalition mit der PDS, und die scheinen ja pflegeleichter zu sein als die Grünen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen