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Kaija Kutter über den FriesenhofSelbsterfüllende Prophezeiung

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Wer Zeuginnen so behandelt wie der PUA-Friesenhof erzeugt Abschreckung statt Aufklärung

Tatort des umstrittenen Abschlussberichts: Friesenhof Foto: Carsten Rehder/dpa

D er Umgang mit den Zeuginnen im Friesenhof-Untersuchungsausschuss ist ein starkes Stück. Wäre es nach SPD, Grünen und SSW gegangen, hätten dort gar keine Bewohnerinnen ausgesagt, weil das für diese Mädchen ja ach so belastend sei. CDU, FDP und Piraten wollten aber Mädchen anhören. Und deshalb fragte man die drei, die zuvor im Fernsehen waren.

Nachdem die taz berichtet hatte, dass weitere Mädchen aussagen wollten und befürchteten, sie fänden kein Gehör, startete der Ausschus einen Aufruf, sodass sich zwei weitere Zeuginnen meldeten. Gehört wurden also nur die Allermutigsten. Und die waren bis 2013 in dem Heim. Eine systematische Anhörung, etwa durch eine Telefonhotline, wie sie vor drei Jahren die Untersuchungskommission für die brandenburgische Haasenburg-Heime eingerichtet hatte, gab es nicht. Nun sagen die Regierungsfraktionen, sie könnten für die Zeit ab 2013 keine konkreten Aussagen über Kindeswohlgefährdungen treffen, weil die Zeugen fehlten. Das ist paradox: Wäre es nach ihnen gegangen, hätte der Ausschuss gar keine Jugendlichen gehört.

Der Tenor des Abschlussberichts überrascht nicht, wenn man anschaut, welche Experten zu Rate gezogen wurden. Das waren zum einen jene zwei Juristen, die das jetzige Jugendhilfegesetz mit verfassten, zum anderen mit Matthias Schwabe ein Pädagoge, der Zwangsmaßnahmen befürwortet und deshalb umstritten ist. Der Bericht liest sich streckenweise so, als hätten ihn diese Experten geschrieben. Er ist frei von politischem Mut, einziger Lichtblick ist die klare Absage an Bootcamp-Pädagogik.

Die Relativierung der Zeugen-Aussagen von Heim-Insassen zur Dauer des Aussitzens, ist unnötig bis unsachlich. Der Ausschuss hat hier nicht aufgeklärt, nicht andere Zeuginnen befragt, ob sie auch auf die Uhr guckten. Der „Fachmann“ kennt die Zeuginnen nicht. Was bleibt, ist die Botschaft an Heimbewohner: Meldet euch lieber nicht als Zeuge! So bestätigt sich die vorgeschobene Sorge, der Auftritt vor dem Ausschuss könnte belastend sein, von selbst.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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2 Kommentare

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  • Also ich finde, diesen Kommentar viel zu lieb. Was hier hochoffiziell über ein Heim geschrieben wurde, ist fachlich Mist und es ist eine Sauerei, dass in unserer Zeit Menschen überhaupt so behandelt wurden und dass Disziplinartechniken angewendet wurden.

     

    Natürlich geht in Heimen immer was schief, aber da muss man doch fragen, was und wie?

     

    Hier wurden Mädchen gequält, runtergemacht und sie sollten 'gebrochen' werden. Sie wurden auf einer psychologischen Ebene so behandelt, dass sie 'gefügig' werden sollten - Zwang hieß die Methode.

     

    Erstaunlicherweise konnten FDP und CDU diese schreckliche Vorgehensweise dort herauslesen, nicht so SPD, Grüne und SSW.

     

    Ich wage mal die Behauptung, dass jeder Gefängnisdirektor heute sofort massiven Druck zu spüren bekäme, würde er in dieser Art mit Disziplinartechniken agieren, wie sie hier angewendet worden. Und das hat auch was damit zu tun, dass viele Häftlinge non-stop an das Justizministerium schreiben.

     

    Diese Mädchen hier wurden von SPD, Günen und SSW zur Seite geschoben - die wollten diese Erlebnisse nicht in dieser Deutlichkeit vernehmen. Und damit haben sie die Vorfälle auch bagatellisiert oder einfach als 'konfrontative Pädagogik' bezeichnet, was ziemlich unglaublich ist, wenn man mal das Ursprungskonzept dafür zu Grunde legt.

  • "Gehört wurden also nur die Allermutigsten."

     

    Hier wird mal wieder deutlich, wie schwer Mut, Wut, fehlende Fantasie, fehlende Erfahrung und Dummheit offenbar auseinander zu halten sind.

     

    Kaja Kutter glaubt wohl, sie sei die Einzige, die zu dem Schluss kommen kann, dass das Ziel der "Aufklärung" in manchen Fällen die Bestätigung eigener Vorurteile und die Selbstentlastung sind - und dass ein offensichtlicher Machtmissbrauch häufig von einer breiten Basis tatsächlich feiger Menschen getragen bzw. gedeckt wird. Selbst dann noch, wenn es gegen die Schwächsten der Schwachen geht.

     

    Halbwegs realistisch einschätzen zu können, welche Chancen man in einem Kampf hat und welche Risiken man eingehen müsste, hat wenig mit Feigheit zu tun und viel mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion. Einer Fähigkeit, im Übrigen, die längst nicht jeder hat, der Macht besitzt, auf die Machthaber also gut neidisch werden können.