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Flüchtlingspolitik-Treffen in RomWer überlebt, soll zurück

Tausende flüchten übers Mittelmeer. Die EU versucht sie aufzuhalten. Ein Problem dabei ist das politische Chaos im Transitland Libyen.

13. Januar 2017: Die „MS Aquarius“ rettet 191 Menschen und birgt zwei Tote aus dem Mittelmeer Foto: ap

Berlin taz | Das Jahr 2017 ist noch nicht alt, aber es hat schon traurige Rekorde erzielt: Seit dem 1. Januar sind bereits mehr Flüchtlinge im zentralen Mittelmeer ertrunken als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres: Insgesamt 481 Männer und Frauen haben die gefährliche Passage auf ihren überfüllten und seeuntauglichen Booten nicht überlebt, wie die UN-Migrationsorganisation IOM am Wochenende bekannt gab.

Damit sind auf dieser Route fast fünfmal so viele Bootsflüchtlinge wie in den ersten Monaten 2016 umgekommen. 16.185 Menschen erreichten Italien lebend, rund 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Von denen, die sich auf die riskante Passage nach Europa machten, starb jeder Dreiunddreißigste – auch dies ein neuer Rekord.

Ein Grund dafür, dass derzeit besonders viele Boote von der libyschen Küste aus ins Meer stechen, ist das relativ gute Wetter. Allein am vergangenen Wochenende wurden binnen 24 Stunden mehr als 3.000 Menschen bei über 20 Einsätzen geborgen. Die Seenotretter der deutsch-französisch-italienischen Initiative SOS Mediterranee retteten fast 1.000 Migranten von neun Booten. Darunter waren etwa 200 Kinder und Jugendliche.

Europäische und afrikanische Politiker haben nun am Montag in Rom darüber beraten, wie sie die Flüchtlinge daran hindern können, sich auf den gefahrvollen Weg zu machen. Die Innenminister von Italien, Deutschland, Frankreich, Österreich, Malta, Slowenien und der Schweiz waren ebenso vertreten wie Politiker der Maghrebstaaten Algerien, Tunesien und Libyen.

Europas Vertragspartner ist in Libyen machtlos

Wer in Europa keine Chance auf Asyl hat, müsse schon früh daran gehindert werden, „sich durch Libyen auf den Weg zu machen“, erklärte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière: „Wir müssen den Grenzschutz verstärken, den Küstenschutz auch Libyens – und wir müssen entschlossen diejenigen zurückführen aus Europa, die dann doch angekommen sind.“

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Italien will eine neue ständige europäisch-nordafrikanische Kontaktgruppe aufbauen. „Wir wollen aus dem Gegeneinander – hier die Europäer, dort die Nordafrikaner – eine Gemeinsamkeit stiften“, sagte de Maizière. Die Botschaft: dass der Weg durch Libyen schwer ist. Und dass die Migranten an der Küste von ihrer Flucht abgehalten werden und in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden, sollten sie es bis nach Europa schaffen.

Die EU versucht schon seit fast zwei Jahren, im Haupt-Transitstaat Libyen, in dem ein Bürgerkrieg herrscht, gegen die Schleuser vorzugehen. Im Februar hat sie dafür noch einmal 200 Millionen Euro bereit gestellt – und erklärt, künftig Flüchtlinge auch nach Libyen zurückbringen zu wollen.

Einheiten der EU-Anti-Schlepper-Mission Operation Sophia sollten eigentlich mit libyschen Küstenwächtern gemeinsam patrouillieren. Ein von der EU unterstütztes Abkommen zwischen Libyen und Italien sieht zudem Lager unter libyscher Kontrolle vor, von denen aus Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückgebracht werden sollen. Europas Vertragspartner ist aber der libysche Ministerpräsident Fajes al-Sarradsch, der im eigenen Land praktisch machtlos ist.

„EU zwingt Refugees auf seeuntaugliche Boote“

Die Gewalt liegt in den Händen undurchsichtiger Milizen. Das im ostlibyschen Tobruk ansässige Nationalparlament lehnt es ab, mit Europa zusammenzuarbeiten. Es erklärte das vom Premier geschlossene Abkommen mit Italien für „null und nichtig“.

Entschlossen diejenigen zurückführen aus Europa, die dann doch angekommen sind

Innenminister Thomas de Maizière

Der deutsche Innenminister behauptete am Montag, die libysche Regierung stabilisiere sich. Der libysche Premier hat es aber es trotz westlicher Unterstützung nicht geschafft, seine Macht auszubauen.

Was ist für die nun beginnende Saison der Flüchtlingsüberfahrten Richtung Italien zu erwarten? Zwischen den privaten Seerettern und den EU-Grenzschützern von Frontex ist der Ton schärfer geworden: „Die EU zwingt Refugees auf seeuntaugliche Boote, wir werden aber retten, egal was Frontex sagt“, erklärte die deutsche Rettungsorganisation Sea Watch am Montag.

Fabricio Leggeri, der Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex, hatte kürzlich in einem Interview erklärt, er wolle „verhindern, dass wir die Geschäfte der kriminellen Netzwerke und Schlepper in Libyen noch dadurch unterstützen, dass die Migranten immer näher an der libyschen Küste von europäischen Schiffen aufgenommen werden“.

Das „aktuelle Konzept der Rettungsmaßnahmen vor Libyen“ gehöre „auf den Prüfstand“, sagte Leggeri, die Rettungseinsätze der Helfer führten zu „Problemen beim Kampf gegen die Schlepperbanden“.

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18 Kommentare

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  • Man sollte bereits in den Medien der Herkunftsländer dringend davor warnen, sein Leben zu riskieren und sich in die Hände der Schlepper mit ihren lebensgefährlichen Booten zu begeben.

  • Flüchten?

    Sollten die Journalisten und die meisten Leser der TAZ irgendwann begreifen, dass es sich bei den Menschen aus Westafrika nicht um „Flüchlinge“ handelt, sie ergo auch nicht „flüchten“, sähe eine Berichterstattung anders aus. „Retten“ würde dann beispielsweise zu kalkulierter Abholung. Nahezu alle Menschen die über die Lybienroute reisen, suchen in Europa ein materiell besseres Leben weil sie aus rücksichtslosen, überbevölkerten Ländern kommen und hier in Westafrika nur Heilsversprechen kursieren. Fast alle wissen hier mit Bestimmtheit, dass man Haus und Geld umsonst bekommt und das deutsche Sozialsystem ein Selbstbedienungsladen ist. Würde ich nicht europäische Zeitungen lesen, wüsste ich nichts über die wirkliche Zahl der Ertrunkenen. Die Zahl verbunden mit Risiko ist hier sowieso nicht so relevant, weil sie sich gefühlt mit der irren Menge der Verkehrstoten deckt. Also Bleiben oder Gehen so gesehen auf dasselbe rauskommt.

     

    Aus Togo.

    • @Peter Herrmann:

      Danke für Ihre aufklärenden Worte.

  • Die Kritik an diesen Deals ist ja wohlfeil. Die wirklich spannende Frage ist doch, was schlagen all die "Kritiker" als realistiche und realisierbare LÖSUNG vor?

    Dazu wie immer Schweigen im Walde....

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Mit zum Unerträglichsten gehören die verlogenen bzw. euphemistischen Äußerungen de Maizières, während die EU in Libyen wieder einmal Hunderte Millionen in der Hoffnung auf "eine zu stiftende Gemeinsamkeit" versenkt werden, aber kein einziges Menschenleben gerettet wird.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @571 (Profil gelöscht):

      Die Problemdrohne Lothar ist schon lange nicht mehr tragbar. In praktisch jeder Funktion hat der Mann nur Scheiße gebaut, darf aber trotzdem immer weiter machen. Irgendwas muss die Kanzlerin an ihm mögen. Was das ist, würde die Bevölkerung wahrscheinlich verunsichern.

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Was wird Merkel wohl an De Maizière mögen ? Seine Politik. Oder glaubt hier irgend jemand, dies alles geschehe ohne ihr Wissen ?

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @74450 (Profil gelöscht):

        "Was das ist, würde die Bevölkerung wahrscheinlich verunsichern."

        Was sie an ihm "mögen" könnte, ist wahrscheinlich seine Begabung als "bad guy". Immerhin pfeift sie ihn nie zurück, wenn er wieder einmal das tut, was er zuverlässig am besten beherrscht, nämlich Shice bauen.

        P.S.: Mit Lothar, der Problemdrohne, meinten Sie doch den Thomas?

  • Die Wortwahl im Artikel ist uneinheitlich. Mal ist von Flüchtlingen die Rede, mal von Migranten.

  • Soso, die EU zahlt also 200 Millionen an lybische Millizen damit sie die Flüchtlinge terrorisieren, in Lagern foltern, vergewaltigen und töten. Ich werde meinen Enkeln dann auch irgendwann mal erzählen von allem nichts gewusst zu haben.

  • Schluss mit der sozialen und wirtschaftlichen Fluchtbewegung!

     

    Flucht ist keine soziale und politische Lösung der weltweiten Probleme!

