Größenwahn Sie wollten hoch hinaus – und scheiterten. Die Geschichte eines Bauskandals aus der Provinz: Der Turmbau zu Fellbach
Aus Fellbach Valerie Höhne
Der unverputzte Turm ist ein Bollwerk, 107 Meter hoch. Aus der Ferne überragt er alles. Er wird breiter, je höher er wird. Die meisten Stockwerke haben bereits Fenster. Ganz oben ist das Penthouse, drei Etagen hat es, 460 Quadratmeter groß.
Für Mark Warbanoff war der Bau des Turms das größte Projekt seines Lebens. Nun ist es gescheitert. Warbanoff sitzt im Konferenzraum seiner Firma, einem simplen Flachbau. An der Wand hängt ein Plakat des Turms, im Vorzimmer steht das Modell. Warbanoff fragt sich, wie das passieren konnte. Wie das Großprojekt zu einem Albtraum wurde. Ein Lebenswerk sei der Turm gewesen, sagt er. „Wissen Sie, wie weh das tut?“
Der Rohbau steht in Fellbach, einer Kleinstadt bei Stuttgart. 40.000 Einwohner und Einwohnerinnen, Sami Khedira ist hier aufgewachsen, das Stadion haben sie nach ihm benannt. Der Stadtkern ist ein architektonisches Debakel: Die Mitte des Ortes nimmt ein quadratisches Ungetüm aus Beton ein. Das Gebäude nennt sich „Fellbacher Wohncity“, darin ist die Stadtbibliothek, ein Schmuckladen, eine Apotheke, eine Eisdiele. In der Mitte des Quadrats ist ein Innenhof, meist ungenutzt.
Das Rathaus nebenan hat mal einen Architekturpreis gewonnen, nicht klar, warum. Die Stadt liegt am Rande eines Weinbergs, an den Wochenenden gehen die Leute von Fellbach dort spazieren. Von oben sieht die Stadt schön aus. An den Hängen haben sie ihre Schrebergärten.
Früher: Bauruine
Vor acht Jahren stand dort, wo heute der unfertige Turm steht, eine andere, eine dreistöckige Bauruine, die Wände voller Graffiti. Ein Hotel sollte es werden, der Bauträger ging pleite. Das war 1995. Im Sommer trafen sich Jugendliche in der Ruine, tranken Alcopops, bemalten die Wände, hörten Musik, skateten.
Mark Warbanoff und sein Vater, Geschäftsführer der GeWa-GmbH, haben den Turm geplant. Eigentlich, sagt Mark Warbanoff, hätten sie gar kein Wohnhaus bauen wollen. Es gab verschiedene Pläne, Warbanoff hätte auch gern ein Einkaufszentrum gemacht. Er ist ein kompakter Mann, breitschultrig, buschige Augenbrauen. Die Stadt sei es gewesen, die ein Wohnhaus wollte, die einen großen Turm habe bauen wollen.
Fellbach hatte 16 Jahre lang, von 2000 bis 2016, den gleichen Oberbürgermeister: Christoph Palm, CDU, ein Mann vom Typ „auf Du und Du“. Am ersten Mai wird in Fellbach jedes Jahr „Hopf“ gefeiert, in den Kneipen der Stadt spielen Bands und ein Bus fährt zwischen den Bars hin und her, bis 2015 gab es ab drei Uhr morgens Frühstück. Dann stand Bürgermeister Palm in der „Alten Kelter“ und machte Rührei für alle.
Mark Warbanoffs Vater, so erzählt es der Sohn, hatte im Jahr 2006 jenen Bürgermeister Palm kennengelernt. Gemeinsam hätten sie beschlossen, die Bauruine abzureißen, etwas Neues zu entwickeln. Die GeWa-GmbH sah ihre Chance für etwas Einmaliges, Pläne wurden entwickelt und vorgestellt.
Für die Stadt sei die alte Ruine ein „Schandfleck“ gewesen, sagt Hans-Peter Krause, 60. Den habe man loswerden wollen. Der neue Turm, die neue Ruine ist für Krause eine Nemesis – ausgleichende Gerechtigkeit. Eigentlich ist Krause Kriminalpolizist, er beschäftigt sich mit Insolvenzverfahren und Korruption. 2007 hat er die Bürgerinitiative „Fellbach ist nicht Manhattan“ gegen den Bau des Turms mitgegründet. Da waren die Pläne für das Luxusprojekt zum ersten Mal vorgestellt worden. Vor der Finanzkrise, vor der Eurokrise. Trotzdem war Krause schon damals gegen den Turm. „Er passt nicht zu Fellbach“, sagt er in weichem Schwäbisch. Wenn er lacht, wackelt sein Schnurrbart.
Krause steht auf dem Parkplatz einer stillgelegten Tankstelle gegenüber dem Turm. Er hat einen Stapel Akten in der Hand, will nichts vergessen. Nachdem sie die Bürgerinitiative gegründet haben, wollten sie einen Bürgerentscheid erstreiten, vor Gericht. 2.500 Stimmen braucht man, um eine Petition im Fellbacher Stadtrat einzureichen, 3.800 hätten sie in den ersten zwei Wochen gesammelt. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies die Klage der Initiative „Fellbach ist nicht Manhattan“ im Jahr 2008 dann aber ab.
