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Wir retten die WeltKlangschale mit Beduftung

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Sie dachten, Autos stinken und töten? Weit gefehlt, erklärt uns Mercedes. Die Boliden sind gut für den Geist, sie machen gesund und schlau.

Liebling der Massen? Der neue elektrische EQ von Mercedes Foto: dpa

R edaktionskonferenz kurz nach dem Terroranschlag in London, wo ein Mörder einen Geländewagen gemietet und drei Menschen totgefahren hatte. „Da sieht man wieder mal: Autos sind Waffen“, sagt der Kollege M. „In Innenstädten sollte man sie einfach verbieten.“

Ich sitze am Konferenztisch und blättere im Mercedes-Benz magazin. Teurer Hochglanzdruck, eine Ode an die Konstrukteure des neuen Daimler-Geländewagens, ein Interview mit Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg, Überschriften wie „Lass uns Frieden machen“ einer ehemaligen taz-Praktikantin und „Das Geheimnis der Harmonie“. Dazu eine Eloge auf die neue Linie EQ, das „Auto der Zukunft: vernetzt, selbstfahrend, emissionsfrei“.

Und vor allem: gesund. Sagt Mercedes. Man setze jetzt „verstärkt auf Fitness und Gesundheit“. Das Auto „soll wissen, wie es dem Fahrer geht, und sein Wohlbefinden mit allen Mitteln verbessern“, schwärmt Entwicklungsvorstand Ola Källenius. Und zwar mit „Bewegung, Luft, Geruch, Klang, Licht“.

Jedes Jahr sterben in Deutschland 35.000 Menschen an Feinstaub, auch bedingt durch den Verkehr. Allein die überhöhten Stickoxid-Abgase aus den Auspufftöpfen führen hierzulande zu 11.000 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr, warnt die Europäische Umweltagentur.

Das Versprechen: Nach der Fahrt fitter als vorher

„Beduftung, Massage, Ambientelight, Ionisation, Klimatisierung“ bietet die Marke EQ, ein „elektromobiles Ökosystem“ mit einer „körperlichen Erfahrung, die an Klangschalentherapien im Wellness-Hotel erinnert“. Abteilungsleiter Götz Renner (!): „Die Menschen sollen entspannter, fitter und aufgeweckter aus dem Auto aussteigen, als sie eingestiegen sind.“

In Deutschland starben 2016 im Straßenverkehr 3.214 Menschen. Für Verkehrsplaner eine gute Nachricht, denn es gab 7 Prozent weniger Todesopfer. Statistisch gerechnet werden damit jeden Tag etwa neun Menschen auf unseren Straßen getötet.

Medizinprofessor und Bestsellerauto(r) David Agus lobt in einem Interview mit dem Mercedes-Benz magazin, dass das Auto Fitnessdaten über seinen Fahrer sammeln und mit Licht, Musik und Fahrersitzhaltung darauf reagieren kann. „Davon haben Mediziner seit Jahren geträumt.“

Orthopäden warnen: Dauersitzen ist schlecht für die Haltung. Neben dem Sofalümmeln ist vor allem Autofahren riskant: Bandscheibenvorfälle, taube Finger, Übergewicht. Herz-Kreislauf-Probleme.

„Selbstfahren ist gesund“, sagt Entwicklungschef Källenius im Heft. „Eine kurvenreiche Strecke trainiert die Arm- und Brustmuskulatur.“ Doktor Agus ergänzt: „Unser Gehirn ist auf Bewegung ausgelegt. Fahren macht schlau.“ Und „genial“ findet der Auto-Doc Daimlers Idee „vor einem drohenden Unfall die Passagiere kurz zu warnen, um einen Reflex auszulösen und Hörschäden zu vermeiden“.

Wer nicht im Auto sitzt, hat weniger Glück. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 396.700 Menschen im Straßenverkehr verletzt. 2015 gab es alle 16 Stunden einen getöteten Fußgänger, alle 68 Minuten einen Fußgänger, der im Verkehr schwer verletzt wurde.

Ab Sommer sind die neuen Wellness-Features in der neuen S-Klasse zu kaufen, versichert mir das Magazin. „Diese Ideen sind für die Menschen erdacht und für die Menschen entwickelt. So wie jede Innovation made by Mercedes-Benz.“

Am Tag der Attacke von London wird auch bekannt: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat ein Ermittlungsverfahren gegen Daimler eröffnet. Der Vorwurf: Betrug bei der Abgasbehandlung. Und: Irreführende Werbung.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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2 Kommentare

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  • "Wer nicht im Auto sitzt, hat weniger Glück."

     

    Logisch. Wer nicht in einem Benz sitzt, kann Mercedes egal sein. Er hat ja nicht gezahlt.

     

    "Irreführende Werbung"? Ja und nein. So viel Ehrlichkeit in Bezug auf die Frage, was unsere Gesellschaften warum spaltet, war selten in einer Werbung. Irreführen muss man sich also schon lassen wollen von Mercedes.

     

    Und doch: Es ist gelogen, dass es denen, die aufgrund ihrer Zahlungs-Moral kurzfristige Vorteile genießen, auf Dauer besser gehen wird. London ist schließlich überall derzeit. Aber auch hier gilt: Selbst schuld, wer sich verarschen lässt.

  • Sehr guter Artikel. Danke.