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Bundeswehrkasernen mit Nazi-NamenZu lange unumstritten

Einige Kasernen heißen nach NS-Helden und Wehrmachtsoffizieren. Von der Leyen muss entscheiden, ob sie die Umbenennung erzwingt.

Auf der Suche nach neuen Kasernen-Namen: Ursula von der Leyen Foto: imago/Christian Thiel

Berlin taz | Geschichtsunterricht in der Kaserne von Rotenburg an der Wümme: Der Standortälteste, der Kommandant und die Vertrauensleute der Soldaten sitzen zusammen und lauschen einem Referat. Ein Oberstleutnant der Reserve erzählt aus dem Leben von Helmut Lent, einem Elitepiloten der Wehrmacht und Träger des Ritterkreuzes, der im Zweiten Weltkrieg 110 feindliche Flugzeuge abschoss – bis er im Herbst 1944 bei einem Flug nach Paderborn eine Stromleitung streifte, abstürzte und starb.

Diese Geschichtsstunde fand am letzten Freitag im April statt. Anschließend stimmten die Vertrauensleute über den Wehrmachtspiloten ab – und kamen zu einer eindeutigen Entscheidung: Die Soldaten halten am Namensgeber ihres Militärstützpunktes fest. Das Areal in der Kleinstadt bei Bremen soll auch in Zukunft Lent-Kaserne heißen.

Für Ursula von der Leyen ist dieses Votum ein Problem. Denn nach dem Skandal um den terrorverdächtigen Oberleutnant Franco A. will die Verteidigungsministerium möglichst Bezüge auf die Wehrmacht aus der Bundeswehr tilgen – auch bei der Namensgebung.

Laut einer Liste des Ministeriums sind heute noch 26 Bundeswehrkasernen nach Wehrmachtsangehörigen benannt. Bei der Hälfte davon waren die Namensgeber im Widerstand, diese Fälle stehen nicht zur Debatte. Die andere Hälfte bezieht sich auf spätere Bundeswehrgeneräle und Verteidigungsminister – aber auch auf Helden der NS-Propaganda: Dazu gehören Hans-Joachim Marseille (Jagdflieger im Afrikafeldzug), Diedrich Lilienthal (Geschützführer an der Ostfront) oder eben Helmut Lent. An solche Namen möchte von der Leyen jetzt ran.

Lange Zeit war der Name unumstritten

„Wir verbannen zu Recht Wehrmachtshelme aus der Stube, doch am Tor der Kaserne stehen nach wie vor Namen wie Hans-Joachim Marseille oder Helmut Lent“, sagte sie in der vergangenen Woche während einer Feier des Reservistenverbands. „Beide Namensgeber sind nicht mehr sinnstiftend für die heutige Bundeswehr.“

Allerdings verrät von der Leyen nicht, wie sie ihr Vorhaben umsetzen möchte. Bislang, so das Verteidigungsministerium, habe man Umbenennungen nie von oben angeordnet. Stattdessen habe das Ministerium die Betroffenen vor Ort mit einbezogen. Lokalpolitiker durften beraten, Bürgerinitiativen mitreden, die Soldaten ihr Votum abgeben. „Da gibt es immer wieder örtliche Prozesse, die dann zu Umbenennungen führen oder in einigen Fällen auch nicht“, sagt ein Sprecher der Ministerin. Diese Fälle wolle man „noch einmal anstoßen“.

Was aber, wenn es die Soldaten dann noch immer für richtig halten, an Vorbildern aus der Wehrmacht festzuhalten – wie jetzt in Rotenburg?

1964 wurde die Kaserne nach Helmut Lent benannt. Initiator der Namensgebung war ein ehemaliger Vorgesetzter des Piloten, der wie viele andere Wehrmachtsgeneräle nach dem Krieg auch in der Bundeswehr Karrie­re machte. Lange Zeit war der Name relativ unumstritten. Seit einigen Jahren läuft in der Region aber eine Debatte, im Herbst 2016 beschäftigte sich sogar der örtliche Gemeinderat mit der Frage.

