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Kolumne PsychoLifestyle-Choice Angststörung

Der Psychoknacks als heißestes Accessoire im Jahr 2017? Viele sehen in seelischen Erkrankungen nichts weiter als einen Trend.

Was zieh ich an? Och, heute mal eine psychiche Störung! Foto: imago/Westend61

K ennen Sie schon die wichtigsten Trends des Sommers? Blumenprints, Cat-Eye-Sonnenbrillen und psychische Störungen. Letztere kann man zwar nicht kaufen, aber so ist das eben mit Stilbewusstsein: Entweder man hat es oder nicht.

Hier die Top 3 der Gründe, warum ein psychischer Knacks in dieser Saison so begehrenswert ist: 1. Er macht einen wahnsinnig interessant. (#WahreSchönheitKommtVonInnen) 2. Er liefert eine tolle Ausrede, wenn man keine Lust hat, arbeiten zu gehen oder nervige Bekannte zu treffen. 3. Er ist unisex. Die Depression Ihres Freundes ist Ihnen eine Nummer zu groß? Perfekt! Einfach mit einem It-Piece kombinieren, fertig ist der Boyfriend-Look.

Finden Sie zynisch? Ich auch. Neulich war ich bei einer Party. Es gab Wodka und Smalltalk. Einer der Gäste fragte: „Und um was geht es in deinem Buch?“

„Um meine Angststörung.“

„Ah, Angststörung. Haben ja alle gerade.“

Gelächter, Themawechsel, noch ein Wodka, bitte!

Nehmen wir mal an, ich hätte gesagt: „Ich schreibe ein Buch über meine Erfahrungen mit sexueller Belästigung.“ Wäre die Antwort dann gewesen: „Ah, sexuelle Belästigung. Passiert ja gerade allen“? Nur weil sich mehr Leute als früher trauen, darüber zu reden? Und sich glücklicherweise nicht mehr dafür schämen?

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Mag sein, dass ich empfindlich bin, aber ich glaube nicht, dass der Kommentar auf die steigende Zahl psychischer Krankheiten abzielte. (Bei denen übrigens unklar ist, ob sie tatsächlich zunehmen oder lediglich bessere Diagnosen gestellt werden als früher und die Dunkelziffer abnimmt.) Nein – ich glaube, er bezog sich auf die Medienpräsenz von Angststörungen. Subtext: Jaja, es ist gerade total angesagt, über seine Psychomacken zu schreiben, tausend Mal gelesen, gähn.

Das ist dermaßen oberflächlich, gähn. Weil die Reaktion impliziert, dass es einem nicht um die Sache selbst geht, sondern nur um ihre Wirkung. Als würde ich so ein persönliches Buch nur schreiben, um bei irgendeinem zweifelhaften Trend mitzumachen. Laktoseintoleranz, schwuler bester Freund, Angststörung. Check! Schnell auf Instagram posten.

Eine ähnlich arrogante Haltung findet sich in letzter Zeit vermehrt in Metatexten über psychische Krankheiten. Die FAS beklagte etwa am vergangenen Wochenende, dass psychische Störungen das neue Lieblingsthema modebewusster Lifestyle-Portale seien, und mutmaßte, dass sie in diesem Kontext oft nicht als Problem, sondern „beinahe als schickes Accessoire“ erscheinen würden.

Also doch, der Psychoknacks als Must-have? Wohl kaum. Jedenfalls nicht in den Texten, die ich auf „Refinery29“ und „bento“ gelesen habe. Da wird einfach nur einer jungen Zielgruppe in ihrer Sprache erklärt, was psychische Krankheiten sind und wie man mit ihnen umgeht. Und ja, manchmal gibt es auch Geschenktipps für den Therapeuten. Na und?

Jeder Text über psychische Störungen ist wichtig. Hauptsache, es kommt in Zukunft niemand mehr auf die Idee, einen Betroffenen auszugrenzen oder aus Angst vor Stigmatisierung zu schweigen.

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taz am wochenende
Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).
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7 Kommentare

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  • Ja nu.

    Man wird glücklicherweise nicht gezwungen zu Partys zu gehen, wo zynische Menschen Wodka trinken und Smalltalk mit einem halten.

     

    Wenn ich solche Menschen um mich haben will, dann gehe ich zu Kollegen, bei denen weiß ich, dass es keine Zynik, sondern Sarkasmus ist.