     

    Flucht vor den Auswirkungen imperialistischer Politik nach Europa löst kein einziges soziales und ökonomisches Problem in den Herkunftsländern und Regionen.

     

    Es bedarf des Widerstands der -weltweiten- Jugend gegen die einheimische materielle und politische Korruption der Oligarchen. Der gesellschaftspolitischen Beseitigung der jeweiligen Oligarchien, der politischen Unterdrückung und ökonomischen Ausbeutungsverhältnisse.

     

    An diesem Zustand in deren jeweiligen Herkunftsländern sind auch die NATO-Bündnisstaaten und die Länder der Europäischen Union aktiv beteiligt. Auch die Bundesrepublik mit ihren einseitigen Wirtschafts- und Ausbeutungsbeziehungen und bei der polizeilichen/militärischen und politischen Unterstützung der jeweiligen Regime.

     

    Auch von daher muss die vorrangige Aufgabe -auch der heutigen m/w Flüchtlinge- darin bestehen, die menschenunwürdigen Regime in den heutigen Fluchtregionen zu beseitigen. Das wäre eine wesentliche Voraussetzung für die folgende gesellschaftspolitische Umgestaltung im Interesse der Verbesserung der sozioökonomischen Lebensverhältnisse ihrer jeweiligen Bevölkerungen.

     

    Das bundesdeutsche und pseudo-christliche Pfaffentum und klein-bürgerliche Gutmenschentum entlastet die (auch moralisch) verbrecherischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsregime und ist damit kein Beitrag zur nachhaltigen Veränderung der Verhältnisse in den Herkunftsregionen im Interesse der dortigen Menschen [- und somit auch nicht im Gegenwarts- und Zukunftsinteresse der heutigen Flüchtlinge].

    • 3G
      36855 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Das wäre doch schon mal eine Lösung.

      Hilfe von den westlichen Ländern, bleiben und sich engagieren für Demokratie und bessere Lebensbedingungen.

  • Diese Negativrekorde sind sehr traurig in der Geschichte der Menschheit. Das ist auch seltsam. Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass nicht alle Flüchtlinge ohne Fremdeinwirkung (fahrlässig und/oder vorsätzlich) umgekommen sind.

     

    Es gibt ja auch Berichte dazu.

     

    Griechenland, Küstenwache Push-back: Mord an 9 Kindern und 2 Frauen

    http://ffm-online.org/2014/01/23/griechenland-kuestenwache-push-back-mord-an-9-kindern-und-2-frauen/

     

    Mord auf dem Meer

    Mindestens vier Tote nach Angriff auf Flüchtlingsboot vor der Küste Libyens

    https://www.neues-deutschland.de/artikel/1029640.mord-auf-dem-meer.html

     

    Ertrunkene Flüchtlinge

    Seawatch: Beweise für Schuld der libyschen Küstenwache

    http://www.deutschlandfunk.de/ertrunkene-fluechtlinge-seawatch-beweise-fuer-schuld-der.694.de.html?dram:article_id=369540

     

    Solche unmenschlichen Taten werden nicht unbestraft bleiben und weiter geschehen. Gott sieht alles.

    • 3G
      36855 (Profil gelöscht)
      @Stefan Mustermann:

      Oh, bitte, lassen Sie Gott aus dem Spiel.

      Momentan tut er nix um den Menschen zu helfen oder? Er schaut zu und läßt sie ersaufen.

      Sie können das doch nicht wirklich glauben, was Sie geschrieben haben?

      Gott der alles sieht und bestraft, wenn es geschehen ist?

      Bin nicht gläubig und werde es auch nie angesichts solcher, für mich, absurder Gedankengänge.

  • Es waren doch auch EU-Staaten, die anno 2011 die Gadaffi-Regierung bekämpft haben und jetzt bekämpft die EU die von ihr selbst geschaffenen Zustände.

    • @vøid:

      das ist die herkömmliche Vorgehensweise des Westens. Zunächst wird eine bestehende Diktatur beseitigt, die bestehende Gesellschaft löst sich auf. Dann kümmert man sich nicht mehr um die Folgen in der Gesellschaft. Erst wenn die Menschen von dort in die EU (oder in die USA) wollen, sagt die EU (oder die USA): unsere Grenzen sind geschlossen... Diese Haltung der EU (und der USA) ist gegen die Menschrechte, sie ist übel, sie ist üblich.

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    Könnte die Lösung nicht sein, ( klingt vielleicht naiv), die Menschen darüber zu informieren, was sie hier und in den Flüchtlingslagern erwartet? Wissen sie überhaupt, dass keine Chance auf Asyl besteht?