piwik no script img

Der Traum vom freieren Leben in BerlinManufactum für die Szene

Was tun, wenn man älter wird, aber weiter Spaß haben will? Die Betreiber der verblichenen Bar25 eröffnen am 1. Mai ihr Kreativ-Dorf Holzmarkt.

Ein Dorf mitten in der Stadt, wenn auch ohne Gemüsebeete: der Holzmarkt Foto: Karsten Thielker

BERLIN taz | Was wird aus einem Hippie, wenn er in die Jahre kommt? Drei Möglichkeiten gibt es: Er zieht ins Eigenheim mit Carport, er bleibt im Bauwagen sitzen, oder er baut den Bauwagen zu einer Insel der Glückseligen aus, auf der es sich besser leben lässt als in den Anfangstagen.

Für letztere Variante haben sich Juval Dieziger und seine Mitstreiter entschieden. Dieziger steht auf dem Dach seines neuen Restaurants Katerschmaus, zeigt nach rechts und nach links, über das Kreativ-Dorf Holzmarkt, das hier am 1. Mai eröffnen wird. Und irgendwie wirkt er wie ein Ruhepol im aufgeregten Treiben der Bagger, die Sand hin und her schieben, der kunterbunt geparkten Schubkarren, der Männer, die letzte Pflastersteine in den Boden hämmern oder auf Baukränen stehen und Wandgemälde vollenden.

Wenn am Montag hier gefeiert wird, dann wird der Holzmarkt, diese Insel der Glückseligen von Dieziger und seinen Mitstreitern, noch lang nicht fertig sein. Doch das sei so gewollt, erklärt Ania Pilipenko, 32 Jahre alt und Vorstand der Holzmarkt-Genossenschaft, die ebenfalls mitläuft, denn hier soll auch in Zukunft alles immer im Werden sein.

Und darum ist schon jetzt erkennbar, dass der Holzmarkt einer der interessantesten Orte nicht nur dieser Gegend, sondern der ganzen Stadt sein wird – „Le Dörf“, wie es intern heißt, mit zentralem Dorfplatz und Park, inklusive Kita, Dojo, Chiropraktiker, Weinhandlung, Café, Patisserie und Bäcker – inklusive auch Club, Veranstaltungshaus, Probebühne, Studios und Ateliers, in denen Theatermacher, Musiker und Künstler täglich Neues probieren dürfen.

Legendäre Bar25

Juval Dieziger, 42 Jahre alt und geboren in der Schweiz, ist einer der Gründer der legendären Bar25 genau an diesem Ort am Spreeufer – einem Technoclub, der inklusive wiederkehrender Schlammbäder und Fünftagepartys als eine Art Buddelplatz für Erwachsene Mythos geworden ist. Sechs Jahre lang wummerte die Bar wie eine Kapsel, in der die Gesetze von Raum und Zeit außer Kraft gesetzt waren. Trotz Engagements gegen die von der Stadt angestrebte Uferbebauung mussten die Barbetreiber 2010 auf die gegenüberliegende Seite ausweichen.

Es war vor mehr als fünf Jahren, als die Betreiber beschlossen, erwachsen zu werden. Sie gründeten eine Genossenschaft und kauften gemeinsam mit der Stiftung Abendrot das 18.000 Quadratmeter große Gelände in der Holzmarktstraße zwischen Ostbahnhof und Jannowitzbrücke, auf dem ihre Bar einst war.

Holzmarkt

Am 1. Mai um 12 Uhr geht es los, die Bauzäune fallen und der Holzmarkt öffnet seine Türen. Das Motto lautet „Wir treiben’s bunt und rosa“, und der Eintritt ist frei. Holzmarktstraße 25, zwischen Jannowitzbrücke und Ostbahnhof.

Es gibt an allen Ecken und Enden vom Champagner bis zur Bratwurst alles Mögliche und für jeden Geldbeutel zu essen und zu trinken, außerdem jede Menge Musik (Mimi Love, Mira & Chris Schwarzwälder), Schminken, Spielen und Seifenblasen in der Kita, Puppentheater in der Pampa (De Duudes).

Außerdem ab 14.30 Uhr Diskussionsveranstaltungen über Geschichte, Status quo und Perspektiven der Protestbewegungen in Berlin und deren Auswirkungen. Mit Michael Sontheimer, Danielle De Picciotto, Dimitri Hegemann, Tom Tykwer, Jamila Al-Yousef und Charles Landry.

Am 13. Mai feiert die Show Le Petit Bleu von Eike von Stuckenbrok im Sälchen Premiere.

