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Kommentar Neuwahl in GroßbritannienAlles neu macht die May

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Großbritannien könnte ein bisschen Ruhe gut vertragen. Trotzdem ist Theresa Mays Entscheidung für eine Neuwahl eine gute.

Theresa May gibt bekannt, dass am 8. Juni Neuwahlen stattfinden Foto: reuters

M an kann es den Briten nicht verdenken, dass manche auf Theresa Mays Ankündigung vorgezogener Neuwahlen mit Entsetzen reagieren. Nach dem Schottland-Referendum von 2014, den Parlamentswahlen von 2015 und dem Brexit-Referendum von 2016 wäre eigentlich ein bisschen Ruhe angebracht. Und dass die Premierministerin es mit dem Wunsch nach weniger politischer Polarisierung begründet, dass sie das Land in einen neuen Wahlkampf stürzt, ist eine Herausforderung an das logische Denken.

Nichtsdestotrotz sind die Neuwahlen in Großbritannien zu begrüßen. Bei den letzten Wahlen 2015 hieß der Premierminister David Cameron und war für den Verbleib der Briten in der EU. Heute ist alles anders. Theresa May betreibt den Brexit in getreuer Erfüllung des Referendums – nach Ansicht mancher in härterer Form, als es die Volksabstimmung legitimiert hat.

Die Vorwürfe, sie habe für ihren Kurs kein demokratisches Mandat, nehmen zu. Der Anwurf ihrer schottischen Amtskollegin Nicola Sturgeon, May sei nicht vom Volk gewählt und habe der wiederum vom Volk gewählten Sturgeon nichts zu sagen, dürfte die Premierministerin tief getroffen haben. Sie reagiert nun mit einer Klarheit, wie man sie an britischen Regierungschefs von Thatcher über Blair bis Cameron schätzen gelernt hat: Sie nimmt die Herausforderung an und sucht die Entscheidung.

Nun gibt es also die Gelegenheit, auf die die Brexit-Gegner gewartet haben: Sie können May abstrafen und einem EU-freundlicheren Kurs eine parlamentarische Mehrheit bescheren. Die Umfragen sprechen zwar nicht dafür, aber es ist in jedem Fall gut, dass Großbritannien jetzt die Gelegenheit bekommt, erneut an der Wahlurne seine Meinung über den Brexit zu äußern.

Wahrscheinlich ist, dass Mays Kurs bestätigt wird. Denn die Premierministerin kann einen Vorteil ausspielen: Für jeden ihrer Gegner geht es um etwas anderes. Die Verlierer von 2016 nutzen die Wahl als zweites Brexit-Referendum, die Verlierer von 2015 als zweite Parlamentswahl und die von 2014 als zweite Schottland-Volksabstimmung. Jede Oppositionskraft wird in einer anderen Ecke ihren Wahlkampf führen. Und darüber thront eine unerschütterliche Theresa May – als einzige Politikerin mit Weitblick, die das Land zusammenhält. Wenn das gelingt, ist ihr der Wahlsieg sicher.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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22 Kommentare

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  • Um in die Fußstapfen ihrer "geschätzen" Vorgänger zu passen, müßte sie wohl eine Kopfsteuer einführen, ein kleines Land auf der arabischen Halbinsel völkerrechtswidrig in die Steinzeit bombardieren oder eine Briefkastenfirma in Mittelamerika eröffnen.

     

    Nicht, dass ihr das nicht auch noch zuzutrauen wäre...

  • Last Exit to Europe?

     

    Ich hoffe noch.

  • Es gab Kritik als es nach dem Brexit keine Neuwahlen gab, jetzt kritisieren manche dass May eine Neuwahl ansetzt.

    Man könnte meinen, wie man es macht ist falsch.

    Aber May hat klug gehandelt. Wie es Merkel auch macht. Abwarten und dann entscheiden.

    Nach dem Brexit-Votum stand nicht fest, wie das britische Volk reagiert.

    Jetzt wo feststeht das ihre Konservativen eine ordentliche Mehrheit haben, lässt sie neu wählen.

    Und da Labour tief zerstritten ist, werden die meisten wohl den Tories ihre Stimme geben was May nebenbei dann mal als Unterstützung Ihres Kurses liest.

    • @derSchreiber:

      Sie verwechseln klug mit schlau.