Es gebe keine Beweise

Grundlage der Diskussion des vergangenen Jahres war ein Gutachten des bundeswehr­eigenen Zentrums für Militärgeschichte. Darin heißt es, bei Lent gebe es zwar „einige Hinweise auf eine innere Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus“. So habe in seiner Todesanzeige die Floskel „Gefallen für Führer, Volk und Vaterland“ gefehlt, womöglich auf seine eigene Anweisung hin. Andererseits habe sich Lent „weitgehend angepasst und systemkonform“ verhalten. Es sei nicht bekannt, „dass er sich seiner Instrumentalisierung durch die NS-Propaganda“ widersetzt hätte. Für die Mehrheit der Stadträte reichte diese Einschätzung aber nicht aus, um für eine Namensänderung zu votieren.

„Die Stadt Rotenburg bittet die militärischen Dienststellen am Standort Rotenburg darum, es beim Namen ‚Lent-Kaserne‘ zu belassen“, heißt es in ihrem Beschluss. Es gebe schließlich keine Beweise dafür, dass der Pilot ein Nationalsozialist gewesen sei. Diesem Beschluss folgten die Soldaten der Kaserne nun mit ihrer eigenen Abstimmung.

Und was macht von der Leyen jetzt? Noch vor einem Jahr hatte die Ministerin in der Sache an den örtlichen SPD-Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil geschrieben: Die Diskussion vor Ort führen zu lassenentspreche dem „Prinzip der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform“. Sie sehe keinen Anlass, in den Prozess einzugreifen.

Als von der Leyen am vergangenen Mittwoch im Verteidigungsausschuss des Bundestags auftrat, fragten die Abgeordneten hinter verschlossener Tür, was nun Sache ist: Bleibt sie bei der Haltung aus ihrem Brief – womit die Kasernen ihre Wehrmachtsnamen fürs Erste behalten würden? Oder ordnet sie die Umbenennungen einfach an – womit sie vom traditionellen Verfahren abrücken würde?

Eine klare Antwort erhielten offenbar auch die Abgeordneten nicht. Zumindest sagte hinterher die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger: Fragen nach dem Verfahren habe die Ministerin „einfach weggelächelt“.

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10 Kommentare

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  • "Nach heutigem Verständnis ist auch der einfache Soldat nicht völlig vom Nachdenken entbunden."

     

    Das Problem ist, das man mit diesem heutigen Verständnis kaum einen Krieg führen - geschweige denn gewinnen könnte. Der Kampfwert der bw tendiert gegen null. Das zeigt sich in Afghanistan und in Syrien.

     

    die bw soll irgendwie bei den anderen westlichen Militärs mitmachen, scheut aber jedes eigene Risiko, da Staatsbegräbnisse für gefallene deutsche Helden bei den Wählern in der Heimat nicht so gut ankommen.

     

    Krieg heißt eigene Soldaten bewusst in den Tod schicken. Das geht in d einfach nicht mehr. "Soldatische Tugenden" wie Disziplin, Tapferkeit, Gehorsam sind nicht mehr gefragt. Ob das gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Also passen die Namen von Soldaten der Wehrmacht nicht mehr zu heutigen Kasernen - andere Zeiten - andere Werte.

     

    Um weiteren Problemen aus dem Weg zu gehen, könnte man die Kasernen durchnummerieren.

  • ... und wenn eine Mehrheit (hochdotierter) Berufssoldaten einer Kaserne abstimmt, dass sie eine braune "Reichswehr"-Schulung erhalten wollen (z. B. an einer Bundeswehr-Hochschule) - nach den jüngeren Ereignissen ist das nicht abwegig, sondern realistisch - was macht dann die Ministerin?

     

    Ursula redet unwahr: "Bislang, so das Verteidigungsministerium, habe man Umbenennungen nie von oben angeordnet."

     

    Wie glaubt sie denn, sind die zahlreichen braunen Kriegsverbrecher-Namen, nach denen Kasernen bis in die 1970er und 1980er Jahre benannt waren, abgeschafft worden?

     

    - Zum Teil wurden diese Kasernen auch geschlossen, weil überflüssig. Das wäre dann tatsächlich ein guter Grund, keine Umbenenungen anzuordnen.