Weitere Infos unter:www.holzmarkt.com. (sm)

Zwischen dem Club Kater Blau und der Pampa, einer Mischung aus Stadtgarten und Theater – beide haben ihre Pforten schon länger geöffnet –, sind nun wie Bauklötze mehrere Drei- und Viergeschosser gewachsen, die den öffentlich zugänglichen Dorfplatz umrunden. Sie wirken kleinteilig, gemütlich, ein bisschen sehr ordentlich verputzt vielleicht.

Doch spricht man Dieziger auf die Kompromisse an, die man machen musste, erntet man bloß selbstbewusstes Lächeln. Klar: Ein ganzes Holzdorf, wie ursprünglich erträumt, ist es nicht geworden, wegen des Brandschutzes. Auch den Kohlrabi und die Kräuter, die man mal fürs Restaurant selbst im sogenannten Mörchenpark am Ufer anbauen wollte, sind es nicht geworden – wegen der Hygienevorschriften.

Abenteuerspielplatz nur Zahlungskräftige

Was für Dieziger und seine Genossen eher den Sprung ins Eiswasser des Älterwerdens ausgemacht hat: die viele Arbeit. Die 80 Gänge zum Bauamt. Und die finanzielle Verantwortung. An die 300 Leute arbeiten derzeit am Holzmarkt, 150 Genossen tragen das Projekt.

Kritiker des Holzmarkts werden meckern, der Holzmarkt sei ein Abenteuerspielplatz nur für die zahlungskräftigen Berliner. Ein Hauptgang auf der Abendkarte des Katerschmaus kostet 20, 30 Euro. „Nachhaltig produzierte Lebensmittel kosten ihr Geld“, sagt Dieziger. Außerdem kommen die Leute nicht nur aus den teuren Neubauten auf der anderen Seite der Spree, sondern auch aus den Sozialbauten weiter nördlich, sagt Pilipenko.

Man könnte sagen, der Holzmarkt wirkt wie aus dem Manufactum-Katalog für gealterte Szenegänger, als Wellnessoase für deren verstrahlte Seelen. Man könnte aber auch sagen: Was soll man machen, wenn man größer wird und trotzdem weiterhin Spaß haben will? Was zählt schon der Vorwurf, zu kommerziell zu sein, wenn es ums Große geht: um den alten Traum vom anderen Leben?

In einer Stadt, wo es immer weniger kreative Freiräume gibt, sich immer mehr Menschen ins Privatleben zurückziehen, weil sie genug damit zu tun haben, jeden Monat die Miete aufzubringen, ist ein Ort wie der Holzmarkt eine Oase.

Ganz am Ende der Führung über den Holzmarkt zeigen Juval Dieziger und Ania Pilipenko noch eine Kleinigkeit, die ihnen am Herzen liegt, wie sie sagen. Es handelt sich um einen Biber­ausstieg, den sie gebaut haben, den letzten an der Spree, bevor der Stadtteil Mitte beginnt.

Last Exit Holzmarkt?

„So könnte man sagen“, grinst Dieziger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Nicht einfach, solch ein Projekt durchzuziehen. Immerhin ein Versuch den öffentlichen Raum weiterhin halböffentlich zu betreiben. Erfrischend gegenüber solchen Stadtverbrechen wie das Hinkelsche Living Levels oder den himmelschreienden Anschiß Planungen. Nun fehlt nur noch die behutsame Entwicklung des Hafengeländes auf der Kreuzberger Seite mitsamt dem Speicher und vielen kostengünstigen Wohnungen. Leider ist da noch die umweltfeindliche Galvanik Otek im Weg. Hier können sich die Meckerfritzen engagieren. Mediaspree versenken, versammelt sich übrigens immer noch Montags im Bethanien Südflügel.

  • 2G
    2830 (Profil gelöscht)

    Kann es sein, dass die Autorin gern im Kater Blau hopsen geht und kein Problem mit hýbris Lotta hat?

    Alles halbschwanger und verlogen.

    Man will zwar 6 Euro für ein Flaschenbier nehmen, aber doch so tun als wäre es sozial und Underground. Diese Konzept treibt die Clique (Familie) seit Jahren und hat Spuren im Gedächnis der Stadtgesellschaft, leider nicht bei der wohlwollend berichtenden Presse, hinterlassen

    Es reicht um Touristen damit zu blenden. Wers mag, viel Spaß dabei.

  • Juhu ein paar Alt Hippies haben den Kapitalismus entdeckt.

     

    Was daran ist ne Nachricht wert?

  • Was haben, bitteschön, "Danielle De Picciotto, Dimitri Hegemann, Tom Tykwer" mit der "Protestbewegung Berlins" überhaupt zu tun?

     

    "Geschichte, Status quo und Perspektiven der Showbusiness/Tourismus in Berlin und deren Auswirkungen" wäre ein ehrlicher Titel der Diskussionsrunde!