Fellbach ist eine Stadt der Einfamilienhäuser, der Gärtchen und Hauskatzen. Mark Warbanoff glaubt trotzdem noch immer an den Standort Fellbach. Eigentlich gehe es ihm gar nicht um die Stadt, vielmehr um die Umgebung. Stuttgart wächst und Stuttgart kann nicht weiterwachsen, der Kessel bildet eine natürliche Grenze. Deswegen ziehen die Menschen raus, nach Beutelsbach, Winterbach, Strümpfelbach. In Fellbach mache ein solcher Turm Sinn, sagt Warbanoff, hier habe man beides: das Remstal zur Erholung, Stuttgart zum Geldverdienen. Wegen der Finanzkrise hätte es nicht geklappt mit dem Turm. Danach wollte keine Bank einen Kredit für ein so großes Projekt gewähren. So zumindest erzählt es Mark Warbanoff.
Hans-Peter Krause ist 2009 in die SPD eingetreten, nun sitzt er im Stadtrat. Er ist wegen des Turms eingetreten. Krause hat 1999 eine Eigentumswohnung gekauft, als Anlage, als Versicherung. Die Wohnung liegt nun im Schatten des Turms. Krause hat Angst, dass sich dadurch ihr Wert mindert. Er steigt in sein Auto und fährt durch die kleine Stadt, vorbei an einer Videothek, einem Gebrauchtwagenhändler, einem Friedhof. Die Felder sind hügelig, die Weinstöcke in zartem Grün. Fellbach, Stadt der Weine und Kongresse, steht auf einem Schild am Ortseingang. Auf den Feldwegen laufen Fußgänger, am Wegrand blühen Apfelbäume, unter einer Brücke rauscht die B14, die Zugangsstraße zu Stuttgart. Von hier aus wirkt der Turm monströs; er hat einen direkten Zubringer zur Schnellstraße. Die Leute, die da wohnen, müssten noch nicht mal nach Fellbach rein, sagt Krause. Das „Städtle“ hätte nichts von ihnen, ihrer Kaufkraft, ihrem Reichtum, meint Krause.
Der Stadtrat hat im Jahr 2014 die Baugenehmigung für den Turm erteilt. Glaubt man der Opposition und den Gerüchten, wollte vor allem Christoph Palm die Genehmigung durchdrücken. Sich selbst ein Wahrzeichen bauen. So würde er nie vergessen werden, der Oberbürgermeister Palm. Aber nicht nur seine CDU, auch die Freien Wähler stimmten zu. Nur SPD und Grüne waren dagegen. Der Bau war an eine Bedingung gekoppelt: eine sichere Finanzierung des Projekts. Die Warbanoffs fanden keine.
Stattdessen sollten Unternehmensanleihen das Projekt gegenfinanzieren. Ob Warbanoff wusste, dass die Finanzierung riskant war? „Ja, klar“, aber niemand habe ihnen einen Kredit geben wollen. „Ich bin Bankkaufmann. Hohe Zinsen bedeuten hohes Risiko“, sagt er. 6,5 Prozent betrugen sie für die Investition. Drei Wochen seien die Warbanoffs durch Deutschland, Österreich, die Schweiz gereist und hätten für ihr Projekt geworben.
Heute: Bauruine
Trotz der windigen Finanzierung ließ die Stadt den Bau beginnen. Im Mai 2014 wurde der Grundstein gelegt. Eigentlich sei alles gut gelaufen, sagt Warbanoff, sie hätten Käufer gefunden, für die ersten 44 Wohnungen. Insgesamt sind es aber 66. Die Wohnungen in den oberen Stockwerken kosten mehrere Millionen Euro. Doch niemand wollte die letzten 20 Wohnungen kaufen. Die Finanzierung scheiterte, Warbanoffs mussten aufgeben.
Ein Plakat mit der Vision des fertigen Baus hängt noch immer im Eingang des Turms. Eine Ecke hat sich von der Wand gelöst. Ganz oben gibt es kein Gerüst, der Rohbau liegt frei. Wer von oben über die Absperrung aus Holzbrettern schaut, sieht die enge Straße, die Autos drängen sich dicht aneinander, sieht die grün-grauen Lüftungstürme des Fellbach-Tunnels, zwischen denen seit einiger Zeit eine Europa-Fahne weht. Auch die schnurgerade Straße nach Stuttgart, vorbei an einigen Feldern, einer Rosenzüchterei, einem Plakat für den „Schrauben Würth“. Auf der anderen Seite des Tals ist der Fernsehturm von Stuttgart, links ist die Grabkapelle, in der Katharina von Württemberg, einst Großfürstin von Russland, begraben liegt, zu erkennen. Die Häuser sehen aus wie Lego, fein aneinandergereiht.
Bei der Oberbürgermeisterwahl im September 2016 hat die CDU fast keine Plakate aufgehängt und trotzdem gewonnen. Sie lag 26 Prozentpunkte vor der SPD.
Christoph Palm ist nicht mehr zur Wahl angetreten. Er hat die Verantwortung für den Gewa-Tower seiner Nachfolgerin Gabriele Zull überlassen. Beide möchten nicht mit der taz sprechen.
Im September 2016 wurde noch Richtfest gefeiert, erzählt Warbanoff. Ende Oktober musste er Insolvenz anmelden, nun ist er in ständigem Kontakt mit dem Insolvenzverwalter, einem Anwalt im schicken Anzug, der sich eloquent ausdrückt, Ilkin Bananyarli. Es gebe Investoren, die weiterbauen wollen, gab er inzwischen bekannt. Mit Schuldenschnitt würde der Turm für sie zum Schnäppchen.
Mark Warbanoff aber sitzt hier, machen kann er nicht mehr viel, 250 Millionen Euro habe die Firma Warbanoff insgesamt umgesetzt. In den Sand gesetzt? Er werde sich aus seinen anderen Projekten zurückziehen müssen, sagt er. „Am Ende werden wir nur nach diesem einen Projekt beurteilt“, seine Stimme stockt, wenn er spricht. Manchmal. Ein Lebenswerk sei der Turm gewesen, ein Traum.
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