     

    Vielleicht hat der Betroffene nicht verstanden, dass jemand, der ein Buch über eine psychische Krankheit schreibt, immer noch außen steht und nix mit der Therapie der Erkrankten zu tun hat,

    • @Age Krüger:

      Stimme zu.

       

      Mit reichlich inout&trough-Psycherfahrung einschl. Unfähigkeit bei dreister Übergriffigkeit der beruflich Verantwortlichen* -

      Als Aufhänger - sorry - Party- smalltalk

      Geht's noch? Auch FAS - alles was schwach auf der Brust - mit VerlaubB

      Schreiben & ab dafür!

      Das ja!

       

      (* "Falls Sie wirklich Interesse daran haben - biet ich an - mit Abstand in einiger Zeit mal genauer gemeinsam drauf zu Gucken!"

      "Ich habe mir nichts vorzuwerfen!"

      Sagte der Herr - der unfaßbar - beim Therapeuten angerufen hatte - mal als Spitze des Eisberges!

      "Der Mann ist doch Jurist - oder?"

      Tja - sogar Richter - frauman solls schlicht nicht glauben -

      leider aber wahr!

      Das ja.

      • @Lowandorder:

        & nochens FAS=FAZ - woll!

         

        Als stumpf-dumpfer Reverenzpunkt!

        Geht's noch?

         

        Dazu hat doch schon Wolfgang -

        "Ick setz mir mal bei Richie!" Neuss -

        Alles Abschließende gesagt - wa!

        "…& Hat hier jemand ein schädliches

        Schlafmittel weggenommen?

        Das Blatt der EWGllite!

        Der Chef sagt 'Czellophan - is uns zu teuer - & Deswegen nehmen wir

        Zum Einwickeln der Beine -

        Die Allgemeine!"

        Danke. Herr Neuss - unvergessen!

        Aber deutlich - wa!

  • Ich finde den Artikel in der Überschrift provokant, der Inhalt ist aber richtig. Bei der Analyse fehlt aber ein Gesichtspunkt, gewissermaßen der Spiegel des genannten Problems. Natürlich ist es zynisch, die Angststörung oder andere individuelle Nöte als "Trend" zu bewerten, etwas, das einen interessant macht. Sondern es sind echte Sorgen, die die Leute nicht haben, weil sie wollen - die allermeisten hätten sie lieber nicht.

     

    Aber umgekehrt ist eben der heutige Umgang mit diesen Problemen etwas skuril, um es vorsichtig zu sagen. Früher war es ein Tabu, man schämte sich - was schlecht war. Heute wird zwar darüber geredet, aber der Vergleich auf Facebook und instagram ist ja nicht unberechtigt. Wenn die Gespräche in dieser "Tiefe" stattfinden, ist es eben wirklich eher ein "Trend" als eine Auseinandersetzung. Genau so war ja auch die Antwort auf der Party.

     

    Ich denke, dass solche Probleme keine oberflächliches Small-talk-Thema sind, nichts für die "sozialen Medien" mit kurzen Beiträgen. Sondern darüber spricht man mit Vertrauten und einer gewissen Tiefe, wenn es Sinn machen soll. Sonst kommt eben dieser Eindruck auf, schickes Accessoire.

  • Na super, selbst Aufmerksamkeit für die eigenen "wichtigen" Themen einfordern, dann aber Laktoseintoleranz als "zweifelhaften Trend" abstempeln. Das sind mir die richtigen Empfindlichen...

    • @Hanne:

      Der Unterschied zwischen einer Angst-Störung und einer Laktoseintoleranz ist ja auch deutlich.

      Die Laktoseintoleranz ist biologisch der Normalfall bei Säugetieren einschließlich dem Menschen. Die Laktosetoleranz ist das Außergewöhnliche.

       

      Außerdem dürfte die Zahl derer, die sich umbringen, weil sie nicht mehr klarkommen, bei Leuten mit Laktoseintoleranz vielleicht doch ein wenig geringer sein.

  • sehr gut gesagt!!

    aber leider gilt es als - auch wenn es unisex gemeint ist - allgemein und daher auch für frauen als unmännlich - da sind wir gleich bei einem wichtigen randthema - psychisch krank zu sein und es zuzugeben bzw. zugeben zu können.

    freue mich auf das buch!