Razzien in Braunschweig und Hannover: Ultras wehren sich
Die Polizei durchsuchte 101 Wohnungen von Fußballfans in Hannover und Braunschweig. Dagegen wollen die Betroffenen juristisch vorgehen.
Die Durchsuchungen seien eine „reine PR-Show“ gewesen, sagt Rechtsanwalt Andreas Hüttl, der sieben Fans vertritt, die von den Hausdurchsuchungen in Hannover betroffen sind. Er hat bereits Beschwerde gegen die Razzia beim Amtsgericht eingelegt. Die Polizei wolle „möglichst große Handlungsbereitschaft gegen Fußballverbrecher zeigen“, vermutet Hüttl.
Die Bundespolizei ermittelt in diesem Fall, weil die Fangruppierung Rising Boys Hannover zu ihrem zehnjährigen Jubiläum ein Video ins Netz gestellt hat. Zu sehen ist darin, wie Männer mit fleckig-bunt eingefärbten Sturmhauben sehr viele Züge, Straßenbahnen und Wände mit ihrem Logo RBH besprühen.
Doch die Sprayer sind vermummt und nicht identifizierbar. Die Polizei hat die Hausdurchsuchung nun bei Männern durchgeführt, die während eines Fußballspiels in Nürnberg ein Transparent der Rising Boys Hannover gehalten haben. Dies sei ein Anfangsverdacht dafür, dass sie Teil der Gruppe RBH seien, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Thomas Klinge. Die Beamten hätten nun in den Wohnungen nach Skizzen und Farbe auf Kleidungsstücken gesucht.
Doch schon der Schluss, dass diejenigen, die das Transparent gehalten hätten, Mitglieder der Gruppe seien, sei nur eine Vermutung, sagt Anwalt Hüttl. Und dafür, ob die Männer im Stadion auch die Sprayer aus dem Video seien, gebe es keine Beweise. „Schon die Grundannahme ist falsch“, sagt Hüttl. Die Beschlusslage sei für die Anordnung einer Durchsuchung deshalb zu gering.
Zudem habe die Polizei auch während der Razzia die Rechte der Betroffenen missachtet. Bei einem seiner Mandanten sei auch das Zimmer eines unbeteiligten Mitbewohners durchsucht worden. „Das war ein erkennbar separates Zimmer, kein Gemeinschaftsraum“, sagt Hüttl.
Der Anwalt kritisiert zudem „die Einbindung der Medien“. So hätten Polizisten Gegenstände wie einen Pullover mit ACAB-(„All Cops Are Bastards“-)Logo für die Fotografen vor dem Haus aus dem Fenster gehalten. Eine Journalistin soll mit den Polizisten sogar in die Wohnung eines Beschuldigten gekommen sein. „Da ist unzweifelhaft, dass das ein Verstoß ist“, sagt Hüttl. Die Beamten müssten sicherstellen, dass niemand bei einer Durchsuchung bloßgestellt werde.
„Ich bin arg verwundert, wie eine Journalistin da so nah heran kommen konnte“, sagt auch Oberstaatsanwalt Klinge. „Die Rechte der Betroffenen müssen wir natürlich schützen.“
In Braunschweig ist die Situation anders: Bei dem Nordderby Hannover 96 gegen Eintracht Braunschweig im April stürmten rund 180 Eintracht-Fans einen Bereich der HDI-Arena. Als die Polizei versuchte, die Lage unter Kontrolle zu bekommen, schlug ein vermummter Braunschweig-Fan einem Polizisten mit einem schweren Brecheisen auf den Helm. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Totschlags.
Auf einem Video sei zu sehen, wie der Täter, den Kuhfuß in beiden Händen, „mit voller Wucht auf den Schädel“ schlage, sagt Klinge. „Er konnte sich nie sicher sein, dass der Polizist nicht dabei stirbt.“
Weil der Täter einer der rund 180 Fans sein müsse, habe die Polizei alle Anhänger ausgeschlossen, deren Kleidung oder Körpergröße nicht zu der Videoaufnahme passten. Die 92 von den Durchsuchungen Betroffenen seien als Täter infrage gekommen. Deshalb hätten die Beamten in ihren Wohnungen nach Beweisen wie Kleidungsstücken oder Datenträgern gesucht.
Die Blau-Gelbe-Hilfe, eine Braunschweiger Fanorganisation, geht hingegen davon aus, dass die Durchsuchungen „politisch motiviert“ gewesen seien. „Die wollten die Ultra-Szene ein bisschen aufmischen“, sagt ein Fanvertreter, der anonym bleiben möchte. Zudem habe die Polizei „Einblick in die Szene bekommen“ wollen. Die Staatsanwaltschaft bestreitet das.
Die Blau-Gelbe-Hilfe will die Durchsuchungen trotzdem „für unsere Mitglieder gerichtlich prüfen lassen“.
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