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Berliner SzenenEnde, Rinderlende

Michael Brake
Kolumne
von Michael Brake

Wie ein Ufo war das 35-Euro-Steakrestaurant im Reuterkiez gelandet. Jetzt ist es weg und ich bin stolz auf Neukölln. Weil es Stil bewiesen hat.

Nach 15 Monaten war der Spuk vorbei Foto: privat

D ie Fenster sind von innen mit grauen Papierbahnen verhängt, nichts weist auf Urlaub oder Umbau hin. Es ist wirklich wahr: Das „Filetstück“ hat zugemacht.

Vor knapp zwei Jahren kam es über Nordneukölln wie ein fleischiger Reiter der Gentrikalypse: Im Eckhaus Sander-/Friedelstraße kündigten Schilder an, dass hier bald das „Filetstück Kreuzkölln“ aufmachen würde, die dritte Filiale des Steakrestaurants nach Prenzlauer Berg und Wilmersdorf.

Am nächsten Tag hatte jemand „Nur Opfer sagen“ über „Kreuzkölln“ geschrieben. Das wurde zwar weggewischt, der Name der Filiale war letztlich dennoch „Filetstück Pigalle“, in Erinnerung an den Puff, der in dem Haus vor vielen Jahren mal war. Seitdem konnte man hier also 35-Euro-Dry-aged-Steaks unter Kronleuchter­kopien essen. Jetzt nicht mehr.

Ich freue mich wie ein Kind und bin stolz auf meinen Kiez. Nicht, weil wir jetzt die Gentrifizierung besiegt hätten. Denn natürlich wohnen hier längst genug Leute mit Geld und Lust auf Gut-Essen-Gehen. Nordneukölln hat diverse gut laufende höherklassige Restaurants: Chicha, Eins44, Txokoa, Industry Standard, bis vor Kurzem noch das Nansen. Aber alle passen hierher, geben einem im besten Fall so ein „Wuuh, junger aufregender Stadtteil“-Feeling.

Das Filetstück war wie ein Ufo, vom ersten Tag an. Die Einrichtung, die Attitüde, die mit Empfehlungsaufklebern aus Restaurantbeilagen und Internetportalen zugekleisterten Fenster. Es gab einen teuren Mittagstisch, wo es keine teuren Arbeitsplätze gibt – und am Sonntag, wo viele Leute im Viertel abends essen gehen, war Ruhetag.

Und deswegen freue ich mich jetzt. Darüber, dass miese, uninspirierte Konzepte abkacken und nicht jeder Luxusshit aus dem Baukasten einfach in jede Gegend gesetzt werden kann. Neukölln hat Stil bewiesen. Danke.

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Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
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5 Kommentare

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  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Und das Eins44 ist kein Luxusshit?

    • 7G
      72677 (Profil gelöscht)
      @849 (Profil gelöscht):

      In Wilmersdorf hat der Laden übrigens schon lange vor dem in Neukölln wieder zugemacht. Ich glaub der Autor redet sich "seine" Gegend ein bisschen zu reflektiert und cool. Meine These ist, dass es am expliziten Stilbewusstsein des Neuköllns an sich lag, sondern dass man einfach mit so schickimicki Ami-Steak-Restaurants niemanden mehr hinterm Ofen hervor lockt. Egal ob jetzt Neuköllner Hipster oder Wilmersdorfer Witwen.

      • 7G
        72677 (Profil gelöscht)
        @72677 (Profil gelöscht):

        *"dass es nicht am expliziten Stilbewusstsein des Neuköllners an sich lag, ..." -

         

        meinte ich natürlich. Grummel, grummel...

    • Michael Brake , Autor des Artikels, wochentaz
      @849 (Profil gelöscht):

      Es ist anderer Luxusshit. Aber das steht ja eigentlich auch in der Kolumne drin, wie ich da unterscheide.

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @Michael Brake:

        Ja, das steht da drin. Würde mich dennoch interessieren, inwiefern denn das Eins44 mit seinen exorbitanten Preisen nach Neukölln passt? Es ist nach Ihrer Ansicht offenbar kein Ufo, aber warum nicht?

         

        Für mich scheint es "interstellarer Overdrive" zu sein, wenn das "billigste" Glas Wein (0,1!) in einem Restaurant 5 EUR kostet (nebenbei bemerkt ist die Auswahl an offenen Weinen mehr als dürftig; offenbar kommt auch kein Berliner Restaurant mehr ohne den obligatorischen Grünen Veltliner und sonstigen Weinschnickschnack aus - Pinot Blanc aus dem Elsass und Sauvignon Blanc aus Württemberg -, den man in Berlin anscheinend als hipp empfindet: für mich ist das bodenlos langweilig!).

         

        Was die Flaschenweine betrifft, frage ich mich, warum man da z.B. bei Kühling-Gillot oder Künstler nicht auch preiswertere Sachen im Programm hat (z.B. den fantastischen Quinterra von Kühling oder den Gutswein von Künster, bei zu ca. 10 EUR ab Weingut). Diese Preisgestaltung (und dann auch nur Flaschenbier zu saftigen Preisen) zeigt doch, dass man das Neuköllner Volk sicher nicht als Gäste haben will, sondern nur auf die Schickeria aus ist.

         

        In solche Läden gehe ich zumindest aus Prinzip nicht und das nicht, weil ich es mir nicht leisten könnte.