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Interview mit Rechtsanwalt Armin von Döllen„Es ist eine unmenschliche Vorstellung“

Der Strafverteidigertag debattiert in Bremen über eine Neufassung des Mordparagrafen und die Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe.

Dunkle Wolken drohen Justitia Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr von Döllen, wie kommt der Strafverteidigertag nach Bremen?

Armin von Döllen: Das ist ein bundesweiter Kongress, der jährlich stattfindet, jedes Mal in einer anderen Stadt. In Bremen gastiert er jetzt zum dritten Mal, aber so groß war er bislang noch nie: Früher gab es einen Empfang im Rathaus. Das geht diesmal nicht. Wir erwarten über 700 BesucherInnen.

Kommt denn bei so vielen JuristInnen auch eine konkrete Position heraus?

Vorhersagen lässt sich das nicht, aber geplant ist die Abstimmung einer Bremer Erklärung mit rechtspolitischen Forderungen.

Erhöht sich die Brisanz dadurch, dass wir bald Bundestagswahl haben?

Möglich. Es gibt seit Jahren einen Trend, durch neue Gesetze und Verschärfungen von Gesetzen in allen gesellschaftlichen Bereichen stärker zu reglementieren, durch neue Straftatbestände oder die Ausweitung von Strafrahmen. Allerdings handelt es sich dabei oft nur um Scheinregelungen, die am Kern der Probleme vorbeigehen – aber als Beruhigungspillen für die Bevölkerung oder bestimmte Zielgruppen dienen.

Im Interview: Armin von Döllen

61, ist Fachanwalt für Strafrecht und Mitglied der Bremer Kanzlei Hannover & Partner.

Zum Beispiel?

Eines der jüngsten Beispiele ist die Verschärfung der Strafen für Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt. Damit wird auf eine vermeintliche Zunahme von Angriffen gegen Polizeibeamte reagiert.

Der Strafverteidigertag

Unter dem Motto „Der Schrei nach Strafe“ berät der 41. Strafverteidigertag vom 24. bis 26. März in Bremen über den Umgang mit der rechtspolitischen Entwicklung hin zur Ausweitung der Strafe und Strafbarkeit.

Die von verschiedenen Anwaltsorganisationen gemeinsam veranstalteten Kongresse gibt es seit 40 Jahren. Auslöser und beherrschendes Thema des ersten Kongresses waren 1977 die RAF-Prozesse.

Für die und in deren Verlauf geriet die Rolle des Strafverteidigers massiv unter gesellschaftlichen Druck, rechtsstaatliche Garantien erodierten: So wurden Verteidiger von Verhandlungen ausgeschlossen, zwangsweise entpflichtet und ihre Gespräche mit Mandanten wurden abgehört.

Ähnlich wirken aktuelle Tendenzen zum Feindstrafrecht bei der Beschneidung des Asylrechts oder der Abschiebung sogenannter Gefährder.

Laut der Mittwoch vorgestellten Bremer Polizeistatistik nehmen die doch ab?

Genau: Empirisch lässt sich diese Zunahme nicht belegen, im Gegenteil. Aber es gibt offensichtlich das verbreitete Gefühl bei den PolizeibeamtInnen und eine steigende Unzufriedenheit. Und da sagt der Gesetzgeber: Ich tue was für euch. Ich erhöhe den Strafrahmen für Widerstandshandlungen auf mindestens drei Monate.

Bloß wozu?

Das ist die Frage. Es wird zu keinem einzigen Vorfall weniger führen. Es ist einfach eine kostenneutrale Lösung, die im Ergebnis gar nichts bringt.

Sie erhöht das Machtgefälle …

Man kann auf die Idee kommen, dass es den PolizeibeamtInnen zu einem Sonderstatus verhilft. Wo gäbe es einen Grund dafür, dass die gesundheitliche und körperliche Integrität von PolizeibeamtInnen besser geschützt werden muss als die beispielsweise von Feuerwehrleuten oder RettungssanitäterInnen? Verstehen Sie mich nicht falsch: Niemand will Angriffe auf Polizeibeamte rechtfertigen. Aber die sind doch bislang auch schon strafbar. Ein Sonderrecht für Polizeibeamte würde die Kluft zwischen ihnen und normalen Bürgern verstärken. Das können wir nicht wollen.

Sie diskutieren auch über die Tötungsdelikt-Normen …

Da gibt es zwei zentrale Forderungen: Die Novelle des Mordparagrafen, der in seiner noch geltenden Kernform von Roland Freisler stammt.

… dem obersten NS-Richter.

