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Demo gegen VerdrängungDie Kieze stehen zusammen

Mehrere hundert Menschen ziehen am Samstag von Friedrichshain nach Neukölln und protestieren gegen steigende Mieten.

Gegen die Verdrängung aus den Innenstadt-Kiezen: Interkiezionale Foto: Tim Wagner

Unter dem Motto „Interkiezionale Demonstration“ sind am Samstagabend mehrere hundert Menschen von Friedrichshain nach Neukölln gezogen. Bei nasskaltem Aprilwetter protestierten sie gegen steigende Mieten und Verdrängung in den Kiezen. Viele der Teilnehmer kamen aus dem linksautonomen Spektrum. Die Demoroute führte von der Eldenaer Straße zum Hermannplatz.

Der Protest richtete sich insbesondere gegen die drohende Räumung des Kiezladens „Friedel 54“. Dem Projekt in der Neuköllner Friedelstraße 54 wurde im Oktober 2015 von den Hausbesitzern gekündigt. Seit Mai 2016 halten die Betreiber die Gewerberäume besetzt. Auf der Demo prangte ein großes Transparent mit dem Slogan „Friedel 54 bleibt!“.

Zu der „Kiezdemo“ hatten auch Unterstützer des linken Wohnprojekts Rigaer Straße 94 aufgerufen. Mehrere Redner erklärten ihre Solidarität mit der Hausgemeinschaft und sprachen sich auch für den Erhalt „solidarischer Kieze“ aus. „Heute wollen wir erneut unseren Widerstand auf die Straße tragen, um der Verdrängung von einkommensschwachen Mietern und Mieterinnen Einhalt zu gebieten“, erklärte eine Rednerin.

Gleichzeitig wurde lautstark gegen Staat, Finanzkapital und Investoren geschimpft. Viele Demoteilnehmer ließen keinen Zweifel daran, dass für sie auch Gewalt als Mittel zum Zweck nicht tabu ist: „Während andere am Schreibtisch sitzen und Planierraupen befehligen, schmieden wir Pläne, organisieren uns und graben Steine aus“, hieß es in einem Redebeitrag.

Der schwarze Block ist da

Auf ihrer Route kam die Demo an mehreren linken Hausprojekten vorbei. Sympathisanten zündeten dort Raketen von Dächern und entrollten Transparente. An der Spitze der Kundgebung liefen schwarz gekleidete Autonome in Blockformation, sie wurden von Bereitschaftspolizisten in Kampfmontur flankiert.

Die Polizei begleitete die Demo mit etwa 500 Einsatzkräften. Laut einem Sprecher wurden zwei Polizisten verletzt, als Demonstranten Böller in Richtung der Beamten warfen. Weitere Zwischenfälle habe es nicht gegeben.

Wir organisierenuns und graben Steine aus

Redebeitrag auf der Demo

Vom Kiez um die Rigaer Straße im nördlichen Friedrichshain schob sich die Demonstration über die Partymeilen Simon-Dach-Straße und Warschauer Straße in Richtung Kreuzberg. Auf ihrem Weg riefen die Demonstranten Slogans wie „One Struggle, one fight, Rigaer Straße, Friedel bleibt!“ und „Keine Profite mit der Miete!“. An der Spitze des Zuges prangte ein großes Banner mit der Aufschrift „Gegen die Stadt der Reichen“. Wegen der unerwartet hohen Teilnehmerzahl ließ die Polizei die Demonstranten nicht wie geplant durch den Görlitzer Park laufen, sondern leitete den Zug außen um den Park herum.

Mit der Demo richteten sich die Organisatoren auch gegen das geplante Quartier „Carré Sama-Riga“: Auf dem Gelände Rigaer Straße 71 bis 73 – nur wenige Meter vom Haus Rigaer Straße 94 entfernt – plant das Immobilienunternehmen CG-Gruppe 133 neue Wohnungen. Anwohner befürchten, dass die Neubauten die Mieten im Viertel weiter nach oben treiben könnten. „Der Kiez will euch nicht“, richtete sich eine Rednerin an die Immobilienunternehmer und versprach: „Wir wehren uns!“

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1 Kommentar

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  • Ist das ein Warnsignal für die Politik? Haben die besorgten Bürger recht, dass wir Verbesserungen bei Mietentwicklungen in Berlin brauchen?

     

    In Berlin und Hamburg ist der Anteil der Miete an den Nettolohnen der Menschen am höchsten. Das heißt also: auch wenn die Mieten in Berlin - bundesweit betrachtet - nicht die höchsten sind, das Verhältnis beziehungsweise noch genauer - das Geld, was nach Abzug der Miete übrig bleibt, ist in Berlin und wohl auch in Hamburg am niedrigsten. Und diese „Wohlstandsrückgangs-Kennzahl“ wird mit der Zeit eher schlechter.

     

    Eine sehr gute Lösung wäre eine Mietpreisobergrenze, die z.B. durch den Staat jährlich festgesetzt werden könnte. Rückwirkende Korrekturen nach unten wären dabei legitim. Davon losgelost, sollten bestehende Regelungen betreffend Mietpreisbremse weiterhin gelten und gegebenenfalls verbessert werden.