  • Schwieriges Thema. Wer sind die richtigen Namensgeber?

    Widerständler die zum Teil Hitler loswerden wollten um eine Militärdiktatur aufzubauen die lediglich einen Separatfrieden mit den Westalliierten wollten?

    Altnazis die dann in der BRD Karriere machten?

    Vielleicht sollte man Kasernen gar nicht mehr nach Soldaten benennen.

    Nicht nach Staufenberg, nicht nach Rommel, nicht nach Helmut Schmidt.

    Wie wäre es mal mit einer Willy Brandt oder Rudi Dutschke Kaserne?

  • bin nur ich das, oder wer versteht die welt nicht mehr? soll die frage, ob er ein nationalsozialist war oder nicht, ernst gemeint sein? war er ein einfacher berufssoldat, der ja nur seine pflicht tat, und sein vaterland verteidigte? ode rwar ihm klar, wer an der regierung dieses landes stand, was er fuer ziele hatte, und wer denn den krieg ueberhaupt angezettelt hatte? wer war denn der aggressor? haben die leute aus rotenburg einen schatten?

    • @the real günni:

      Schonn -

       

      Wenn ich "Panikherz"

      v.v. Stuckrad-Barre nehme!

      Paßt ja prächtig zu v.d.Lie-ing - wa!

    • @the real günni:

      Das habe ich mich auch gefragt. Das ist eine ziemlich kranke Argumentation. Der Typ hat für das abartigste Regime des Jahrtausends geballert. Jeder, der das toll findet, hat besagten Schatten. Aber es zeigt tatsächlich, wie unglaublich krank das Welt- und Werteverständnis von Menschen sein muss, die allen Ernstes ausblenden, wer wie warum und mit welchen Mitteln diesen wahnsinnigen Krieg vom Zaun gebrochen und nebenbei noch 6 Millionen zusätzliche Morde begangen hat. Helmut Lent hat den Völkermord schlicht aktiv verteidigt. Kein Soldat, der nicht aktiv gegen den NS vorgegangen ist, kann derart geehrt werden. Bizarr. Die Geisteshaltung, die wir hier bestaunen dürfen, ist übrigens nicht mehr NS-angereichert, also kein "Überrest" aus schlimmen Zeiten, sondern - unheimlicher als den meisten klar ist - eine ganz und gar heutige. Es ist diesen Menschen ein Wert an sich, möglichst viele "Feinde" getötet zu haben. Das ist der geistige Boden, auf dem der "Bürger in Uniform" sich ohne jegliches kritisches Bewusstsein entwickelt.

    • @the real günni:

      Nach heutigem Verständnis ist auch der einfache Soldat nicht völlig vom Nachdenken entbunden. Gerade deshalb taugt der Wehrmachtsgehorsam eben nicht als Vorbild für die BW. Herr Lent hat die Ziele angegriffen, die ihm von der verbrecherischen Führung in Berlin vorgegeben wurden, ohne das allzusehr zu hinterfragen. Den Orden hat er ja offenbar akzeptiert.

       

      Wenn der Bürgermeister von Klein-Kleckersdorf nicht in der Lage ist, das Problem mit Nazinamen zu erkennen, muß das eben der Bund tun. Fertig, aus.

       

      Benennt das Ding nach Bundeswehrsoldaten, Ministern, Landschaftsnamen oder was auch immer. So schwer kann das wohl nicht sein.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @kditd:

        "So schwer kann das wohl nicht sein."

        Richtig.

        Warum nicht einfach und nur nach dem Standort?

      • @kditd:

        Jau. Frau v.d. Lie-ing hätt's doch gern - Was mit familiär:

         

        Chez Uschi - Bei Helmut -

        Bei v. Thomas&Theodor - &

        Blanker Hans - käm doch auch gut!

        Aber. Leber-Schorsch-Kaserne -

        Wär mein Favorit!

      • 8G
        81331 (Profil gelöscht)
        @kditd:

        Stimmt, es gibt z.B. auch eine 'Bayerwald-Kaserne'. Der Name tut keinem weh und (fast) jeder weiß sofort, wo die Kaserne steht.