Der Paragraf knüpft an die vermeintliche Gesinnung des Täters an, also an seine mutmaßlichen Persönlichkeitsmerkale, nicht an das konkrete Tatgeschehen. Das entspringt der nationalsozialistischen Tätertypenlehre. Deshalb fordern schon seit vielen Jahren verschiedene Juristenverbände die Beseitigung dieses Paragrafen und Schaffung eines einheitlichen Tötungsdelikts. Eng damit verbunden ist die Kritik an der lebenslangen Freiheitsstrafe. Die soll durch zeitliche Freiheitsstrafe ersetzt werden

Warum ist die lebenslängliche Strafe so problematisch?

Lebenslänglich wird in der Regel zwar nicht vollstreckt, aber die Unsicherheit für die Betroffenen bleibt. Und es ist eine meines Erachtens unmenschliche Vorstellung, jemanden für den Rest seines Lebens einzusperren. Jeder sollte nach einer gewissen Zeit die Gelegenheit bekommen, in die Gesellschaft zurückkehren zu können. Sie müssen dabei auch bedenken: Bei den meisten Tötungsdelikten handelt es sich um sehr spezielle Situationen im Leben eines Menschen. Die werden sich in dieser Konstellation sehr wahrscheinlich nicht erneut ereignen. Gerade deshalb muss es einen Weg zurück ins Leben geben.

Das mindert aber die Genugtuung für die Angehörigen.

Wenn Sie das als Zweck der Strafe sehen wollen, ja. Aber das ist keine Auffassung, die ich teile. Natürlich müssen wir da unterscheiden: Diejenigen, die direkt betroffen sind, sollen auch nie als Richter auftreten. Die haben eine andere Sichtweise als die Gesellschaft. Die Gesellschaft kann meines Erachtens nicht daran interessiert sein, jemanden lebenslang wegzusperren. Das vorrangige Interesse der Gesellschaft kann nur sein, zu erreichen, dass dieser Mensch künftig keine Straftaten mehr begeht.

Auf der ganz anderen Deliktseite, aber ebenso fragwürdig, gibt es das Ärgernis der Ersatzfreiheitsstrafen. Warum findet die Forderung ihrer Beseitigung so wenig Widerhall?

Das ist in der Tat eine oft erhobene Forderung. Das ist ja eine Strafe, die eintritt, wenn jemand eine Geldstrafe nicht bezahlen kann.

Eine Armenstrafe.

Ja, das betrifft in erster Linie die ärmeren Schichten der Bevölkerung. Und das ist eine grundgesetzliche Ungerechtigkeit, jemanden ins Gefängnis zu stecken, dafür dass er die vorgesehene Geldstrafe nicht bezahlen kann.

Fürs Schwarzfahren in den Knast?

Ja, das kommt vor: Mehrfach ohne Fahrschein erwischt, zur Geldstrafe verurteilt, die man nicht bezahlen kann – ab in den Knast. Man muss sich das mal vorstellen: Ein Haftplatz kostet täglich rund 100 Euro, und das fürs Schwarzfahren! Das ist ein Irrsinn, den sich die Gesellschaft da leistet.

Ist denn das verhältnismäßig? Ließe sich diese Praxis wenn schon nicht politisch, wenigstens über Karlsruhe kippen?

Bislang hat das Bundesverfassungsgericht die Ersatzfreiheitsstrafe als grundgesetzkonform angesehen. Das geht also nur über die Änderung des Gesetzes, und die ist langwierig. Man ist manchmal über die Beharrungskräfte überrascht. Die sind auch bei der Frage der Protokollführung bei landgerichtlichen Verfahren wirksam, die seit Jahren ein großes Ärgernis ist.

Inwiefern?

Bei Verfahren, die erstinstanzlich beim Landgericht anfangen – also Taten, bei denen ein Strafmaß von vier Jahren und höher erwartet wird –, gibt es keine inhaltliche Protokollierung der Hauptverhandlung. Was gesagt wird, von ZeugInnen, wird nirgends festgehalten. Der Bundesgerichtshof muss sich anschließend auf das, was im Urteil steht, verlassen – also das, was der Richter verstanden hat. Es gibt keine objektive Kontrolle.

Und das heute?

Ja, das ist ein glatter Anachronismus, vor dem Hintergrund, dass heute nahezu alles aufgezeichnet wird.

Was spricht denn dagegen?

Mir ist kein ernst zu nehmendes Argument dagegen bekannt – außer dem, dass man es schon immer so gemacht hätte. Was allerdings auch nicht zutrifft. Irgendwie scheuen die deutschen Gerichte dieses Maß an Kontrolle. Böse Zungen sprechen davon, dass es darum geht, die Deutungshoheit über den Sachverhalt zu behalten.

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