piwik no script img

Regionale LebensmittelEinkaufen bei Hofe

2016 kauften 14,6 Millionen Deutsche ihre Lebensmittel direkt beim Erzeuger. Viele Kunden schätzen die Nähe zum Landwirt.

Weidende Milchkühe, zufriedene Hühner: das Bio-Hof-Idyll boomt Foto: Andrea Schneider

Thedinghausen/Aachen taz | Es ist lichthell, angenehm kühl, und es duftet erdig. Holz dominiert die Auslagen. Am nördlichen Stadtrand von Aachen liegt Bonnies Hofladen „Frisch vom Erzeuger“ und lockt seit 1995 mit Gemüsen, Salaten, Obst, einer vollen Käse- und Fleisch­theke und Regalen mit Marmeladen, Wein, fertigen Sülzen, Erdbeersecco, Setzlingen, Blumen. Es gibt „faire Weidemilch“ und eine Tiefkühltruhe mit nostalgisch verpacktem „Bauerneis aus den Niederlanden“. Blickfang sind die dicken weißen Gänseeier.

„Noch ein Papier drum?“, fragt Marion Haarseim an der Kasse, „Erdbeeren leider erst morgen früh wieder.“ Freundlich ist die 61-Jährige und für ein Schwätzchen zu haben. Ihr halbes Leben habe sie hier eingekauft, erzählt sie, jetzt wechsle sie an zwei Nachmittagen die Woche die Seite, mit Leidenschaft. „Einkaufen soll Spaß machen. Hier haben wir Zeit. Und die Leute wissen, dass man auch mal einen Moment warten muss, wenn es voll ist.“

Auch die Kunden suchen das Gespräch, manchmal mit Rezepten und Verzehrtipps: „Ich würde die Mairübchen in Butter kurz andünsten“– „Ich mag sie lieber knackig roh …“ Eine Kundin meint: „Es ist ein bisschen heile Welt hier. Mehr mit Muße.“ Keine Massenware, keine Plastikverpackungen, keine Cent-Preise mit der albernen 9 hinten. Stattdessen kann sich – wer hier einkauft – mit der Region verbunden fühlen.

Marion Haarseim erzählt von alten Leuten, die nur wegen des Hühnereintopfs mit Eierstich im Einmachglas kommen. Eine andere Kundin sagt: „Ich mag die ruhige Art hier im Hofladen. Die Auswahl ist viel größer als auf dem Wochenmarkt. Und frischer geht’s ja nicht.“ Das stimmt, jedenfalls für die Ware, die tatsächlich vom Hof kommt. Jetzt im Frühsommer ist es nur ein Bruchteil. Immerhin ist die Herkunft der Lebensmittel genau angegeben, anders als auf Wochenmärkten.

Feinkost statt Fabrikware

Hof klingt so authentisch, so ursprünglich und gesund. Hof als Gegenteil von Fabrik. In Hofläden gibt es, ob bio oder konventionell: Hofeier, Hofbutter, Hofsahne, Hofmilch. Käse vom Hof hat sogar eine eigene Website: hofkaese.de. Dabei bedeutet das Präfix Hof so viel wie Bäcker in Bäckerbrötchen oder Metzger in Metzgerwurst, also nichts. Nichts über Qualität, Geschmack, Chemieeinsatz, Tierhaltung. Die Hof-Zuschreibungen wollen demonstrieren: Dieses Produkt ist von hier, Hausmacher-Feinkost statt Lebensmittelindustrie. Im Selfkant, dem westlichsten Zipfel des Landes bei Mönchengladbach, heißt die regionale Milch vom Bauern konsequenterweise Zipfelmilch.

Hofläden boomen. Etwa 40.000 bis 50.000 Bauernhöfe setzen ihre Produkte zum Teil ohne Zwischenhändler ab, auf Wochenmärkten und/oder auf dem Hof. Einige tausend dieser Direktvermarkter (NRW: 1.396 laut Landwirtschaftsministeriums) haben einen eigenen Laden. 2016 kauften 14,6 Millionen Deutsche Lebensmittel direkt beim Erzeuger; Tendenz weiter leicht steigend. Längst darf man von einer Hofladenkultur sprechen.

Sehnsucht nach Landwirten

In einer empirischen Analyse des Departments für Agrarökonomie an der Uni Göttingen hieß es schon 2006, es gebe ein „Bedürfnis nach mehr Nähe zum Ursprung der Lebensmittelerzeugung“. Landwirte als Person würden gern „als sympathisch, vertrauenswürdig, aber auch etwas altmodisch aufgefasst“. Schon „die physische Präsenz des Landwirts“ wirke „als Qualitätsversprechen“.

