Omer Kleins Jazz-Klavier: Blicke hinter die Realität
Im Kosmos des israelischen Pianisten Omer Klein gibt es Philosophie, aber auch Wurst und New York. „Sleepwalkers“ heißt das neue Album.
Ein Hauch von Pariser Leichtigkeit, kreiert von einem in Deutschland lebenden Israeli. „Sleepwalkers“ ist der Titelsong von Omer Kleins neuem Album. Bisweilen erinnert er an eine „Gymnopédie“ Eric Saties, oder, etwas zeitgemäßer, an Chilly Gonzales’ in der französischen Hauptstadt entstandenem Stride-Piano-Jazz. Vermutlich aber ist es niederrheinische Melancholie. Schon vor sieben Jahren hat es den studierten Pianisten Klein nach Düsseldorf verschlagen. Der Liebe wegen.
Omer Klein, 34 Jahre alt, ist ein in Philosophie bewanderter Intellektueller, der druckreife Sätze formuliert. Die zündet er, um sein gerade erschienenes siebtes Album anzupreisen; sein erstes auf einem Majorlabel, abermals eingespielt mit seinem bewährten Trio um Haggai Cohen-Milo (Bass) und Amir Bresler (Drums).
„Sleepwalkers“ hat Klein nicht bloß als Kritik an den wie Schlafwandlern durch die Straßen stolpernden Smartphone-Usern konzipiert. Mehr noch trieb ihn die Suche nach dem Mystischen um. Das jedenfalls steht hinter dem Song „Wonder and Awe“. Er taucht gleich zwei Mal auf: als Solo-Version und als Trio-Fassung.
Für den Pianisten ist es der Schlüssel zum Album: „Dahinter steckt die Vorstellung vom Künstler als sensibler Person, der es mit Glück schafft, einen Blick auf die Realität hinter der Realität zu erhaschen. Wenn du einen Tisch durch ein Mikroskop betrachtest, sieht er komplett anders aus als mit den Augen. Hegel sagt, dass nur Künstler zusammen mit Wissenschaftlern, Theologen und Philosophen die Möglichkeit haben, einen Blick auf diese mysteriöse Realität zu erhaschen.“
Bloß nicht auf die Frühstücks-Playlist
Die spirituelle Sinnsuche des Künstlers und seine oftmals romantisch-lyrischen Kompositionen böten viele Möglichkeiten, um damit Frühstücksmusik-Playlisten zu bestücken. Doch Klein hat andere Ansprüche. Er studierte am renommierten New England Conservatory in Boston und schlug sich mehrere Jahre lang erfolgreich in der harten New Yorker Jazzszene durch. Sein Mentor war der als legitimer Bill-Evans-Nachfolger gehandelte Pianist Fred Hersch.
Omer Klein: „Sleepwalkers“ (Warner); live: 22. 3. München, Unterfahrt, 23. 3. Regensburg, Jazzclub, 25. 3. Bayreuth, Becher Saal, 28. 3. Berlin, A-trane, 31. 3.Essen, Philharmonie, 2. 4. Freiburg, Jazzhaus, 11. 4. Hamburg, Elbphilharmonie.
Das Talent Omer Kleins liegt darin, seine Songs fast unheimlich vertraut klingen zu lassen. Nicht nur der Titelsong, auch das rhythmisch vielfältige „Underdog“ oder der virtuos halsbrecherische Song „Mixtape“ geben sich zugänglich und entfalten beim genauen Hinhören eigenwillige Komplexität.
„Sleepwalkers“ besteht zu gleichen Teilen aus Jazzmelodien, Elementen der klassischen Musik und rockigen Parts, ohne sich allzu sehr beim Crossover anzubiedern. Kleins Musik ruht in sich, hat nur wenige, dafür passende Tempowechsel, dennoch klingt sie verspielt und funky.
Sehnsucht nach der Jazzkapitale
Omer Klein steht mit seinem Ansatz nicht allein. Die israelische Jazzszene hat einige tolle Eigengewächse hervorgebracht: Auch der Bassist Omer Avital, der Pianist Shai Maestro, der Trompeter Avishai Cohen und die Klarinettistin Anat Cohen haben zuletzt gute Alben veröffentlicht. Gemeinsam ist ihnen: Alle leben oder lebten zeitweise in New York. Omer Klein begründet diese Sehnsucht nach der Jazzkapitale mit einer „Suche nach mehr Glaubwürdigkeit“, doch ist es mehr als das. Er sagt, er sei aufgeblüht in New York, ein Hunger nach Leben habe ihn angetrieben, und in den USA habe er die Enge Israels vergessen.
Allerdings, schon als er noch in Israel ansässig war, hat er in seiner Musik ganz selbstverständlich unterschiedliche Einflüsse verarbeitet: Middle-Eastern Pop, genauso wie Elektronik und Jazz. Wie erklärt der Pianist die Experimentierfreude in Israel? „Abgesehen von der alten jüdischen Kultur gibt es in unserer jungen Gesellschaft keine Traditionen. Die kulturellen Einflüsse sind unglaublich facettenreich, ganz ohne Folklore. Wir können eklektizistisch sein, und doch wir selbst bleiben.“
Der weitgereiste Omer Klein lebt nun sehr gern in Düsseldorf. Wurst und Altbier hat er dort zu schätzen gelernt, aber auch die rheinische Frohnatur: „In diesen instabilen Zeiten, in denen sich Europa mehr und mehr dem Extremismus zuneigt, fühle ich mich sehr wohl in Düsseldorf. Allgemein scheint Deutschland mir weniger anfällig für Lügen und Manipulationen zu sein.“ Die dunkle Seite ist ihm wohlbekannt: Kleins deutsches Lieblingswort ist „spießig“.
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