       

      Wenn die Brexit-Gegner bei dieser Wahl etwas erreichen wollen, dann müssen sie das Thema komplett vom Konkurrenzkampf der Parteien trennen. Das würde bedeuten, mit einer extra zu diesem Zweck aufgestellten überparteilichen Remain-Liste anzutreten, die nach getaner Arbeit (Rücknahme des Austritts) die Macht sofort wieder abgibt und wieder Neuwahlen ansetzt.

      Es ist aber extrem unwahrscheinlich, dass ein solches Bündnis zustandekommen könnte – und ob es bei den Wählern eine Chance hätte, ist ebenfalls fraglich.

      • @Zwieblinger:

        "Das würde bedeuten, mit einer extra zu diesem Zweck aufgestellten überparteilichen Remain-Liste anzutreten, die nach getaner Arbeit (Rücknahme des Austritts) die Macht sofort wieder abgibt und wieder Neuwahlen ansetzt."

         

        Ist das in irgendeiner Form realistisch?

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Der Ruf nach Neuwahlen ist nichts anderes als der verzweifelte Versuch Zeit zu geweinnen, und das Eingeständnis, den Brexit nicht stemmen zu können. Die Briten haben sich verhoben.

    • @60440 (Profil gelöscht):

      "Die Briten haben sich verhoben."

       

      Das wird sich zeigen. Jedenfalls sind sie stur und ziehen Dinge durch, die sie beschlossen haben. Notfalls auch gegen alle Vernunft und Widerstände. Noch ein paar nette Drohungen aus Brüssel könnten viel bewirken.

       

      Dazu kommt, dass die Briten den Weg aus der EU vielleicht nicht allein gehen müssen. In reichlich 14 Tagen sind wir in dieser Richtung schlauer...

       

      Jedenfalls ist 2017 kein langweiliges Jahr :-)

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Inwiefern gewinnt May mit der Aktion bitte Zeit? Die zwei Jahre bis zum Brexit laufen, und eine nationale Wahl hat darauf keinerlei Einfluss.

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @Janssonin kiusaus:

        Sie kann ihre weitere Vorgehensweise davon abhängig machen, wie das Wahlvolk abstimmt. Je nachdem. Und bis dahin Ruhe bewahren. Und wer weiss, vielleicht gibts ja gar keinen Brexit ...

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @60440 (Profil gelöscht):

      "Schwarzer Peter", nächste Runde...

  • Das gefällt mir allgemein an Briten, die nehmen es sportlich, hop oder top. In Deutschland würde nur wieder alles ausgesessen werden, um den heißen Brei rumgeredet, Gelaber bis ins Ultimo. May springt ins kalte Wasser, da können ihre Gegner nicht meckern. Respekt!

    • @Jens Egle:

      Kaltes Wasser? Eher ein sorgfältig temperiertes Wellnessbad.

  • Georg Gafron lobt in der BZ Donald Trump.

    Dann kann Dominic Johnson in der Taz auch Theresa May loben.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Linksman:

      Brite mit Leib und Seele.

      Der findet auch an Boris Johnson noch Gutes - wenn 's sein muss;-)

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "Und darüber thront eine unerschütterliche Theresa May – als einzige Politikerin mit Weitblick, die das Land zusammenhält."

    Soll das ein Witz sein?

    (Mays "Weitblick" erinnert mich spontan an Politikertypen wie Gabriel.)

    • @571 (Profil gelöscht):

      Gabriel ist doch ne typisch deutsche Mimose gegen May.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Jens Egle:

        Mein Hintergedanke galt den Hauruck-Wendemanövern, von beiden meisterlich beherrscht.

  • Was passiert eigentlich, wenn es auf den schottischen Wahlzetteln ein Feld:

     

    "Niemand nach London schicken, Unabhängigkeit"

     

    zum ankreuzen geben würde? Ob sich die schottische Regierung das traut?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Die linken Sinn Fein-MPs verweigern ja seit jeher den royalen Eid.

       

      In fünf Jahren gibt es drei Staaten:

      1. Ein vereinigtes Irland (mit klar umrissenen Minderheitenrechten in Ulster).

      2. Ein unabhängiges Schottland (EU- und UN-Mitglied).

      3. Ein Restbritannien (zeitweise noch mit Wales als "Montenegro der Irischen See").

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Linksman:

        ... dazwischen die Isle of Man, wo dann alle EX-UK-ler ihre Steuern sparen, wie bisher.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Dann werden die Schotten eventuell unabhängig - ganz weg kommen die nie...Wen juckt's?

      • @Jens Egle:

        Es juckt nicht. Es amüsiert :-)