Der Bio-Hof von Johanna Böse-Hartje in Thedinghausen bei Bremen ist so ein Idyllversprechen: Großes Hofensemble, mächtige Eichen davor, darunter überdachte Biertische und -bänke, ein matschiger also naturbelassener Vorplatz. Dahinter die weiten offenen Ställe der Rinder, die für Backgroundsound sorgen und höfischen Duft. Mal läuft ein aufgeregtes Huhn diagonal über den Hof, dann fährt ein Trecker um die Ecke. „Kuhten Tag“ grüßt ein Schild.

Häufig geht es bei Ernährung um Selbstinszenierung und Zugehörigkeit

Psychologe Thomas Ellrott

Johanna Böse-Hartje, 63, die Eigentümerin des Bioland-Anwesens, führt herum. Die 600 Hühner, untergebracht in schicken Hühner-Mobilen, „sind unsere Antwort auf die Massentierhaltung“. Für 40 Cent „reißen sich die Leute um die Eier“. Im Laden: Kühlschrank, Gemüseauslagen, mittig die Theke für die eigenen Rinderprodukte. Alles bio. Neben dem Hofladen steht ein Edelstahltank, Aufschrift „Milch selber zapfen“, 80 Cent der Liter. Der „RegioMat“ daneben ist ein mechanischer Hofladen mit 24-Stunden-Service für Käse, Eier, Wurst, eigene Rouladen.

Einmal im Monat findet hier zusammen mit anderen Biobauern der Öko-Regio-Markt statt. Viele hundert Kunden kommen jedes Mal. Sonntags öffnet zudem das Hofcafé mit selbst gebackenen Kuchen. „Da hat man Muße, auch miteinander zu reden und nicht nur einzukaufen“, sagt die Hofchefin. Was die Leute an Orten wie ihrem so lieben außer der Bioqualität? „Man kann das schon Sehnsuchtsort nennen. Ein Stück heile Welt. Viele Stammkunden kennen sich wie eine Großfamilie.“ Und wahrscheinlich sei der Einkauf auch „Genugtuung fürs Gewissen“. Es gibt auch Hofläden, die sich selbst als „Sehnsuchtsort“ beschreiben – und dann kann man dort nur online bestellen. Hauptsache: Hofladen. Ein Sehnsuchtsbegriff. Landlust für den Magen.

Dr. med. Thomas Ellrott, Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie an der Uni Göttingen, sagt, Ernährung sei auch Distinktionsmerkmal. „Immer häufiger geht es um Selbstinszenierung und Zugehörigkeit. So kann ich mich selbst definieren, mich in einer bestimmten Haltung sehen und zeigen. Ich kann mich zugehörig fühlen, zugleich von anderen absetzen und damit Individualität generieren.“ Die richtige Nahrung stelle „sozialen Kitt da“.

Bei Johanna Böse-Hartje macht die Direktvermarktung immerhin 15 Prozent des Hof­um­satzes aus. „Irgendwo nur meine Sachen abzuliefern wäre mir zu wenig. So viel Resonanz und Kontakte, das ist unbezahlbar.“ Bei ihr gibt es auch gern eine kleine Dröhnung Weltanschauung obendrauf: „Aber zur Demo nächsten Monat nach Berlin, da kommt ihr doch mit?!“, solche Sachen sage sie oft, erklärt Böse-Hartje. „Ich mache allen bei jeder Gelegenheit klar, dass sie Mitverantwortung tragen.“ Die Kunden seien sehr unterschiedlich: „Wir beobachten hier auch zunehmend Leute, die genau gucken müssen, wie sie mit ihrem Geld klarkommen. Aber vernünftige Produkte sind es ihnen wert.“ Bei anderen sei „Biohof-Einkauf auch Statussymbol“: Sie höre oft nur, wie sie „mit ihren ganz schön lauten Geschossen“ vorgefahren kommen. SUVs meint sie.

Man kann das schon Sehnsuchtsort nennen. Ein Stück heile Welt

Johanna Böse-Hartje über ihren Hof

Verbände befeuern die segensreiche PR-Wirkung von Hofläden. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen schreibt: „Die Gemeinschaftswerbung Einkaufen auf dem Bauernhof ist darauf angelegt, ein markantes Profil zu vermitteln, mit dem sich Direktvermarkter von allen übrigen Einkaufsstätten eindeutig unterscheiden.“ Empfehlung für Kunden: „Entfliehen Sie damit der Globalisierung.“ Beim Lieferservice, sagt ein Berater des größten Ökolabels Bioland, solle man besser keine Dritten beauftragen. „Vielen ist wichtig, dass der Lieferant selbst Landwirt oder Gärtner ist. Das schätzen die Abonnenten und bringen dem Vertrauen entgegen.“

