: Atomsteuer geht baden
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT Die Steuer auf AKW-Brennstäbe durfte 2010 nicht eingeführt werden. Das entsprechende Gesetz ist nichtig. Der Staat muss den Energiefirmen Milliarden Euro zurückzahlen
von Christian Rath
Nun muss der Staat den Energiekonzernen wohl rund 6,3 Milliarden Euro zurückerstatten.
Die Steuer, die die AKW-Betreiber zahlen mussten, fiel bei jedem Brennstabwechsel an. Pro Gramm Kernbrennstoff – sei es Uran oder Plutonium – wurden 145 Euro fällig. Das Aufkommen von im Schnitt 1 Milliarde Euro pro Jahr floss in den Bundeshaushalt.
Die Brennelementesteuer war 2010 von der damaligen schwarz-gelben Koalition eingeführt worden. Begründet wurde sie mit den Kosten für die Sanierung des Atommüll-Endlagers Asse. Zunächst diskutierte man auch, die Zusatzgewinne der damals gleichzeitig beschlossenen AKW-Laufzeitverlängerung abzuschöpfen. Eine rechtliche Verknüpfung gab es hierbei aber nicht. Deshalb blieb die Steuer bestehen, als die Bundespolitik nach dem Atomunfall von Fukushima 2011 doch wieder einen beschleunigten Atomausstieg beschloss.
Die AKW-Betreiber haben die Steuer von Beginn an juristisch bekämpft. Erste Erfolge hatten sie beim Finanzgericht Hamburg, das den Fall 2013 sowohl dem Bundesverfassungsgericht als auch dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vorlegte.
In der Sache entschied 2015 zunächst der EuGH. Die deutsche Steuer verstoße nicht gegen die EU-Richtlinie zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und die dort vorgesehenen Steuerbefreiungen. Diese Richtlinie gelte nämlich nicht für Kernbrennstoffe und sei auch nicht analog anwendbar (wie die Hamburger Richter gemeint hatten).
Beim Bundesverfassungsgericht waren die AKW-Betreiber nun aber rundweg erfolgreich. Hier ging es um die Frage, ob der Bund überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz für diese Steuer hatte. Der Bundestag hatte sich auf seine Kompetenz berufen, neue Verbrauchsteuern einzuführen (Artikel 106 Grundgesetz). Verbrauchsteuern sind zum Beispiel die Tabaksteuer oder die Mineralölsteuer.
Die Verfassungsrichter kamen in einer „Gesamtwertung“ jedoch zu dem Schluss, dass die Brennelementesteuer keine Verbrauchsteuer ist. Sie besteuere kein „Gut des ständigen privaten Bedarfs“, sondern Produktionsmittel. Außerdem sei der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen, dass die Steuerlast auf die Stromkunden abgewälzt werden kann. Zwar könne der Begriff der Verbrauchsteuer weit ausgelegt werden, so die Richter, hier lägen aber zu viele „typusfremde“ Merkmale vor.
Zwei Richter, Peter Huber und Peter Müller (beide ehemalige CDU-Politiker), hielten eine Brennelementesteuer dennoch für möglich, da sie dem Bund ein unbegrenztes Steuererfindungsrecht zubilligen. Sie beziehen sich dabei auf Artikel 105, wo ganz unbestimmt von den „übrigen Steuern“ die Rede ist.
„Abgeschlossenes System“
Eingeführt wurde die Steuer, die offiziell „Kernbrennstoffsteuer“ heißt, im Jahr 2010 von der schwarz-gelben Koalition. Dies geschah gleichzeitig mit der damals beschlossenen Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke; eine offizielle Verbindung gab es aber nicht. Begründet wurde die Steuer vielmehr mit den hohen Sanierungskosten der Atommülllager Asse und Morsleben sowie mit Zusatzgewinnen, die die Betreiber machten, weil für den Strom aus AKWs im Gegensatz zu Kohlekraftwerken keine CO2-Zertifikate nötig waren.
Bezahlt haben die Betreiber zwischen 2011 und 2016 insgesamt knapp 6,3 Milliarden Euro. Davon entfielen 2,9 Milliarden auf Eon, 1,7 Milliarden auf RWE und 1,4 Milliarden auf EnBW. Vattenfall betreibt seit der Abschaltung der älteren Reaktoren nach der Fukushima-Katastrophe in Deutschland keine AKWs mehr. Steuerpflichtig war jeweils das Einsetzen neuer Brennelemente.
Ausgelaufen ist die Steuer zum Jahresende 2016. Einen sachlichen Grund dafür gab es nicht. Die SPD hatte sich für eine Verlängerung ausgesprochen, konnte sich aber gegen die Union nicht durchsetzen. Auch die Grünen hatten eine Verlängerung der Brennelementesteuer gefordert. Nach dem Urteil übten beide Parteien scharfe Kritik an Union und FDP für Fehler bei der Einführung der Steuer. (mkr)
Dem wollte die Mehrheit des Zweiten Senats aber nicht folgen. Der Bund könne nur die in Artikel 106 erwähnten Steuern erheben und nur innerhalb dieser Typen neue Steuern erfinden. Dies schütze nicht nur das Bund-Länder-Verhältnis, sondern auch Bürger und Unternehmen vor unerwarteten neuen Steuerarten. Es handele sich um ein „abgeschlossenes“ System. Insofern ist die Entscheidung für das Steuerrecht insgesamt von grundsätzlicher Bedeutung.
Doch selbst wenn der Senat der Auffassung von Huber und Müller gefolgt wäre, hätten die AKW-Betreiber den Prozess gewonnen. Denn als Ausgleich für das Steuererfindungsrecht des Bundes konstruierten die beiden Richter eine Zustimmungspflicht des Bundesrats. Und da die Länderkammer damals der Brennstoffsteuer nicht zugestimmt hatte, erklärten auch Huber/Müller das Gesetz für verfassungswidrig. Im Ergebnis erging der Beschluss also einstimmig. Oft erklärt das Verfassungsgericht ein beanstandetes Steuergesetz nur mit Wirkung für die Zukunft für verfassungswidrig, um den Staatshaushalt nicht durcheinanderzubringen. Jetzt machten die Richter aber eine Ausnahme. Das Gesetz über die Brennelementesteuer erklärten sie für „nichtig“, sodass es nie Wirkung entfalten konnte. Grund: Das Gesetz sei von Beginn an umstritten gewesen. Der Staat muss daher die gesamten Einnahmen zurückzahlen.
Die Kernbrennelementesteuer ist Ende 2016 ausgelaufen. Eine erneute Einführung wäre künftig nur nach einer Grundgesetzänderung möglich.(Az.: 2 BvL 6/13)
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