: Europas Hoffnung – Merkels Widerpart
Europäische Union Der neue französische Präsident will die Eurozone demokratisieren und neue Ideen für eine Reform der EU entwickeln. Doch der Jubel aus Berlin täuscht: Der Kanzlerin und ihrem Finanzminister sind der Wettbewerb wichtiger als Solidarität
Aus Brüssel Eric Bonse
Musikalisch gesehen, ist Emmanuel Macron schon jetzt ein großer Europäer. Zu Beginn seiner Siegesfeier am Pariser Louvre ließ er die Europahymne spielen. Das hat vor ihm noch kein Präsident gewagt. „Die Ode an die Freude“ kommt vor der Marseillaise – was für ein starkes Symbol!
Entsprechend begeistert fielen die Reaktionen in Brüssel aus. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk konnten Macron gar nicht schnell genug gratulieren. Junckers Kabinettschef Martin Selmayr feierte gar einen 3:0-Sieg über die EU-Gegner.
Nach dem „Anstoß“ in Österreich und dem „Viertelfinale“ in den Niederlanden sei nun auch das „Halbfinale“ in Frankreich mit einem Sieg für die EU ausgegangen, meldete Selmayr. Doch was soll dann wohl das Finale sein? Ein Sieg von Angela Merkel in Deutschland?
In der Tat sehen viele in Brüssel den Ball nun in der deutschen Hälfte. Macron habe geliefert, nun sei Merkel an der Reihe. Zwar muss der französische Präsident noch die Parlamentswahl im Juni gewinnen. Doch danach, so die Hoffnung, öffne sich ein Boulevard für ein besseres Europa.
Mit ähnlichen Erwartungen war allerdings auch schon der Sieg von Macrons politischem Ziehvater François Hollande vor fünf Jahren verbunden. Es folgte eine bittere Enttäuschung. Auch Matteo Renzi, Italiens Expremier, galt als Hoffnungsträger. Auch er ist gescheitert. Wird Macron zu einem zweiten Renzi, oder kann er es besser machen?
Fest steht, dass Macron einige Vorschläge für den Neustart einer demokratischeren Europäischen Union mitbringt. Als Erstes möchte er in allen EU-Ländern – also auch in Deutschland – demokratische Versammlungen („Konventionen“) abhalten, die Ideen zur Reform der EU entwickeln sollen. Der Startschuss soll gleich nach der Bundestagswahl Ende des Jahres fallen.
Danach möchte er die Eurozone umbauen. Sie soll einen eigenen Finanzminister und ein eigenes Budget bekommen und sich so zum „harten Kern“ der EU entwickeln. Statt von anonymen Brüsseler Bürokraten soll die Finanzpolitik künftig von einem neuen, demokratisch legitimierten Euro-Parlament kontrolliert werden.
Hinter diesen Vorschlägen steht die Vision eines starken, sozialen und souveränen Europas, das seine Bürger verteidigt und schützt. In Brüssel kommt dies bestens an: Sein Team arbeite schon seit zweieinhalb Jahren für ein „besseres Europa – ein Europa, das unsere Bürger schützt und verteidigt“, betonte Juncker noch am Wahlabend.
Macrons Programm ist weitgehend Junckers Programm. In Berlin hingegen dürfte der französische Shootingstar der europäischen Eliten auf Granit beißen.
Kanzlerin Merkel hat nicht nur eine andere Vision – für sie ist die EU vor allem eine Freihandelszone, in der Wettbewerbsfähigkeit wichtiger ist als Solidarität.
Sie hat mehrfach ihr Veto gegen einen Umbau der Eurozone eingelegt. Nichts spricht dafür, dass Merkel ihre Haltung ausgerechnet jetzt – im beginnenden Bundestagswahlkampf – ändert. Zwar wirbt Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) dafür, auf Macron und Frankreich zuzugehen. Doch darum bemüht er sich schon seit geraumer Zeit – ohne sichtbaren Erfolg.
Auch Macron hat sich schon an Merkels harter Haltung die Zähne ausgebissen. So hat er sich, als er noch Wirtschaftsminister unter Hollande war, gegen einen Rauswurf Griechenlands aus dem Euro ausgesprochen. Merkel dagegen ließ ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble lange mit der Drohung eines „Grexit“ gewähren. Auch jetzt gibt Schäuble wieder den Hardliner. Er will einen Europäischen Währungsfonds gründen, der Griechenland noch jahrelang auf Austeritätskurs zwingen soll. Er möchte auch Frankreich an die Leine legen – der neue Währungsfonds oder eine andere unabhängige Behörde soll die Budgetpolitik aller Euroländer überwachen.
Das ist ziemlich genau das Gegenteil dessen, was Macron plant. Auch von dessen Kritik am deutschen Leistungsbilanzüberschuss will Schäuble nichts wissen. Dabei trägt der deutsche Überschuss zum französischen Defizit bei, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte wachsen.
Doch bisher geht Schäuble keinen Millimeter auf Macron zu. Der Finanzminister gilt daher als größtes Hindernis für eine deutsch-französische Annäherung. Wenn Merkel wirklich ein Zeichen setzen will, dann müsste sie den störrischen Minister nach der Bundestagswahl nicht wieder in ihr Kabinett aufnehmen.
Denn das „deutsche Europa“ hat die EU immer tiefer in die Krise geführt. Das Ergebnis kann man auch so lesen: In Österreich, den Niederlanden und Frankreich wurden die Nationalisten und EU-Gegner zwar an der Machtübernahme gehindert, wie Junckers Berater korrekt konstatieren. Doch sie haben in allen drei Ländern massiv an Zustimmung gewonnen. Frankreichs Nationalisten-Führerin Marine Le Pen hat ihre Stimmenzahl im Vergleich zu 2002 sogar verdoppelt.
Deshalb hat die EU diese Wahl auch nicht gewonnen; sie ist nur noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.
Ob Macrons Erfolg doch noch einen Weg aus der Krise weist, dürfte sich erst nach der Bundestagswahl zeigen. Wenn in diesem Finale Merkels „Weiter so“ siegt, dann wird der neue französische Präsident nicht sehr viel bewegen können. Und das, obwohl ganz Brüssel hinter ihm steht. Deutschland ist einfach zu mächtig geworden.
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