Im Netz buhlen Plattformen wie landservice.de, mein-bauernhof.de und dein-bauernladen.de um Kundschaft. Sie preisen erntefrische regionale Produkte, dazu kurze Lieferwege. Wobei: Geliefert wird ja gar nicht. Der Rest sind Worthülsen: „Hofläden bieten eine ganz andere Qualität an Fleisch- und Wursterzeugnissen. Gönne Dir den Luxus! Kaufe frisches Obst und Gemüse beim Erzeuger Deiner Wahl.“ In gleich zwei wissenschaftlichen Arbeiten findet sich wortgleich der Satz: „Bauernhofimage kann zu Preiserhöhungen genutzt werden.“

Erlebniswelt Hofladen

Neben der Direktvermarktung bieten Hofläden manchmal eine eigene Erlebniswelt: Eis- oder Hofcafé, Feldtage, Kräuterwanderungen und Strohballenkino, Schnittblumenfelder, Erlebnisbauernhof, Vinothek, einmal sogar eine „Bio-Schweinothek“. Bei Höfen wie dem von Böse-Hartje kommt noch Fortbildung dazu. Die Infonachmittage über Öko-Landbau „für Kinder und Jugendliche von der Kita bis zum Leistungskurs Biologie“ seien „sehr begehrt“, sagt Johanna Böse-Hartje, immer öfter würde ihr Anwesen auch für Geburtstage oder Konfirmationsfeiern gebucht.

Beliebt sind auch Selbst­erntegärten wie bei Bonnies in Aachen mit ein paar tausend Quadratmetern gegenüber dem Hofladen, zugeschnitten auf Stadtmenschen ohne eigenen Garten. Die 28-jährige Sportlehrerin Isabelle ist mit ihrem anderthalb Jahre alten Sohn Theo gerade hier. Im Hofladen kauft sie noch etwas Gemüse, „und die Erdbeeren essen wir jetzt beim Unkrautjäten.“ 45 Quadratmeter hat sie saisongepachtet, Kosten 190 Euro, vorgesäht mit Erbsen, Hokkaido, Mangold, Feldsalat, Kartoffeln. Im Winterhalbjahr gebe es wöchentlich die Biokiste vom Ökohof ein paar ­Kilometer weiter, im Sommer dominiert Selbstversorgung: „Das ist toll mit Kind, so sieht er, wo alles herkommt.“ Sie selbst stamme vom Dorf. „Das passt. Hier ist es ein bisschen wie früher.“ Dann jätet sie. Sohn Theo gießt derweil mit seiner Minigießkanne die Beete – tropfenweise.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Bei dieser romantischen Geschichte über gesunde, ökologische Produkte, vertrauter Tratsch und Traditionsatmosphäre fällt unter den Tisch, dass diese Waren nicht romantisch produziert wurden, sondern für die tierlichen "Ressourcen" Tod und Qual bedeuten. Respekt gegenüber Tieren geht anders...

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ich fahr öfter zu einem nahegelegenen Bioland-Hof mit dem Rad. Was es da an eigenen Produkten gibt, ist konkurrenzlos preiswert und sehr lecker. Fremde Produkte kaufe ich dort in der Regel nicht, außer Brot, das aus der Umgebung geliefert wird und in der Stadt seltener verkauft wird.

  • Da frage ich mich wo der Autor dieses Artikels lieber einkauft- bei Aldi, Lidl und Co? Wo man von gestresstem Personal bedient wird und sich den Korb mit in Plastik verpackten Spargel aus Peru, Tuetensuppe, Salami zu Tiefstpreisen und Gott weiss was fuer alberne Designerprodukte vollstopfen kann?

    Es ist schon merkwuerdig, dass ausgerechnet in der taz ein Artikel erscheint in dem Konsumenten die sich gesund ernaehren wollen und bein Einkauf auch Verantwortung uebernehmen moechten als blauaeugige Deppen dargestellt werden die, durch Gefuehlsgedusel geleitet, in die naechste kommerzielle Falle tappen.

  • Also 14,6 Millionen kaufen beim Bauern direkt ein. Das würde bedeuten jeder 5. bis 6. Bundesbürger. Für meine Stadt würde das bedeuten zwischen 30 bis 40000 kaufen beim Bauer direkt ein. Für Berlin bei 3,6 Millionen Einwohnern währen das über 600000 Personen. Ich frage mich, wo gehen die alle hin? Vor allem wenn man davon ausgeht, dass die Käufer meistens nicht nur für sich einkaufen.

    Kann es sein, dass es um 14,6 Millionen Einkäufe handelt ?